SPOX im Einsatz: Auge in Auge mit Karl Marx

Von SPOX
Die SPOX-Redakteure waren 2016 vielseitig unterwegs
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Selfies mit dem EM-Pokal und Paranoia in Rio

Von Felix Götz

Einsätze vor Ort sind für Sportjournalisten das Salz in der Suppe. Deshalb war das Jahr 2016 beruflich super, durfte ich doch mit der Handball-EM in Polen und den Olympischen Spielen in Rio gleich zwei Großereignisse erleben.

Die Bilder der Nacht auf den 1. Februar sind mir im Gedächtnis geblieben. Da auf dem Zimmer in Krakau das Internet ausgefallen war, musste ich den Nachbericht zum Finalsieg des DHB-Teams gegen Spanien in den frühen Morgenstunden in der Hotel-Lobby fertigstellen - und hier war der Teufel los.

Die ersten Spieler - allesamt nicht mehr alkoholfrei - waren bereits von der offiziellen Party in der Innenstadt zurückgekehrt und feierten nun an der Bar weiter. Das Schönste war allerdings das für jeden zugängliche Hotel.

Sogar Balic schaut vorbei

So stießen die frischgebackenen Europameister, Funktionäre und Fans ganz selbstverständlich miteinander an. Selbst Kroatiens Handball-Idol Ivano Balic schaute vorbei, um den Deutschen zu gratulieren.

Es war eine Nähe, die in der oft abgehobenen Welt des Hochleistungssports Seltenheitswert hat. So kam es auch vor, dass die Trophäe unter den Fans herumgereicht wurde und jeder zu seinem Selfie kam.

Ich konnte mich an diesen wunderbaren Szenen kaum satt sehen. Die Folge: Der Nachbericht sprengte in Sachen Zeitaufwand wohl sämtliche SPOX-Rekorde. Egal: Das DHB-Team war Europameister - nur das zählte!

Copacabana? Zur Not auch mit dem Tretboot

Drei Monate später wurde ich von Chefredakteur Florian Regelmann zum Vier-Augen-Gespräch gebeten. "Ich würde dich gerne zu den Spielen nach Rio schicken. Machst du das?", fragte Regelmann. Der Mann macht Witze, dachte ich mir. Wenigstens einmal von Olympia zu berichten, war schließlich seit Jahren ein Traum von mir. Zur Not hätte ich mit einem aufblasbaren Tretboot Kurs auf die Copacabana genommen.

Ich konnte zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht ahnen, dass die konventionelle Anreise mit dem Flugzeug abenteuerlich genug werden würde. Die Reise wurde Anfang August schließlich zu einem 36 Stunden dauernden Höllentrip an den Zuckerhut.

Die Zeit in Brasilien lief dann wie ein Film ab. Das 100-Meter-Finale mit Usain Bolt, Fabian Hambüchens Gala am Reck, das Fußball-Finale im Maracana oder die magische Beachvolleyball-Nacht von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst - es würde viel zu lange dauern, alle großartigen Ereignisse aufzulisten, die ich live erleben durfte.

Die Paranoia der Europäer

Deshalb sei es mir erlaubt, ein anderes Thema aufzugreifen. Was mich nachhaltig beschäftigt, ist die Paranoia, zu der wir Europäer neigen. Nach allen Berichten und Dokumentationen, die ich im Vorfeld der Spiele gelesen und gesehen hatte, war ich mir bei meiner Ankunft in Rio nämlich sicher, am ersten Tag ausgeraubt zu werden und spätestens nach zwei Tagen an Zika erkrankt zu sein.

Es hilft ungemein, mit Menschen zu sprechen, die Erfahrung haben - den Einheimischen. Ich erinnere mich noch an das schallende Gelächter eines Hotelangestellten, der mir auf meine Frage, was denn nun mit Zika sei, antwortete: "Es ist Winter, da gibt es kein Zika in Rio. Das solltest du aber wirklich wissen."

Was die Sicherheit betrifft, gibt es freilich bessere Orte als Rio. Dennoch erklärten mir die Carioca ohne Ausnahme, die Stadt nie sicherer erlebt zu haben, als es während der Spiele der Fall gewesen ist.

Rio ist nicht gleich Rio

Mittlerweile weiß ich, dass Rio während Olympia gar nicht Rio war. Ich war im November nämlich noch einmal als Urlauber vor Ort. Es wurde während der Spiele eine von einem aberwitzigen Polizei- und Militäraufgebot bewachte Blase geschaffen, die wenig mit der Realität gemein hat.

Um ehrlich zu sein: Rio ist ohne Olympia unsicherer und wilder, paradoxerweise aber auch um ein Vielfaches schöner. Authentisch eben. Nachdenklich stimmt mich die Lage der Stadt trotzdem. Die Kassen sind leer, die für Milliarden erbauten Sportstädten größtenteils für nichts zu gebrauchen. Vielen Menschen fehlt es an allem.

Wenn die IOC-Funktionäre um Thomas Bach heute behaupten, Olympia hätte positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen vor Ort gehabt, dann ist das vor allem eines: falsch!