Rangnicks neues Schalke

Tim Frische
20. Mai 201115:41
Schalkes Mannschaft steht zur kommenden Saison vor einem UmbruchGetty
Werbung

Der FC Schalke 04 war in dieser Saison eines der großen Rätsel der Liga. In Champions League und DFB-Pokal spielten die Königsblauen phasenweise groß auf, im Alltagsgeschäft Bundesliga liefen sie den Ansprüchen meist ganz weit hinterher. Folglich steht am Ende der 14. Tabellenplatz und die Erkenntnis, dass auf Schalke wieder einmal vieles umgekrempelt werden muss. Für Ralf Rangnick und Horst Heldt steht ein ereignisreicher Sommer bevor.

Es ist schon eine kuriose Situation: Trotz der schlechtesten Bundesliga-Saison seit der Spielzeit 1993/1994 und der schlechtesten Offensive aller Nichtabsteiger (38 Tore) kann der FC Schalke 04 dieses Jahr bei einem Sieg im DFB-Pokalfinale gegen den MSV Duisburg (Sa., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) noch mit einem Titel krönen. Es wäre der erste, seit dem Pokalsieg gegen Bayer Leverkusen 2002.

BLOG Das neue Schalke

Trotz der erfolgreichen Saison in Pokal und Champions League (Halbfinal-Teilnahme) ist allerdings Fakt: In der Bundesliga hechelte der Vizemeister des letzten Jahres seinen hohen Ansprüchen weit hinterher. "Dieser Tabellenplatz ist die Wahrheit", weiß auch Manager Horst Heldt. "Wir sind in keiner Phase der Saison unseren Ansprüchen gerecht geworden."

Aufgeblähter Kader

Felix Magath hinterließ auf Schalke einen aufgeblähten Kader. Der Personalaufwand stieg im Vergleich von 2009 auf 2010 um knapp 15 Millionen Euro. Begründet wurden die Mehrausgaben damit, dass Schalke ohne diese in der Champions League nicht hätte erfolgreich sein können. Letztlich zeigten allerdings die Leistungen in der Bundesliga, dass sich der Kader trotz seines radikalen Umbruchs und steigender Kosten keineswegs verbessert hatte.

Nun darf sich Ralf Rangnick daran versuchen, Schalke erneut komplett neu aufzustellen. Rangnicks Ziel ist es, den momentan 32 Spieler umfassenden Kader soweit zu verkleinern, dass jede Position nur noch doppelt besetzt ist - kein leichtes Unterfangen.

Die Torhüter: Manuel Neuers Wechsel zum FC Bayern München ist beschlossene Sache. Beide Klubs haben sich allerdings darauf verständigt, mit der Bekanntgabe bis nach dem Pokalfinale zu warten. Der Verkauf Neuers spült S04 wohl mindestens 18 Millionen Euro in die Kasse. Hinzu könnten weitere sieben Millionen an Erfolgsprämien fließen.

Geld, das die finanziell nach wie vor klammen Schalker gut gebrauchen können. Ein Teil der Ablöse soll in den Abbau der Schulden gesteckt werden, ein anderer Teil muss investiert werden, um einen Ersatz für Neuer zu holen.

Mathias Schobers auslaufender Vertrag wird aller Voraussicht nach verlängert, der 35-Jährige soll weiterhin als zuverlässige Nummer zwei zur Verfügung stehen. U-23-Keeper Lars Unnerstall wird der Sprung zur neuen Nummer eins noch nicht zugetraut.

Wer könnte also Neuer in der kommenden Saison beerben? Hannovers Ron-Robert Zieler gilt als Wunschkandidat und aktuell wahrscheinlichste Lösung. Auch wenn der derzeitige 96-Schlussmann noch nicht an die Klasse Neuers heranreicht, erinnert der 22-Jährige von seinen Anlagen her an die deutsche Nummer eins.

Falls sich Schalke durch den Pokalsieg (wie Hannover) für die Europa League qualifiziert, wäre die kurzfristige sportliche Perspektive für Zieler dieselbe, langfristig dürfte Schalke finanziell wie auch sportlich die attraktivere Adresse bleiben. Zielers Vertrag in Hannover läuft laut "Bild" bis 2012, macht er nächste Saison mindestens 20 Spiele, verlängert sich der Vertrag automatisch um ein weiteres Jahr. Bei einem Wechsel wäre deshalb eine stattliche Ablöse fällig.

Neben Zieler wurden zuletzt vor allem Oliver Baumann (SC Freiburg), Tim Wiese (Werder Bremen), Maarten Stekelenburg (Ajax Amsterdam) und Ralf Fährmann (Eintracht Frankfurt) mit den Königsblauen in Verbindung gebracht. Tom Starke (1899 Hoffenheim) und Artur Boruc (AC Florenz) gelten eher nicht als ernsthafte Alternativen.

