Mit einer Haftstrafe, einer Notlüge, einer Jugendherberge, einem Fahrrad und 150.000 Pfund Startgeld fing alles an. Michael Schumacher kam 1991 zu seinem Formel-1-Debüt in Spa wie die Jungfrau zum Kind.
Noch 20 Jahre später ranken sich viele Legenden um das Wochenende im August, das die Formel 1 veränderte. Schumacher startete in eine Ära, die auch nach 280 Rennen, 91 GP-Siegen, sieben WM-Titeln und einem Rücktritt noch nicht beendet ist.
"Es ist kaum zu glauben, dass das schon so lange her ist", sagte Schumacher anlässlich seines Jubiläums. Immerhin hat noch nie in der Formel-1-Geschichte ein Fahrer 20 Jahre lang durchgehalten.
SPOX blickt vor dem Belgien-GP 2011 (Training, Fr., 10 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) zur Feier des Tages noch einmal auf Schumachers Meilensteine in seinem "Wohnzimmer" Spa. Außerdem kommen der Jubilar und seine Weggefährten zu Wort.
Schumachers Meilensteine in Spa
1991: Schumacher kommt zu seinem Formel-1-Debüt im Jordan, weil der etatmäßige Pilot Bertrand Gachot im Gefängnis sitzt. Teamchef Eddie Jordan gibt Schumacher eine Chance, weil er erstens eine Mitgift von 150.000 Pfund von Mercedes bekommt und zweitens der Aussage von Manager Willi Weber glaubt, Schumacher kenne die Strecke in Spa. Das stimmt aber nicht. Schumacher fährt den Kurs mit dem Fahrrad ab. Das reicht, um den Jordan auf Startplatz sieben zu stellen. Nach einigen Nächten in einer Jugendherberge - alle Hotels waren ausgebucht - startete Schumacher gut in sein erstes Rennen, fiel aber an Position fünf liegend nach nur gut 500 Metern mit Kupplungsschaden aus. Hätte Jordan auf Schumachers Bitte hin die Kupplung vor dem Rennen gewechselt, wäre im Nachhinein betrachtet sogar der Sieg bei der Premiere drin gewesen. Denn Schumachers Jordan-Teamkollege Andrea de Cesaris schied kurz vor Schluss auf Platz zwei liegend aus.
1992: Genau ein Jahr nach seinem Debüt kehrt Schumacher im Benetton nach Spa zurück und gewinnt dort das erste Rennen seiner Karriere. Es ist typisches Ardennen-Wetter. Regen macht die Fahrt in Spa zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Schumacher liegt lange Zeit auf Platz drei hinter den beiden Williams von Nigel Mansell und Riccardo Patrese. Dann macht er aber einen Fahrfehler, kommt auf die Wiese und muss Teamkollege Martin Brundle passieren lassen. Im Nachhinein ein Glücksfall, denn er sieht an seinem Vordermann, dass die Hinterreifen rasant abbauen. Folglich kommt er sofort zum Reifenwechsel und macht dadurch jede Menge Sekunden gut. Dank dieses Wechsels und technischer Probleme beim Williams-Duo fährt Schumacher letztlich ungefährdet zum ersten Sieg.
1995: Das vielleicht beste Rennen in Schumachers Karriere. Er zieht im Wetter-Roulette im Qualifying eine Niete und startet nur als 16. Sein WM-Rivale Damon Hill ist Achter. Beide kommen in den ersten Runden im Trockenen rasant nach vorne. Hill führt das Rennen vor Schumacher an, als Regen einsetzt und der Brite auf Regenreifen wechselt. Schumacher zockt und bleibt auf Slicks draußen. Zwar holt Hill rasant auf und ist eigentlich mehr als fünf Sekunden pro Runde schneller als Schumacher, aber er braucht eineinhalb Runden, um am Benetton vorbei zu kommen - ein legendäres Duell. Schumacher hält Hill lange genug hinter sich, um bei wieder abtrocknender Strecke von seinen Slicks profitieren und kontern zu können. Später müssen beide noch einmal auf Regenreifen wechseln, das Duell um den Sieg in den letzten Runden fällt aber aus, weil Hill eine Durchfahrtsstrafe absitzen muss.
1998: Wieder mal ein Regenrennen in Spa, diesmal geht aber nahezu die Welt unter. Der erste Start endet in einer Massenkarambolage und einem Abbruch. Nach dem zweiten Versuch übernimmt Schumacher sehr schnell das Kommando und ist allen anderen haushoch überlegen. Mit fast 40 Sekunden Vorsprung auf Damon Hill macht sich Schumacher an die Überrundung von David Coulthard. Der Schotte geht auf der Ideallinie vom Gas, was Schumacher in der Gischt aber nicht sieht. Die Folge: Er fährt mit voller Wucht auf Coulthard auf und reißt sich ein Vorderrad ab. Beide schleppen sich zurück an die Box, wo Schumacher in höchster Aufregung Coulthard an den Kragen will. Seine Teammitglieder müssen ihn zurückhalten. Schumachers berühmter Vorwurf an Coulthard: "Du hast versucht mit umzubringen!"
