Jeder noch so kleine Teil eines Autos wäre es wert, bis ins Detail erklärt und verstanden zu werden, doch zuvor sind die Grundsätze der Aerodynamik für das Verständnis unumgänglich.
Grundsätze der Aerodynamik
Denn wenige Themen im Formel 1-Zirkus erlangen mehr Aufmerksamkeit als die Aerodynamik. Ausdrücke wie "Dirty Air", "Barge Board" oder "Vortex Generator" fallen in fast jeder Übertragung. Oft sollen laut den Kommentatoren und Experten sogar schon kleinste Beschädigungen an Frontflügel oder Diffusor (z.B. beim Start) schuld daran sein, dass potentielle Sieganwärter ganze Rennen unterirdisch fahren und außerhalb der Punkte abschließen.
Was sind die Hintergründe dafür? Sind das wirklich Gründe? Warum ist die Aerodynamik so bedeutend? Was bedeutet dieser Begriff überhaupt?
Um zu verstehen, was geschieht, sehen wir uns erst ein klein wenig Basistheorie der Vortex Dynamics Science, zu Deutsch in etwa Strömungsdynamiklehre, an.
Bewegung von Körpern durch die Luft
Im Grunde genommen verbirgt sich hinter der Strömungslehre die Wissenschaft über die Bewegung von Körpern durch die Luft, beziehungsweise die Wissenschaft über die Fließeigenschaften der Luft und deren Effekten (dabei bestehen viele Parallelen zur Flüssigkeitsdynamiklehre).
Die einfachsten Beispiele dieser Lehre für die Bedeutung im Alltag der Menschen sind eine Windkraftanlage oder ein Flugzeug. Beide Beispiele nutzen die Fließeigenschaften der Luft; im ersten Beispiel als Antriebskraft im zweiten als Tragkraft. Widerstand und Druckeffekte, die daraus hervorgehen, beschäftigten auch die Fahrzeugingenieure und -designer in frühen Tagen.
Anfänge der Aerodynamik in der Formel 1
In den Anfängen der Formel 1 lagen die Entwicklungsschwerpunkte im Bereich des Fahrzeugdesigns auf einer möglichst strömungsgünstigen Chassiskonstruktion. In anderen Worten: Es war das Ziel, den Luftwiderstand der Autos, genannt Drag, zu verringern. Je weniger Luftwiderstand ein Fahrzeug bietet, desto weniger Kraft ist nötig, um das Fahrzeug gegen die Luft zu bewegen, mehr Geschwindigkeit ist das Resultat.
Mit Beginn der 1960er Jahre entdeckten die ersten Teams zusätzlich effektive Wege, das Phänomen Downforce in besseren Grip der Reifen umzumünzen. Sie verstanden, dass eine Steigerung der negativ-vertikalen Kraft auf die Reifen die Haftungseigenschaften verbessert. Dies liegt daran, dass Schwerkraft ungefähr proportional zum Gewicht eines Körpers zunimmt. Die Kreation von Downforce beruht auf zwei uralten Theorien: einerseits auf der Newton'schen, dass Energie nicht generiert oder zerstört werden kann, sondern nur transferiert; und Bernoullis Erkenntnis, dass beschleunigte Luft zu einer Verringerung des Luftdrucks führt.
Die Formel 1 kehrt die Prinzipien der Luftfahrt um. Wird ein Flügel so designt, dass die Luft schneller unter der Fläche hindurch strömt als über die Fläche (vgl. Abbildung), so erhöht sich der Druck auf der Oberfläche. Die daraus resultierende Druckdifferenz kreiert einen abwärtsgerichteten Druck, der als Downforce bezeichnet wird. Je mehr Downforce, desto höhere Kurvengeschwindigkeiten sind möglich, da der Grip zunimmt.
Ein einfaches Beispiel: Nehmt euch einen einfachen Stift. Schnippt von der Seite gegen den Stift, sodass er sich über den Tisch bewegt. Nun drückt mit dem Finger von oben auf den Stift, bis er "wegflutscht". Die Bewegung des Stiftes auszulösen fällt nun schwerer, eben weil er mehr Grip hat. Eine einfache Simulation des Downforce-Effekts.
Maximale Downforce bei minimalem Widerstand
Nun könnte man meinen, dass eine Maximierung des Grip durch Erhöhung des Downforce (z.B. durch steile Flügelstellung) der ideale Weg sei, um ein Fahrzeug schnell zu machen, schließlich sind höhere Kurvengeschwindigkeiten erstrebenswert. Jedoch steht der Drag dem gegenüber. Aus diesem direkten Zusammenhang entsteht die Komplexität des Fahrzeugdesigns.
