20 von 21 Rennen sind absolviert, die längste Formel-1-Saison aller Zeiten ist damit schon fast wieder Geschichte. Es wird also höchste Zeit für ein Fazit! SPOX blickt auf die Tops und Flops des Jahres zurück und gibt euch die Möglichkeit, über die Gewinner und Verlierer abzustimmen. Mit dabei: Mercedes, Max Verstappen, Ferrari und eine misslungene Revolution.
Tops
Der WM-Kampf
Wenn die Mercedes-Konkurrenz auch im dritten Jahr in Folge nur hinterherfährt und ein Silberpfeil-Sieg gefühlt schon vor jedem Rennen feststeht, können sich die Fans in dieser Saison zumindest bis zum finalen Showdown in Abu Dhabi an einem spannenden Kampf um die Fahrerweltmeisterschaft erfreuen.
Sowohl Nico Rosberg als auch Lewis Hamilton haben noch die Chance, den Titel zu holen. Vorausgegangen war ein ständiges Auf und Ab beider Piloten. Eine wilde Achterbahnfahrt, die schon mehrfach entschieden schien und dann doch immer wieder eine neue Wendung bekam.
Blicken wir zum Beispiel auf den Moment, als Rosberg beim vierten Saisonrennen in Russland seinen vierten Sieg einfuhr und fette 43 Punkte Vorsprung auf Hamilton hatte. Oder blicken wir auf den Moment, als Hamilton im Juli den Großen Preis von Ungarn gewann und plötzlich die WM anführte. Oder als sich der Brite eine Woche später durch seinen Erfolg beim Deutschland-GP mit einem 19-Punkte-Polster in die Sommerpause verabschiedete.
Wer dachte, dass Hamilton nun problemlos zu seinem dritten Titel in Folge cruisen würde, hatte sich aber gewaltig geschnitten. Rosberg startete mit dem GP von Belgien eine erneute Siegesserie und mauserte sich dank formidabler Start-Ziel-Siege und Hamiltons Motoren-Pech in Malaysia zum Titelanwärter Nummer eins.
Zeit zum Aufgeben also, Lewis? "Der Moment, in dem du aufgibst, ist der Moment, in dem du verlierst. Ich war nie jemand, der aufgegeben hat und werde jetzt auch nicht damit anfangen", stellte Hamilton klar. Drum ließ er seinen Worten Taten folgen und gewann in den USA, in Mexiko und in Brasilien. Übrig geblieben sind zwölf Punkte Rückstand auf Rivale Rosberg.
Force India
Mercedes und Ferrari sind Automobilkonzerne, die hunderte Millionen Euro in das Projekt Formel 1 stecken. Red Bull ist ein Milliardenunternehmen in den Händen von Dietrich Mateschitz, der sich ebenfalls nicht scheut, jährlich riesige Summen in das Werbebecken Königsklasse zu investieren. Dass diese drei Teams die Konstrukteurswertung mit deutlichem Vorsprung anführen, ist da eigentlich selbstverständlich.
Die Frage, die sich diese Saison also erneut stellt: Welches Team wird the Best of the Rest? Die Antwort: Force India. Ja richtig, der Rennstall, der seit seinem Einstieg 2008 finanziell zu kämpfen hat und der dem indischen Unternehmer Vijay Mallya gehört, der seit Monaten in England festsitzt, weil ihn die heimische Justiz jagt.
Als der exzentrische Mallya das marode Jordan-Team kaufte und daraus Force India machte, hätte wohl niemand damit gerechnet, dass sein "Spielzeug" längerfristigen Erfolg haben würde. Doch mit kontinuierlicher Aufbauarbeit hat man alle überrascht. Zehnter, Neunter, Siebter, Sechster, Siebter, Sechster, Sechster, Fünfter - das sind die Konstrukteursplatzierungen in den letzten Jahren. 2016 wird aller Voraussicht nach Platz vier hinzukommen. Mit 163 Punkten hat man ein Rennen vor Schluss 27 Zähler Vorsprung auf Williams (136).