2000: Das große Duell des Jahres zwischen Schumacher und Mika Häkkinen findet in einem der besten Überholmanöver aller Zeiten seinen Höhepunkt. Schumacher hat Häkkinen bei abtrocknender Strecke überholt und führt das Rennen bis in die Schlussphase an, als beide WM-Rivalen auf den zu überrundenden Ricardo Zonta auflaufen. Häkkinen ist mit frischeren Reifen schneller, kann Schumacher aber im direkten Duell nicht überholen. Daher nutzt er die Tatsache, dass Schumacher auf der Geraden links an Zonta vorbeigeht, und wählt seinerseits die rechte Seite. Schumacher ist überrumpelt und kann den Angriff von Häkkinen auf der Innenseite nicht mehr abwehren. "Das war nicht von schlechten Eltern", kommentiert Schumacher später das spektakuläre Manöver von Häkkinen.
2004: Schumachers letzter großer Höhepunkt in Spa ist gar kein Sieg. Den sechsten und letzten feiert er 2002. In diesem Rennen wird er von Startplatz zwei aus nur Zweiter, weil Kimi Räikkönen im McLaren furios von Position zehn aus zu seinem einzigen Saisonsieg stürmt. Aber Schumacher ist trotzdem der Mann des Tages, denn er holt sich an der Stelle seines Debüts und seines ersten Sieges seinen siebten und bis dato letzten WM-Titel. Schumacher muss zwei Punkte mehr holen als Ferrari-Kollege Rubens Barrichello. Das gelingt ihm mit einer Punktlandung, denn Barrichello wird Dritter.
Das sagt Schumacher zu seinem Jubiläum
Michael Schumacher: "Es ist der perfekte Platz, diesen Moment zu feiern. Spa wird immer ein Teil von mir bleiben, hier wurde ich zum Formel-1-Piloten geboren. Ich habe in Spa viele sehr schöne und interessante Dinge erlebt. Dort ist für mich quasi alles passiert, was passieren konnte - mein erstes Rennen, mein erster Sieg, mein siebter WM-Titel: das macht Spa für mich aus. Deswegen nenne ich Spa heute mein Wohnzimmer. In meiner Laufbahn scheinen alle Wege immer wieder nach Spa zu führen. 2004 wurde ich in Spa zwar nur Zweiter, aber das reichte zu meinem siebten Titelgewinn. Damit hat sich für mich gewissermaßen ein Kreis geschlossen."
Das sagen Weggefährten zu Schumachers Jubiläum
Sebastian Vettel: "Wir alle werden mit Michael verglichen, seine Fußstapfen sind sehr groß. Was er erreicht hat, ist phänomenal. Es ist nicht die Frage, ob ein Deutscher das jemals noch mal erreicht, sondern ob überhaupt jemand das noch mal schafft."
Jean Todt (FIA-Präsident): "Bei Ferrari elf Jahre mit jemandem wie Michael zusammenzuarbeiten, war einzigartig. Er ist einer meiner engsten Freunde geworden. Michael ist ein ehrenhafter Mann mit einem immensen Pflichtbewusstsein und großer Loyalität, ein Mann mit einem großen Herz."
Norbert Haug (Mercedes-Sportchef): "Es geht in der Formel 1 um Siege und Titel - kein Rennfahrer hat mehr davon, demnach ist Schumacher klar die Nummer 1 aller. Seine Rekorde werden aus meiner Sicht wohl für immer unerreicht bleiben."
Willi Weber (Ex-Manager): "Ich habe an seiner Seite die schönste Zeit meines Lebens verbracht. Da gibt es so viele schöne Momente. Man muss sich vorstellen, wir steigen beide in eine Rakete ein, und die fliegt dann los. Man hatte viel zu wenig Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Wir waren beide damit beschäftigt, den Erfolg zu konservieren. Dem sind wir mehr nachgejagt als uns zu beweihräuchern. Rückblickend wäre es vielleicht besser gewesen, er hätte das Comeback nicht gemacht. Ich leide bei dem, was da gerade passiert. Das Schönste für mich wäre natürlich, wenn Michael wieder aufs Podium fährt und wir den alten Michael Schumacher sehen, den siebenmaligen Weltmeister. Er hat ja das Autofahren nicht verlernt, das geht ja nicht. Er ist für mich immer noch der beste Rennfahrer der Welt."
Stefano Domenicali (Ferrari-Teamchef): "Seine sieben WM-Titel zeigen, dass er der Beste ist, den dieser Sport je gesehen hat. Wir alle bei Ferrari tragen ihn im Herzen und wünschen ihm zu dieser besonderen Gelegenheit alles Gute."
Fernando Alonso: "Es liegt nicht an mir zu beurteilen, dass er der größte Fahrer aller Zeiten ist, aber die Zahlen sprechen für sich selbst. Sieben WM-Titel und 91 Siege sind unglaubliche Rekorde. Ich halte von Michael sehr viel und es ist für mich eine Ehre, gegen ihn zu fahren. Als ich zu Ferrari gekommen bin, habe ich noch stärker realisiert, welche Bande es zwischen ihm und Ferrari gibt."
Jenson Button: "Das ist mein zwölftes Jahr in diesem Sport. Aber 20 Jahre - in diesem Spiel so lange ganz oben zu sein, ist sehr beeindruckend. Für einen Fahrer, mit dem ganzen Stress und Druck, der auf einem lastet, sind 20 Jahre eine lange Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich Rennen fahre, wenn ich in meinen Vierzigern bin."
Eddie Jordan (Ex-Teamchef): "Michael ist wirklich ein alter Sack. Er hatte seine große Zeit. Er sollte aufpassen, dass er den Zeitpunkt zum Absprung nicht verpasst. Michael sollte mit jemandem reden, der ihn davon überzeugt, einem anderen eine Chance zu geben."
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM