2004 feierte Uwe Rapolder mit Arminia Bielefeld den Aufstieg in die Bundesliga und galt als eine der größten Trainer-Hoffnungen in Deutschland. Doch bei einem Topverein stand der 57-Jährige nie unter Vertrag. Im Interview mit SPOX erklärt er seine sportliche Entwicklung und spricht über alte Weggefährten wie Lukas Podolski und Mario Basler.
SPOX: Herr Rapolder, warum treffen wir Sie heute nicht in einer Bankfiliale an? 1985 hatten Sie doch eigentlich ein Wirtschaftsstudium beendet.
Uwe Rapolder: 1990 musste ich mir mit Anfang 30 überlegen, was ich mein Leben lang machen möchte. Fußball oder Bank? Nach meiner Zeit bei Young Boys Bern habe ich zwar in der Schweizer Kreditanstalt gearbeitet, aber da Fußball mein Virus war, habe ich das Angebot als Spielertrainer beim FC Martigny-Sports in der dritten Schweizer Liga angenommen. Daraufhin habe ich voll auf die Karte Fußball gesetzt.
SPOX: War es die richtige Entscheidung?
Rapolder: Absolut, ich habe als Trainer um die 450 Spiele im Profibereich gemacht und war zu meiner Bielefelder und Kölner Zeit ganz vorne dabei. Ich habe viel erlebt und diese Erfahrungen haben mich auch persönlich weitergebracht. Obwohl der Trainerjob nicht einfach ist, liegt mir das mehr, wobei mir die Arbeit in der Bank nie geschadet hätte. Wenn man eine Schweizer Bank betritt, merkt man sofort, wo der Hammer hängt: Da herrscht Disziplin. Die Stringenz und Seriosität in diesem Bereich ist immens.
SPOX: Wären Sie damit auf Dauer nicht glücklich geworden?
Rapolder: Ich bin eher ein lustiger Typ und diese Ernsthaftigkeit jeden Tag so zur Schau zu stellen, wäre mir schwer gefallen. Der Trainerjob beinhaltet viele Facetten und ich habe eine große Bandbreite an Eigenschaften. Wenn man aus Rapolder ein Anagramm bildet, kommt 'der Polar' heraus - und so bin ich. Deshalb war ich auch nie der windschlüpfrige Trainer.
SPOX: Derzeit trainieren Sie kein Team. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Rapolder: Im Moment trainiere zwar nicht mehr, aber nur auf der Terrasse zu liegen, ist natürlich zu wenig - dafür bin ich zu jung. Deshalb habe ich mich auf die Spielerentwicklung konzentriert und Pole-1 gegründet. Ich versuche, junge Spieler verschiedener Nationalitäten sportlich, menschlich und im Bereich Sozialkompetenz auf den Profibereich vorzubereiten. Zusätzlich halte ich Managementvorträge und gebe verschiedene Coaching-Seminare in Wirtschaftsbetrieben.
SPOX: Heutzutage ist es üblich, dass alle Statistiken per Computer gespeichert werden. Nutzen Sie diese technisch erhobenen Daten auch bei Pole-1?
Rapolder: Wir bekommen schon Bildträger mit einem groben Überblick, aber ich muss die Spieler auf dem Platz sehen. Bei einem Spieler sind drei Dinge entscheidend: Fachbereich, individuelle Persönlichkeitsmerkmale und Sozialkompetenz. Der Fachbereich betrifft die Physis, Technik und Taktik. Die individuellen Persönlichkeitsmerkmale sind Charakter, Durchsetzungsvermögen, Lernfähigkeit, gesunde Aggressivität und einige mehr. Der Fußball ist in Deutschland sehr verspielt geworden, das hängt mit dem Ballbesitz-Fußball von Pep Guardiola zusammen. Aber junge Spieler brauchen die gesunde Aggressivität sowohl mit als auch ohne Ball.
SPOX: Und die Sozialkompetenz?
Rapolder: Sie ist die wichtigste Komponente und beinhaltet Teamverhalten, Solidarität und Loyalität. Deshalb hatten wir bei der WM auch so einen Erfolg. Beim DFB wurden über Jahre alle aussortiert, die vom Sozialverhalten und Charakter nicht mehr dazu gepasst haben. Das waren zum Beispiel Michael Ballack, Torsten Frings und Oliver Kahn. Im Gegenzug wurden nur Spieler mit einer hohen Teamfähigkeit nominiert.