Rangnick selbst will sich nicht in die Karten schauen lassen. "Es gibt einige interessante junge Torhüter. Aber auf dieser Position wäre auch die Verpflichtung eines Routiniers denkbar", sagte er der "Bild".

Prognose: Neuers Abschied wird kurze Zeit nach dem Pokalfinale offiziell verkündet. Falls die Verhandlungen mit Wunschkandidat Zieler scheitern, intensiviert man die Bemühungen um einen anderen Keeper mit Perspektive. Weil Oldie Schober als Backup bleibt, kommt wohl eher kein weiterer Routinier.

Teil 2: Abwehr

Teil 3: Mittelfeld

Teil 4: Angriff

Die Innenverteidigung: Mit Benedikt Höwedes, Christoph Metzelder, Kyriakos Papadopoulos, Joel Matip und Nicolas Plestan war die Innenverteidigung in der abgelaufenen Saison quantitativ gut bestückt. Aus St. Pauli könnte der eigentlich bis 2012 ausgeliehene Carlos Zambrano bereits vorzeitig zurückkehren.

Höwedes wird auch in der neuen Spielzeit als Abwehrchef fungieren. Zwar bekundete unter anderem der FC Bayern sein Interesse am 23-Jährigen, doch Schalkes Verantwortliche betonten bereits mehrfach, dass Höwedes unverkäuflich sei.

Wer künftig neben ihm verteidigen wird, scheint derzeit noch offen. Metzelder hatte sich nach schwachem Start stabilisiert, dennoch sind die Geschwindigkeitsdefizite des ehemaligen Nationalspielers unübersehbar. Als ernsthaftester Konkurrent gilt Matip, den Rangnick eher in der Abwehr als auf der Sechs sieht. Papadopoulos hingegen überzeugte zuletzt auch als Abräumer vor der Viererkette.

Plestans Vertrag läuft noch bis 2014. Unter Rangnick bekam der Franzose bislang keine einzige Einsatzminute - das wird sich auch in der neuen Saison wohl nicht ändern. Findet sich ein Abnehmer für den Sommereinkauf, wird der Franzose Gelsenkirchen wieder verlassen. Keine Perspektive gibt es auch für den an Tromsö verliehenen Tore Reginiussen.

Prognose: Höwedes wird auch in der neuen Saison der Schalker Abwehrchef bleiben. Metzelder wird sich mit Papadopoulos, Matip und dem möglicherweise zurückkehrenden Zambrano um die Stelle neben Höwedes streiten. Kehrt Zambrano tatsächlich zurück, könnten Papadopoulos oder Matip soagr für ein Jahr verliehen werden, um weiterhin Spielpraxis zu sammeln. Ein neuer Innenverteidiger wird nicht geholt.

Die Außenverteidigung: Schalkes größte Baustelle bleibt weiterhin die Linksverteidiger-Position. Lukas Schmitz zeigte wiederholt gravierende Mängel im Defensivverhalten, Hans Sarpei ist zu langsam und setzt in der Offensive zu wenige Akzente. Einzig Sergio Escudero zeigte sowohl unter Magath als auch in der Schlussphase unter Rangnick, dass er eine vernünftige Lösung für hinten links sein kann.

Dennoch ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich Schalke um einen neuen Linksverteidiger bemühen wird. Als ernsthafter Kandidat gilt der Freiburger Felix Bastians, der den SC für 2,8 Millionen Euro verlassen kann. Die "Bild" bringt zudem Duisburgs Olivier Veigneau ins Spiel, der im Sommer ablösefrei ist.

Christian Pander, dessen Vertrag nach dieser Spielzeit ausläuft, hat aufgrund einer Zehen-OP keine einzige Minute unter Rangnick spielen können. Wahrscheinlich ist, dass der verletzungsanfällige Linksfuß einen Einjahresvertrag zu deutlich reduzierten Bezügen bekommt. Der von Lwiw ausgeliehene Danilo Avelar wird in die Ukraine zurückkehren.

Auf der rechten Seite wird es wohl keine Veränderungen geben, weil Atsuto Uchida überzeugte und mit dem aktuell verletzten Tim Hoogland ein weiterer Mann für diese Position als Alternative bereit steht.

Prognose: Sarpei und Schmitz werden in der neuen Saison keine Rolle mehr spielen. Möglich ist, dass beide in die zweite Mannschaft geschickt oder an ein anderes Team abgegeben werden. Bei Schmitz würde ein Leihgeschäft Sinn machen. Schalke wird sich auf jeden Fall nach einem neuen Linksverteidiger umsehen. Priorität hat Freiburgs Bastians. Kommt er, wäre die Position mit Escudero doppelt besetzt - wird Pander wieder fit, hätte Rangnick für diese Position gar eine dritte Alternative. Für die rechte Abwehrseite wird kein neuer Spieler verpflichtet, Uchida und Hoogland verteidigen hinten rechts.

