Die Rückkehr des Hammers auf die Insel

Jochen Rabe
02. November 201218:50
Thomas Hitzlspergers letzte Station in der Premier League war West Ham UnitedGetty
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Missverständnis Lazio, Abstieg mit West Ham, kaum Praxis in Wolfsburg, Vereinslosigkeit - die Karriere des 52-fachen Nationalspielers Thomas Hitzlsperger ging zuletzt steil bergab. Und dann kam Everton: Nach vier Wochen Probetraining unterschrieb "Hitz the Hammer" nun einen kurzfristigen Vertrag bei den Toffees. Innerhalb weniger Monate will er sich dort für höhere Aufgaben empfehlen.

Wie hatte er dieses Gefühl vermisst. London, Loftus Road, die Queens Park Rangers treffen auf den FC Everton. Vor der Partie werden die 18-Mann Kader beider Teams bekannt gegeben. Ein Name im Aufgebot der Gäste: Thomas Hitzlsperger.

Erstmals seit März steht der 30-Jährige wieder bei einem Pflichtspiel auf dem Spielberichtsbogen. Und das auch noch in der Premier League. In seiner Wahlheimat England: "Ich wollte einfach nur hier in England zurück sein. Ich habe fünf Jahre in Deutschland gespielt und fünf Jahre in England, aber ich habe immer gesagt, dass England das Land ist, wo ich immer spielen wollte. Die Atmosphäre, die Leute, die Mentalität - das ist das, was ich mag und das ist auch der Grund, warum ich hier so glücklich bin", sagte Hitzlsperger auf der vereinseigenen Website der Toffees.

"Ich werde viele Möglichkeiten erhalten"

Gegen QPR sitzt er noch 90 Minuten auf der Bank, auch eine Woche später gegen den Lokalrivalen vom FC Liverpool muss Hitzlsperger zuschauen. Doch er ist sich sicher, dass seine Chancen schon bald kommen werden: "Ich denke, dass es in meinen Händen liegt. Ich werde viele Möglichkeiten erhalten, um mich im Training zu beweisen und dann hoffentlich auch viele Spiele bekommen."

Auf der Insel genießt der geborene Münchner einen guten Ruf. Schon zu Beginn seiner Karriere, als er fünf Jahre lang die Schuhe für Aston Villa schnürte, war er Publikumsliebling. Wegen seiner linken Klebe bekam er den Spitznamen "Hitz the Hammer".

Nicht zuletzt der gute Name, den er in England hat, verhalf ihm im September zu der Chance, beim FC Everton zur Probe mitzutrainieren. Ohne dass er einen Vertrag unterschrieben hätte, spielte Hitz Mitte Oktober in der U-21-Premier-League für die Toffees.

Vertrag bis Januar 2013

In der Probezeit schaffte er es, den Klub von sich zu überzeugen. Spielerisch, aber vor allem auch menschlich, wie Assistenztrainer Steve Round beschreibt: "Er scheint ein richtig netter Junge zu sein. Ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal ohne Lächeln im Gesicht gesehen habe." Nach fast vier Monaten Vereinslosigkeit unterschrieb Hitzlsperger endlich wieder einen Profivertrag.

Der Haken: Das Papier ist nur bis Ende Januar gültig. Dann wird neu verhandelt. Gut drei Monate also hat Hitzlsperger Zeit, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Diese Chance will er nutzen. Viel anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Seine Karriere verlief in den letzten Jahren nicht immer optimal.

Hitz' Aufstieg: WM, Meister, Kapitän

Dabei schien Hitzlsperger einmal auf dem Weg zu sein, ein ganz Großer zu werden. Nach besagten fünf Jahren Aston Villa wechselte der Blondschopf 2005 in die Bundesliga zum VfB Stuttgart. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es in die Nationalmannschaft.

Auch beim VfB wurde Hitzlsperger unverzichtbar. Unvergessen: Das Traumtor des Hammers am letzten Spieltag der Meistersaison 2007 zum zwischenzeitlichen Ausgleich gegen Energie Cottbus. Für den Linksfuß ging es lange nur bergauf. Nach der EM 2008, bei der er fünf von sechs Spielen machte, wurde er im Klub zum Kapitän ernannt.

Lazio-Zeit: Probleme mit Fans, Trainer und Medien

Ins Stocken geriet seine Karriere erst wieder im Spätjahr 2009: Nach der anhaltenden sportlichen Talfahrt des VfB entzog Trainer Markus Babbel ihm das Vertrauen, die Kapitänsbinde und den Stammplatz.