SPOX: Diese Faktoren sind technisch jedoch schwierig zu erfassen.
Rapolder: Laufbereitschaft, Kopfballduelle und Anzahl der Sprints lassen sich messen und diese Daten sind natürlich wichtige Hilfsmittel. Spielintelligenz, Mut und Optimismus kann man jedoch nicht speichern. Für mich sind das aber die entscheidenden Faktoren.
SPOX: Eine ähnliche Einschätzung gab Mehmet Scholl zuletzt ab, als er sagte, es gäbe zu viele Laptop-Trainer.
Rapolder: Da gebe ich ihm vollkommen Recht. Jeder Trainer muss die komplette Palette beherrschen und braucht eine gute Spielidee - die Motivationsschiene alleine reicht ebenso wenig wie die reine Auswertung von Daten nicht mehr aus. Außerdem ist das Persönlichkeitsbild, das in die Öffentlichkeit transportiert wird, extrem wichtig. Das war immer mein Problem.
SPOX: Inwiefern?
Rapolder: Wenn es nach meiner Fachkompetenz ginge, müsste ich längst einen Topverein in Deutschland trainieren. Aber ich wurde von Anfang an in eine Schublade gesteckt: schwieriger Mensch, unkonventionell und zu hart zu den Spielern. Es wurden Berichte über mich geschrieben, in denen alles erstunken und erlogen war - da sind wirklich Schweinereien gelaufen. Wenn ich heute ein Buch schreibe, würden sich einige wundern. Mir wurde zum Beispiel vorgeworfen, dass ich zu viel verdienen würde, aber ich habe noch nie einen Cent zu viel genommen. Bei solchen öffentlichen Schelten bekommt man Berührungsängste. Man muss auch als Trainer Mensch bleiben dürfen. Ich habe weiterhin meine Zigarillos geraucht, meinen Wein und womöglich noch einen Grappa getrunken.
SPOX: Ist Ihr falsches öffentliches Bild der Grund dafür, dass die Namen Ihrer Vereine nach dem 1. FC Köln immer kleiner wurden?
Rapolder: Ja, erschwerend kam hinzu, dass ich schlecht beraten war. Man braucht einen Berater, mit dem man reflektieren kann, aber meiner hatte keine Ahnung von Fußball. Außerdem empfehle ich jedem Trainer, dass er sich einen Berater nimmt, der keine anderen Trainer betreut. Mein Berater hatte acht Trainer und als ich hätte wechseln können, hat er zweimal einen anderen Trainer reingedrückt. Aber ich selbst habe auch Fehler gemacht.
SPOX: Welche?
Rapolder: Ich hatte ein ganz hohes Maß an Identifikation mit meinem Job. Für mich waren Siege überlebenswichtig und mit Misserfolg konnte ich gar nicht umgehen, weil ich Niederlagen immer sehr persönlich genommen habe. Da habe ich mich dann schnell selbst hinterfragt. Das Gute war, dass ich meine Ziele eigentlich immer erreicht habe.
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Uwe Rapolder im Steckbrief
SPOX: Sie hatten mit Ihren Teams auf Anhieb Erfolg: Was ist Ihr Geheimnis?
Rapolder: Ich glaube, ich habe eine starke Motivationskraft und kann den Spielern suggerieren, dass sie die Besten sind. Um eine neue Flamme zu entfachen, sind wir als erstes für ein paar Tage ins Trainingslager gefahren. Trotzdem war ich nie ein Feuerwehrmann, sondern wollte mit einem Konzept etwas aufbauen. Über mich wurde gesagt, dass ich der erste Konzept-Trainer in Deutschland war. Die Begriffe 'Vertikalspiel' und 'Automatismen' habe ich eingeführt - ich bin ein moderner Trainer und habe meinen Input in Deutschland gebracht.
SPOX: Mit Ihrem Konzept haben Sie 2004 Ihren wohl größten sportlichen Erfolg gefeiert, als Sie mit Arminia Bielefeld aufgestiegen sind. Trotzdem war dieses Kapitel schnell beendet. Warum?
Rapolder: In Bielefeld habe ich meinen Durchbruch geschafft, aber nach dem Aufstieg hat der Verein fünf Spieler abgegeben - ohne mich zu fragen. Da musste ich wechseln. Zur gleichen Zeit war ich bei fünf Erstligisten im Gespräch. Ich habe mich für Köln entschieden, weil das der einzige Verein war, der sofort frei war und sich Wolfgang Overath extrem um mich bemüht hat. Mit dem Wissen von heute hätte ich ein Jahr Pause machen sollen - ähnlich wie Klopp oder Tuchel. Der Wechsel zu Köln war ein Fehler.