Das Ziel: maximale Downforce bei minimalem Widerstand. Der Weg: ein niemals endender Kompromiss.
Ob die Boliden nun mit hohen Flügeln, also viel Downforce fahren oder mit flachen Flügeln, also weniger Drag, ist streckenabhängig. So sprechen wir im Falle von Monaco von einer "High-Downforce-Track" (viele Kurven, wenige lange Geraden) und im Falle von Monza von einer "Low-Downforce-Track" (wenige Kurven, viele lange Geraden).
Ground Effect als extremste Downforce-Variante
Diesem Spiel schien 1978 ein Ende gesetzt, als Lotus den sogenannten Ground Effect entdeckte. Peter Wright gestaltete den Lotus 78 besonders tief über dem Boden und kontrollierte den Luftfluss unter dem Auto. Indem die Fließgeschwindigkeit der Luft unter dem Auto beschleunigt wird, entsteht dort ein Unterdruck, der das Auto auf die Straße saugt. Den gleichen Effekt kennt ihr alle vom Staubsaugen. So wurde der Downforce drastisch erhöht, ohne dabei mehr Drag zu erzeugen.
In den folgenden vier Jahren intensivierten die sogenannten Ground-Effect-Cars dermaßen radikal diesen Effekt, dass zum Start der 1983er Saison starke Eingriffe per Reglement vorgenommen wurden. Der von nun an glatte Unterboden ermöglichte keine so eingreifende Luftführung mehr.
Ärgernis Vorderreifen
Der Luftfluss unter dem Rennwagen spielt aber bis heute die tragende Rolle im gesamt-aerodynamischen Konzept. Je sauberer die Luft unter das Auto geleitet werden kann, je besser die Strömung unter dem Auto von seitlichem Luftfluss (störende, bremsende Wirkung) isoliert werden kann und je schneller die Luft unter dem Auto wieder entweichen kann, desto besser die Luftbeschleunigung unter dem Auto.
Die Barge Boards (senkrecht stehende Luftleitbleche hinter den Vorderrädern) generieren Luftverwirbelungen (bis zu 10 Vertices), die eine Luftführung um das Auto herum optimieren, ohne dass dabei Luft seitlich unter das Fahrzeug gelangt. Ebenso generieren die Frontflügelendplatten eine Vielzahl von Vertices (vier bis fünf) die kontrollieren, wie die Luft mit der Frontseite der Vorderreifen und hin zu den Seitenkästeneinlässen interagiert.
Die freistehenden Vorderreifen eines Formel-1-Boliden bleiben jedoch das Ärgernis eines jeden Aerodynamikers. Nicht zuletzt sind die Endplatten überhaupt erst der Reifen wegen nötig, da durch die frei im Wind stehenden Vorderräder eine Menge ungewollter Turbulenzen entstehen. Das Zusammenspiel zwischen Endplatten und Barge Boards dient der Minimierung der unter das Auto gelangenden "seitlichen" Luft. Lediglich zentral wird die Luft unter das Auto geleitet. So ist es nicht verwunderlich, dass der Frontflügel den Schlüssel zu einem funktionierenden aerodynamischen Konzept bildet.
Aufwändige Simulationen am Computer
Es sind also Systeme nötig, die das Design eines Boliden validieren und Verbesserungen errechnen können. Auf Supercomputern und mit Hilfe von Windkanaltests finden hinter verschlossenen Türen und fernab der GP-Strecken rund um die Uhr diese Prozesse statt. So genannte CFD-Systeme (computational fluid dynamics systems) errechnen Windströmungen unter Betrachtung der verschiedensten und komplexesten Variablen.
Im Generellen gehen die Teams bei der Teileentwicklung also so vor, dass nach der Entwicklung einzelner Aero-Komponenten (CAD-Simulation) diese virtuell in das Automodell eingearbeitet werden und deren Effizienzsteigerung (wer mag, kann sich in Amdahl's Gesetze einlesen) per CFD evaluiert werden. Erst wenn dabei eine Verbesserung errechnet wird, werden Modelle wirklich gebaut und im Windkanal unter zusätzlichem Einfluss wieder neuer Variablen getestet und neu evaluiert.
Wird dabei wieder die Steigerung der aerodynamischen Effizienz festgestellt, werden die Teile für das echte Auto gebaut und dann in Trainings oder Testfahrten unter Realbedingungen abgestimmt, bewertet und gegebenenfalls überarbeitet, neuentwickelt oder verwendet. Denn eines ist klar: Keine Simulation kann hundertprozentig präzise Ergebnisse liefern, da sie nur auf Basis von vereinfachten (dennoch hoch komplexen) Modellen errechnet werden.