Was Force India auszeichnet? Effizienz. Mit einem kleinen Team holen sie das meiste aus ihren Möglichkeiten heraus. Mit dem Mercedes-Antrieb haben sie darüber hinaus den besten Motor im Feld. Hinzu kommt, dass die Konkurrenz schwächelt. Weder McLaren noch Renault und das börsennotierte Williams-Team haben ein gutes Jahr erwischt, Force India profitiert.
Auch auf dem Fahrermarkt haben sich die Inder gut aufgestellt. Mit Nico Hülkenberg und Sergio Perez hat man ein Duo in den Cockpits, das seine Qualitäten schon längst bewiesen hat. Der Mexikaner schaffte es dieses Jahr sogar zwei Mal aufs Podium. Hülkenberg wird den Rennstall 2017 in Richtung Renault verlassen.
Ausgeglichenes Feld
HRT. Caterham. Lotus. Marussia. Würde man in einem Formel-1-Lexikon nach "Hinterbänklern" suchen, wären diese Teams Paradebeispiele für den unrühmlichen Begriff. Seit ihrem Formel-1-Einstieg 2010 fuhren diese Rennställe jahrelang ohne Chance auf Anschluss hinter dem Feld her.
HRT und Caterham, das später als Lotus an den Start ging, haben sich schon längst wieder aus dem F1-Zirkus verabschiedet. Marussia hingegen ist als Manor noch dabei - und hat in diesem Jahr einen Riesenschritt gemacht. Während man bis 2016 die letzte Startreihe standardmäßig gebucht hatte, schaffte es Manor - unter anderem mit Hilfe des Mercedes-Motors -, den Anschluss an das hintere Mittelfeld zu finden.
Anschaulich wird das durch einen Vergleich der Qualifying-Zeiten. Wir betrachten Q1 zum Großen Preis von Spanien. Der Kurs bei Barcelona dient jährlich als Wintertest-Strecke und gibt mit seinen schnellen und langsamen Kurven einen guten Allrounder ab. 2015 fuhr Roberto Merhi im Manor hier eine 1:32,0 und war damit 5,6 Sekunden langsamer als Hamilton (1:26,4). In diesem Jahr fehlten Rio Haryanto mit seiner 1:25,9 nur noch 2,9 Sekunden auf Rosberg. Diese Tendenz zeichnet sich auf allen Strecken ab.
Nachdem Sauber beim Brasilien-GP punkten konnte, haben darüber hinaus alle Teams in dieser Saison Zähler gesammelt. Das gab es zuletzt 2009.
Auch im Mittelfeld geht es enger zu. Mit McLaren, Toro Rosso, Haas, Williams, Force India hat man fünf Teams, die sich im Normalfall um die letzten Plätze in Q3 streiten. Ein Bild, das man so nicht immer hatte.
Max Verstappen
Es war der viel zitierte Paukenschlag, den Red Bull mit seinem plötzlichen Fahrertausch nach dem Russland-GP auslöste. Daniil Kvyat wurde nach seinen Torpedo-Aktionen ins Toro-Rosso-Cockpit degradiert, Max Verstappen ins Red-Bull-Hauptteam befördert. Es war gewiss keine unpolitische Entscheidung der Bullen-Bosse. Dass sie aber nichtsdestotrotz sportlich richtig war, hat Verstappen im restlichen Saisonverlauf bewiesen.
Klar, Daniel Ricciardo hat mit 209 zu 179 Punkten in der gemeinsamen RB-Zeit die Oberhand behalten. Doch ist Verstappen eben auch erst in seiner zweiten Formel-1-Saison. Von Jahr zu Jahr wird er an Erfahrung gewinnen und besser werden. Nicht umsonst gilt er bei nahezu allen Experten als kommender Weltmeister.
Dass Red Bull mit dem 19-Jährigen einen Goldjungen in seinen Reihen hat, wurde schon bei seinem ersten Rennen in Spanien deutlich, das er sensationell gewann und sich so zum jüngsten GP-Sieger aller Zeiten kürte.