Also kehrte der Mittelfeldmann den Schwaben den Rücken und wechselte zu Lazio Rom - ein einziges Missverständnis. Vom ersten Tag an hatte Hitz die Presse und das Publikum gegen sich. Auch Trainer Davide Ballardino machte nie einen Hehl daraus, dass der Deutsche nicht sein Wunschspieler war: "Wir hätten eine andere Art Mittelfeldspieler gebraucht als Hitzlsperger, einen, der am Ball besser ist."

Auch Hitz' Engagement gegen Rechtsradikalismus wurde bei einem Verein mit teilweise vorbelasteten Fans wie Lazio zum Problem: "Dass ich mich gegen Nazis engagiere, ist übrigens hier schon ein Thema für die Presse", sagte er damals zur "Zeit". Das Kapitel Rom war im Sommer nach nur einem halben Jahr beendet.

Glücklos bei West Ham und Wolfsburg

Was folgte, waren zwei weitere Kurz-Engagements bei West Ham und in Wolfsburg - bei ersteren bedeutete der sportliche Abstieg das Ende, beim VfL konnte er sich aufgrund schwacher Leistungen und einer langen Verletzung nie durchsetzen.

Im Sommer war Hitzlsperger also vereinlos. Immerhin: Sein einstiger Förderer in der Nationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, vermittelte und brachte ihn zumindest im Training der San Jose Earthquakes unter.

Jetzt also die Chance bei Everton. Hitz' Ziele bei den Toffees sind mittelfristig angelegt: "Der erste Fokus ist auf den kurzen Zeitraum gerichtet", sagt er, fügt dann jedoch hinzu: "Ich kann allen im Verein beweisen, dass ich auch nach dem Januar wertvoll sein werde. Ich werde sehr, sehr hart arbeiten."

Immer zwischen Rang fünf und acht

Im Goodison Park stößt der ehemalige Nationalspieler zu einem Team, das in den vergangenen Spielzeiten seinen Platz im oberen Mittelfeld der Premier League zementierte, die Großen jedoch nie wirklich angreifen konnte. Siebter, Siebter, Achter, Fünfter, Fünfter - so die Ergebnisse der letzten Jahre.

In die aktuelle Saison sind die Toffees jedoch richtig gut gestartet. Nach dem Auftaktsieg gegen Manchester United und weiteren starken Leistungen standen die Toffees am sechsten Spieltag sogar auf Rang zwei hinter Chelsea. Zuletzt ist die Truppe allerdings etwas aus dem Tritt geraten: Nach drei Remis in Folge (2:2 gegen Wigan, 1:1 gegen QPR, 2:2 im Merseyside-Derby gegen den FC Liverpool) hat Everton den direkten Anschluss zur Spitze verloren.

Moyes: "Wir können Vierter werden"

Trotzdem: Trainer David Moyes, mittlerweile seit über zehn Jahren im Amt, glaubt weiterhin an seine Mannschaft: "Ich denke, wir haben ein gutes Team mit guten Spielern. Ich denke, wir können durchaus Vierter werden."

Der vierte Platz als Wunschziel - oder anders gesagt: Champions-League-Qualifikation. Davon träumen die Blauen aus Liverpool schon seit sieben Jahren, als man unter Moyes nur knapp in der Quali am FC Villarreal scheiterte.

Auch Hitzlsperger geht seine neue Aufgabe mit großen Ambitionen an: "Ich hoffe auf weiteren Erfolg. Das Team hat einen wirklich starken Saisonstart hingelegt und ich will ein Teil von diesem Erfolg sein."

Seinen neuen Coach sieht der Deutsche dabei als Schlüssel zum guten Saisonstart: "Der Trainer gibt hier klar den Ton an. Ich habe in den letzten vier Wochen viel mit ihm gesprochen und ich hatte dabei immer ein gutes Gefühl. Er verlangt jeden Tag viel von seinen Spielern und deswegen spielt die Mannschaft so erfolgreich."

Erfolg als Verhängnis?

Dass es zuletzt so gut lief, könnte für Hitzlsperger allerdings auch zum Verhängnis werden: Im linken Mittelfeld ist der ehemalige Dortmunder Steven Pienaar nach überzeugenden Auftritten gesetzt, die Doppelsechs bilden Phil Neville und Leon Osman. Mittelfristig wird Moyes keine Veranlassung sehen, die Erfolgself auseinander zu reißen.

Einfach wird es nicht, doch tiefstapeln will Hitzlsperger auch nicht. Er ist von seinen Stärken überzeugt: "Ich will meine Qualitäten hier einbringen. Das Team hat eine hohe Qualität, aber ich bringe auch welche mit. Ich hoffe, ich bekomme meine Spiele - und spiele dann auch gut."

Thomas Hitzlsperger im Steckbrief