Will Grigg's on fire
Von Benedikt Treuer
Was bleibt von der Europameisterschaft 2016 in Frankreich? Vielleicht Cristiano Ronaldos höchst kuriose Karriere-Krönung. Vielleicht eine sprachlose Nation unter dem Eiffelturm. Vielleicht aber auch das enttäuschte DFB-Team oder ein Lukas Podolski, der Jogi Löws Eier-Gate auf seine ganz persönliche Art beendete. Vielleicht all das.
Für mich persönlich sind auch die täglichen Kontrollen des Militärs am DFB-Trainingszentrum in Erinnerung geblieben. Oder meine ersten verspeisten Schnecken, mein astreines Hotel im skurrilen Pariser Amüsement-Viertel Pigalle und natürlich mein erstes EM-Finale. Ganz besonders aber bleibt Will Grigg.Es mag seltsam klingen, nach all den erschlagenden Eindrücken eines so gewaltigen Sportereignisses ausgerechnet den Moment als einprägsamsten zu erkoren, in dem man auf einen Spieler traf, der keine einzige Minute auf dem Platz stand. Und wer ist Grigg überhaupt? Eigentlich nur der Profiteur einer Fan-Laune und der daraus resultierenden Wiedergeburt von GALAs 97er-Hit "Freed from Desire."
Warten, warten, warten
Als Deutschland im dritten Gruppenspiel Nordirland besiegte, war Grigg längst on fire. Er stand schon als Held der EM fest. Vermutlich kannte ihn jeder noch so Fußball-uninteressierte Mensch in ganz Europa zumindest vom Namen her. Das machte sich auf allen Ebenen bemerkbar. Auch in der Mixed Zone des Prinzenparks nach dem Spiel.
Natürlich warteten wir (überwiegend deutschen) Journalisten primär aufs DFB-Team. Doch irgendwie zappelte auch jeder ein bisschen aufgeregt beim Gedanken an die Möglichkeit eines Interviews mit DEM Mann des Sommers.
Man muss sagen, dass die UEFA uns nach den Spielen stets lange warten ließ. Sehr oft sogar so lange, dass es fast schon an Frechheit grenzte. Zuweilen kam es vor, dass anderthalb Stunden nach Spielschluss noch kein einziger Spieler die wartenden Mikros passiert hatte - so auch beim Nordirland-Spiel.
Und dann kommt Grigg
Als etwa zweieinhalb Stunden nach Abpfiff die Spieler soweit durch waren, hatten wir einen noch nicht zu Gesicht bekommen: Will Grigg. Wir warteten und warteten im Unwissen. Und auch Nordirlands Presseverantwortliche konnten uns einige Zeit später nicht mehr verlässlich sagen, ob Grigg noch in der Kabine fläzte oder sich bereits einen Hinterausgang zum Mannschaftsbus gesucht hatte. Fast alle Kollegen rückten nach und nach ab, um sich der Nachberichterstattung zu widmen.
Zusammen mit nur noch wenigen anderen verweilte ich noch einen Moment. Als die sehr motivierten UEFA-Volonteers schon dabei waren, die Mixed zu schließen und uns rauszuschmeißen, kam Grigg dann doch noch um die Ecke.
Wir waren nur noch eine Handvoll Leute, die Grigg in ihrer jeweiligen Landessprache mehr oder weniger exklusiv vors Aufnahmegerät bekamen. Und ich glaube, es gibt kein Wort, das dieses Gespräch besser beschreibt als "menschlich." Der Stürmer, der sein Team gerade mit 25 Toren zur Meisterschaft in Englands 3. Liga geschossen hatte, freute sich so ehrlich für seine Teamkollegen und doch merkte man ihm an, wie viel lieber er doch zumindest eine Minute gespielt hätte als ständig nur besungen zu werden.
"It's just a picture"
Er nahm sich einige Minuten Zeit für uns und wurde dann vom Teammanager zum Bus geleitet. Während die vier oder fünf Kollegen ihre Aufnahmegeräte verstauten und ob der raren Grigg-Stimmen stolz in Richtung Ausgang grinsten, dachte ich mir: "Jetzt oder nie."
Ich eilte Grigg auf meiner Seite der Barriere hinterher, plärrte ihn, der kurz davor war, zum Mannschaftsbus abzubiegen, unbeholfen an und fragte so etwas wie: "Will, Will! May I take one picture?" Zack, da hatten mich schon zwei Volonteers in Beschlag genommen, bevor ich das Handy überhaupt aus der Hosentasche ziehen konnte. "NO PICTURES!", gellte es mir mehrfach ins Ohr. Ich fühlte mich kurz wie ein Schwerverbrecher.
Grigg verfolgte alles mit, lehnte sich über die Barriere und sagte: "Guys, keep cool. He can have a picture, if he wants. It's just a picture." Er hielt mir die Volonteers vom Leib, nahm sich Zeit für zwei Schnappschüsse und flüsterte anschließend etwas bedrückt: "That's not my world."
Er meinte die ganzheitliche Kontrolle der UEFA, die strikten Vorgaben, die es an jeder Stelle des Turniers gab. Alles war genau getaktet - wehe dem, jemand wich vom Skript ab. Es war ein so bodenständiger Moment dieses Turnier-Helden, der sich selbst nicht als solcher sah. Und deshalb auch irgendwie ein so besonderer.