SPOX: Wieso?
Rapolder: Köln hätte man in der 2. Liga übernehmen müssen - für die Bundesliga war der Kader nicht gut genug. Wir haben trotzdem einen starken Start hingelegt und ich wurde ohne Ende gefeiert. Aber nach acht Spielen ging das Theater los. Als Andreas Rettig dann an Weihnachten aufgehört hat, wurde ich direkt mitentsorgt. Hätte ich nach Bielefeld eine oder zwei Wochen gewartet, wäre ich bei einem Spitzenklub gelandet.
SPOX: Also haben Sie zu vorschnell gehandelt?
Rapolder: Ich war mit vier Vereinen in Kontakt, für mich waren besonders Bayer Leverkusen und der VfB Stuttgart interessant. Aber die hatten einen Trainer und haben gesagt, ich soll in Bielefeld weitermachen - sie würden mich ein Jahr später holen. Meine Frau sagte aber, dass sie nicht erst ein Vierteljahr nach Bielefeld gehe, nur um ein paar Monate später nach Leverkusen, Stuttgart oder Wolfsburg umzuziehen. Da habe ich beschlossen, dass wir nach Köln gehen.
SPOX: Dort haben Sie Lukas Podolski trainiert und ihn mit 19 Jahren zum Kapitän ernannt.
Rapolder: Das wurde damals total hochgespielt mit 'Poldi 1, Poldi 2' - das hat ja auch vom Namen her perfekt gepasst. Ich habe für ihn eine Position in der Mannschaft gesucht und viel ausprobiert. Denn er hat seine Qualitäten in der Offensive, aber ihm fehlt das mannschaftstaktische Verhalten. Als ich dann gesagt habe, dass er links am besten aufgehoben ist, wurde ich niedergemacht, weil er da verschenkt wäre. Und wo spielt Poldi seit zehn Jahren? Auf links.
SPOX: Tut es Ihnen weh zu sehen, wie Podolski in Europa keinen langfristigen Arbeitgeber findet?
Rapolder: Nein, das bestätigt mich ein bisschen. Denn als wir damals die Klasse halten wollten, wäre es nur mit dem gesamten Team gegangen. Ich mag Poldi, aber ein einzelner Spieler kann nicht alleine erfolgreich sein - auch die größten Stars müssen sich integrieren.
SPOX: Nach dem FC arbeiteten Sie bei der TuS Koblenz. Dort haben Sie Mario Basler zu Ihrem Co-Trainer gemacht. Warum?
Rapolder: Wir kannten uns und ich wollte Mario einen Gefallen tun. Außerdem hat Roger Wittmann mich darum gebeten, ihm eine Chance zu geben und zum Einstieg zu verhelfen. Er war aber nicht der Einzige, der bei mir hospitiert hat: Ich habe zum Beispiel Joe Zinnbauer, den sonst keiner haben wollte, eine Chance gegeben.
SPOX: Mittlerweile ist Basler seit drei Jahren ohne Trainerjob.
Rapolder: Mario ist ein guter Junge und er hat einen Farbtupfer nach Koblenz gebracht. Aber er war ein zu guter Fußballer, weshalb er auch von anderen Spielern zu viel erwartet. Ich habe ihn mal nach Pfullendorf geschickt, um Johannes Flum zu beobachten. Als er zurückkam, hat er gesagt: 'Der schafft's nicht'. Mario ist in seiner Beurteilung oft von der Klasse seiner ehemaligen Teamkollegen ausgegangen.
SPOX: Sie selbst sind im Oktober 2014 noch einmal bei Sonnenhof Großaspach auf die Trainerbank zurückgekehrt. Wie kam es dazu?
Rapolder: Ich habe es gemacht, weil von Anfang an klar war, dass ich nur interimsweise für Rüdiger Rehm einspringe. Ich wollte eigentlich schon länger aufhören, aber ich kenne die Verantwortlichen sehr gut. Mit den neun Punkten aus den ersten drei Spielen haben wir den Patient wieder ins Leben gerufen. Es war ein absoluter Freundschaftsdienst, ein einmaliges Ding.
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