Spontan nach Miami und völlig overdressed ins Gym
Von Daniel Herzog
London, Florida, Florida, Atlanta, Cleveland, Dallas, Chicago, London, Madrid, Barcelona, Köln. Victor Oladipo, Michael Ballack, Fredi Bobic, Björn Werner, Dennis Schröder, Dirk Nowitzki, Steph Curry, Moritz Fürste, Jonas Reckermann, Thorsten Legat, Adam Silver.
Ich glaube, man kann von einem bewegten Jahr 2016 sprechen. Und es ist extrem schwierig, aus diesen Erlebnissen, die alle ihren ganz eigenen Charme hatten, eines herauszupicken. Die verrückteste Geschichte war aber sicherlich die von Moritz Böhringer - nicht nur für ihn.
Ich weiß noch ganz genau, wie mein Chef zu mir sagte: "Herzi, hast du gleich mal eine Minute?" Was hatte ich jetzt schon wieder angestellt ... Ich ging ins Büro, die Tür wurde geschlossen. "Es geht um diesen deutschen Football-Spieler. Moritz Böhringer. Der könnte es wohl in die NFL schaffen und soll jetzt dafür fit gemacht werden."
"Dein Flug geht morgen früh um sieben"
Gut, dachte ich, den Namen hatte ich noch nie zuvor gehört und auch meine Football-Skills würden höchstwahrscheinlich dafür nicht ausreichen. "Das ganze Training wird in Florida stattfinden und du sollst ihn eine Woche journalistisch begleiten. Dein Flug geht morgen früh um sieben. Was sagst du?"
Ich weiß nicht mehr, was ich genau gesagt habe, auf jeden Fall saß ich am nächsten Morgen im Flieger nach Miami. Den Abend zuvor hatte ich noch verzweifelt versucht, irgendetwas über diesen Moritz Böhringer herauszufinden. Viel war es nicht. Nur, dass er aus Aalen kommt und aktuell bei den Schwäbisch Hall Unicorns in der German Football League spielt.
Da saß ich also, keine Ahnung, was mich genau erwarten würde, knapp elf Stunden von dem wahrscheinlich größten Abenteuer meines Lebens entfernt mit Ausdrucken und Notizen über einen Typen, der wohl ganz gut ein Ei fangen kann.
Böhringer und der Bart-Simpson-Rucksack
Aden Durde, ein früherer NFL-Spieler und jetzt Coach und Talentscout für die NFL in Europa, hat Böhringer entdeckt und war mein einziger Kontakt, der mir vor meiner Abreise mit auf den Weg gegeben wurde. In Miami angekommen, versuchte ich, eben jenen Aden Durde anzurufen.
Der erste Versuch scheiterte und auch der zweite und dritte. Also setzte ich mich erstmal hin und wartete. Nach knapp einer Stunde klingelte dann mein Handy und Aden war dran. Er sei gleich da, aber wir müssten sowieso noch auf Moritz warten, der erst in knapp zwei Stunden ankommen würde. Ich solle mich einfach entspannen.
Zwei Stunden später saßen Aden und ich dann bei Starbucks und warteten auf den großen Unbekannten aus Deutschland. Mit einem Bart-Simpson-Rucksack, einer Sporttasche und einem kleinen Koffer stand er wenig später neben uns. Es war schon eine völlig surreale Situation.
Grübelnd vor dem Kleiderschrank
Ich fragte Mo, ob er wüsste, was hier genau passieren würde und was geplant sei. Er schüttelte nur den Kopf ohne auch nur ein Wort zu sagen. Wir verließen den Flughafen, Aden hatte ein Uber organisiert und es ging ab zum Hotel.
Auf der Fahrt wurde nicht viel gesprochen. Wir waren alle müde und wollten eigentlich nur schlafen. Nachdem jedem sein Zimmer zugeteilt wurde, machte Aden nur noch die Ansage: "Morgen früh um sieben geht's zum Frühstück, um acht ist Training."
Das war er also, der Anfang einer absolut verrückten Geschichte. In dieser Nacht konnte ich überraschend gut schlafen. Am nächsten Morgen stand ich vor dem Kleiderschrank und überlegte, was ich anziehen sollte. Heute wird es bis zu 32 Grad heiß, sagte meine App. Ich entschied mich dennoch für Jeans und ein schickes Hemd. Schließlich wusste ich ja absolut nicht, was mich erwartet.
Der immer gleiche Ablauf
Nach dem Frühstück ging es zum Gym, oder besser gesagt einer umfunktionierten Lagerhalle. Irgendwo im Nirgendwo in Boca Raton, Florida - typisch amerikanisch eben. Dort angekommen, merkte ich schnell, dass ich "ein wenig" overdressed war. Auch der Kommentar von Aden "this is a gym bro" bestätigte diese Annahme.
Während sich Aden und Mo an die Arbeit machten, lernte ich zwei meiner neuen Kollegen kennen. Noch am selben Abend war das erste Interview mit Moritz im Kasten und ich bekam so langsam einen Eindruck meiner Rolle.
Die nächsten Tage liefen immer gleich ab: Frühstück, Training, Filmen, Interviews, Mittagessen, Training, Filmen, Interviews, Abendessen, Schlafen. Es war ein angenehmer Alltag. Wir waren nicht immer im Gym, sondern auch mal am Strand, in Miami oder beim Yoga.
Meine Kollegen und ich waren immer dabei und wurden nicht als störende Journalisten, sondern eher als eine Art Freunde wahrgenommen. Wir saßen alle im gleichen Boot und wollten nur, dass es Moritz und die anderen Jungs packen.
Und schon wieder Florida
Nachdem meine Woche zu Ende war und ich wieder im Flieger nach München saß, wusste ich, dass das noch nicht das letzte Kapitel in dieser Geschichte für mich gewesen sein sollte.
Ich sollte Recht behalten und drei Wochen später war ich zum zweiten Mal in Florida. Ich wurde Zeuge von Moritz' beeindruckender Leistung bei der Combine und es entstand das erste große Exklusivinterview mit Böhringer. Dieses Mal hatte ich übrigens keine einzige lange Hose und auch kein schickes Hemd im Gepäck. Man ist ja lernfähig. Zum Abschied sagte ich zu Moritz: "Wir sehen uns dann Ende April in Chicago wieder."
Moritz Böhringer wurde an 180. Stelle des NFL-Drafts 2016 von den Minnesota Vikings, seinem Lieblingsteam, gedraftet - ich war natürlich vor Ort und so auch Teil dieser Geschichte.