Auch in den Folgerennen blitzte sein Können immer wieder auf. Seine jüngste Triumphfahrt im brasilianischen Regen, bei er laut Mercedes' Motorsportdirektor Toto Wolff die physikalischen Gesetze außer Kraft setzte, erinnerte viele schon an Legenden wie Michael Schumacher und Ayrton Senna. Wenngleich solche Vergleiche natürlich verfrüht sind, zeigten Verstappens Überholmanöver seine schon jetzt vorhandene Klasse.
Allerdings: Man darf nicht vergessen, dass die Meinungen um den Niederländer nicht immer positiv waren. Von "Psychatrie" (Niki Lauda) und "Bastard" (Vettel) war beispielsweise die Rede, wenn es um Mad Max ging. Darüber hinaus wurde von der FIA extra eine "Verstappen-Regel" eingeführt, die einen Spurwechsel beim Anbremsen verbietet. Der Youngster hatte mit solchen Manövern seine Konkurrenten mehrfach in Gefahr gebracht.
Ob man nun Fan des selbstbewussten Teenagers ist oder nicht: Man spricht und diskutiert über ihn - und damit auch über die Formel 1. Und ist es nicht das, was wir wollen und was die angeknackste Rennserie braucht?
Flops
Die Quali-Revolution
Mercedes' Aufsichtsratsboss Niki Lauda sprach bei RTL von einem "Griff ins Klo" und dem "größten Fehler, den wir je gemacht haben". Toto Wolff nannte es einen "ziemlichen Müll". Und Red-Bull-Teamchef Christian Horner wollte sich "bei den Fans entschuldigen".
Der Grund für den ganzen Unmut: das neue Quali-Format, das die Formel-1-Verantwortlichen zur 2016er-Saison einführten. Im Stile eines Shootouts schied nach einer Einrollphase alle 90 Sekunden ein Fahrer aus dem Pole-Wettbewerb aus. Damit sollte erreicht werden, dass jeder Pilot quasi zu jedem Zeitpunkt auf der Strecke sein muss. Außerdem sollte der Zufallsmoment etwas größer sein und die Mercedes-Dominanz gebrochen werden.
So die Theorie. In der Praxis sah es dann schon beim Auftakt in Australien anders aus: Die Favoriten setzten sich wie üblich durch. Am Ende von Q3 sparten Ferrari und Co. lieber Reifen, als Mercedes nochmal wirklich anzugreifen. Langeweile statt Überraschung. Stillstand statt Action. Die Farce war perfekt.
Obwohl sich die Teamchefs noch in Melbourne auf die sofortige Abschaffung des neuen Modus einigten, gab die Formel-1-Kommission der Revolution eine zweite Chance. In Bahrain kam erneut das Shootout zum Einsatz - wieder ohne den erwünschten Erfolg. Also hatten Kommission und der Motorsport-Weltrat Erbarmen. Zum China-GP kehrten sie zum altbekannten System zurück.
Abschied zweier alter Hasen
Zugegebenermaßen ist der Abschied von Felipe Massa und Jenson Button nach der Saison kein klassischer Flop. Doch für alle Sentimentalisten (und wer ist das nicht?) ist eine Formel 1 ohne den sympathischen Brasilianer und Sunnyboy Button eigentlich kaum vorstellbar.
Seit 2002 bzw. seit 2000 sind die beiden in der Königsklasse aktiv. Zusammen haben sie exakt 555 Grands Prix auf dem Buckel und 26 Siege und 24 Pole Positions eingefahren. Button wurde 2009 Weltmeister, Massa hatte in einem dramatischen Finale ein Jahr zuvor den Titel für 30 Sekunden in den Händen.
Nun, nach dem Rennen in Abu Dhabi, wird das alles endgültig Geschichte sein. Massa gab seinen Rücktritt auf einer emotionalen Pressekonferenz im Rahmen des Großen Preises von Italien Anfang September bekannt. Zwei Tage später verkündete McLaren, dass Stoffel Vandoorne 2017 das Button-Cockpit übernehmen wird.
Zwar sprach der Engländer lediglich von einem "Sabbatical" - also einem Jahr Auszeit, in dem er nur als Ersatzfahrer für den Traditionsrennstall tätig ist - und von einer Rückkehr 2018. Doch ob McLaren dem dann 38-Jährigen wirklich einen Stammplatz gibt? Irgendwie schwer vorstellbar.
Unklare Streckenbegrenzungen
Hamilton verbremst sich bei der Anfahrt auf die erste Kurve, fährt diagonal über die Wiese und kürzt so die Schikane ab. Einige Runden später tut es ihm Verstappen bei einem Verteidigungsmanöver gegen Vettel gleich. Während der Weltmeister ungeschoren davon kommt, erhält der Red-Bull-Youngster eine 5-Sekunden-Strafe.
Die Bilder des vergangenen Mexiko-GPs sind wohl noch allen klar vor Augen. Genau wie die anschließenden Diskussionen: Warum wird Verstappen sanktioniert und Hamilton für ein vermeintlich gleiches Vergehen nicht? Charlie Whiting nahm daraufhin bei der offiziellen Fahrer-PK vor dem Brasilien- Wochenende teil, um die Entscheidung der Rennstewards zu erklären.
Wirklich überzeugend war das nicht. Zu unklar sind die Regeln bezüglich des Verlassens der Strecke. Und das nicht zum ersten Mal: In Ungarn beispielsweise war es in einigen Kurven erlaubt, die Strecke zu verlassen, in anderen wiederum nicht. Einheitlichkeit sieht anders aus.
Warum es diese Debatte überhaupt gibt? Weil die Streckenbegrenzungen vielerorts nicht eindeutig definiert sind. Mit immer mehr asphaltierten Auslaufzonen sind die Fahrer geneigt, bewusst von der Strecke abzukommen, um einen besseren Kurvenradius fahren zu können. Dass das kein hinnehmbarer Zustand ist, da sind sich immer mehr Leute einig.
"Ich bin ein Fan von Kies. Weil er dich bestraft, auch wenn du nicht stecken bleibst. Das klaut dir den Vorteil, den dir das Abkürzen oder die schnellere Linie vielleicht bringt", meint Ricciardo.
Ferrari
"Wir wollen bis zum Ende um die WM kämpfen", posaunte Ferraris Teamchef Maurizio Arrivabene vor Saisonbeginn. Und Sebastian Vettel sagte im März selbstbewusst: "Das neue Auto ist viel schneller. Ich denke, das ist ein Schritt nach vorne in jeglicher Hinsicht."
Was vom deutsch-italienischen Optimismus geblieben ist? Praktisch nichts. Statt wie im Vorjahr um Siege mitzufahren und Mercedes ernsthaft herauszufordern, liegt Ferrari nur auf Platz drei der Konstrukteurswertung. 71 Punkte hinter Red Bull, 397 hinter Mercedes. Dass die Scuderia 2017 ein ernsthaftes Wort um den Titel mitreden kann, bezweifeln immer mehr Experten.
Während zu Saisonbeginn immerhin Podestplätze zum roten Standard gehörten, geht seit Mitte des Jahres kaum noch etwas. Mal fehlte schlicht der Speed, mal bekamen Vettel und Kimi Räikkönen ihre Reifen nicht ins Arbeitsfenster. Und wenn es doch mal gut lief, patzten die Strategen am Kommandostand.
Mit den schlechten Ergebnissen wuchs der Frust, intern soll es kriseln. Technikchef James Allison verließ Ferrari im Sommer nach drei Jahren - offiziell aus privaten Gründen, in den Medien wurde jedoch auch über Meinungsverschiedenheiten berichtet. Auch Vettel und Arrivabene wird mittlerweile ein angespanntes Verhältnis nachgesagt. Dass der Heppenheimer alles andere als zufrieden ist, zeigen seine zahlreichen Flüche am Boxenfunk, über Fahrerkollegen, fehlende blaue Flaggen oder Rennleiter Charlie Whiting.
Die Formel-1-Saison 2016 im Überblick