Teil 1: Tor

Teil 3: Mittelfeld

Teil 4: Angriff

Das Mittelfeld: Eine entscheidende Frage für die neue Saison wird sein, ob Rangnick im 4-4-2 mit Doppelsechs (wie aktuell) oder im 4-3-3 (sein Lieblingssystem) spielen lassen wird. Entscheidet er sich für ein 4-3-3 mit einem Sechser und zwei Achtern auf den Halbpositionen, dürfte es ein großes Gerangel um den Platz vor der Abwehrzentrale geben.

Papadopoulos und Matip haben in den letzten Rückrundenspielen oftmals auf der Sechs gespielt, und ihre Sache meist sehr ordentlich erledigt. Beide haben allerdings zum Teil erhebliche Probleme im Aufbauspiel. Sollte Rangnick für diese Position einen rigorosen und zweikampfstarken Abräumer im Sinn haben, dürfte Papadopoulos wohl die besten Karten haben

Neben den beiden Youngstern gibt es auch noch den vor seiner Verletzung stark aufspielenden Peer Kluge, das Arbeitstier im Schalker Mittelfeld. Zudem könnte der an Blackburn ausgeliehene Jermaine Jones zurückkehren und wieder eine ernsthafte Option werden. Sowohl Jones als auch Kluge könnten in einem Dreier-Mittelfeld alle Positionen bekleiden.

Jose Manuel Jurado und der aus Kaiserslautern zurückkehrende Jan Moravek wären im 4-3-3 ebenfalls Alternativen für die Halbpositionen im Mittelfeld. Mit Marco Höger könnte Rangnick demnächst eine weitere Alternative zur Verfügung stehen. Der defensive Mittelfeldakteur wird aller Voraussicht nach im Sommer von Alemannia Aachen ins Ruhrgebiet wechseln.

Anthony Annan hingegen wird sich erheblich steigern müssen, um in der kommenden Saison auf Einsatzminuten zu kommen. Die Verträge mit Hao Junmin und Ali Karimi werden nicht verlängert. Vasileios Pliatsikas (Duisburg) und Ciprian Deac (CR Cluj) werden wohl für ein jahr ausgeliehen. Die langzeitverletzten Levan Kenia und Christoph Moritz haben ebenfalls einen schweren Stand. Was aus Alexander Baumjohann wird, scheint derzeit noch offen.

Bleibt Rangnick beim aktuellen 4-4-2, dürfte sich auch beim Personal nicht allzu viel verändern. Neben einem Abräumer (Papadopoulos/Kluge/Jones) könnte Jurado weiterhin den spielerischen Part der Doppel-Sechs übernehmen, eine Rolle, die in Mailand aus der Not geboren wurde, dem Spanier aber deutlich mehr zu liegen scheint, als die des Flügelspielers auf der linken Seite.

Die Positionen auf den Außen würden dann wohl mit Mainz-Rückkehrer Lewis Holtby auf links und Jefferson Farfan auf rechts besetzt werden. Zudem haben die Schalker Kaiserslauterns Ivo Ilicevic auf dem Zettel, der - wie auch Julian Draxler - mit Tempo-Dribblings auf den Außen eine Option wäre.

Mitentscheidend wird im Sommer die Personalplanung um Farfan sein. Der Vertrag des Peruaners läuft im Sommer 2012 aus. Rangnick hatte eine Verlängerung zu einer der obersten Prioritäten erklärt. Sollte sich abzeichnen, dass Farfan nicht über den Sommer 2012 hinaus das S04-Trikot tragen möchte, wird sich Schalke mit einem vorzeitigen Verkauf wohl zumindest beschäftigen.

Prognose: Rangnick wird sich noch nicht auf ein fixes System festlegen und zwischen einem 4-3-3, 4-4-2 und vielleicht gar einem 4-2-3-1 variieren. Kluge, Holtby, Draxler und Farfan sind die einzigen Spieler, die Rangnick unbedingt halten will. Auch Jurado wird eine zweite Chance bekommen. Bis auf Höger und möglicherweise Ilicevic wird Rangnick auf Neuzugänge im Mittelfeld verzichten. Mit Hao, Karimi, Pliatsikas und Deac werden gleich vier Spieler gehen. Zudem ist fraglich, was aus Baumjohann wird.

Teil 1: Tor

Teil 2: Abwehr

Teil 4: Angriff

Der Angriff: Wie im Mittelfeld, ist auch im Sturm die große Frage, in welchem System Rangnick die Königsblauen in der neuen Saison spielen lassen wird. Sollte sich Rangnick für einen Dreier-Sturm entscheiden, wird sich wohl ein Star auf der Ersatzbank wieder finden. Die offensiven Außenpositionen werden dann voraussichtlich von Holtby und Farfan besetzt. Somit bleibt im Sturmzentrum nur Platz für einen Spieler: Raul oder Klaas-Jan Huntelaar.

Für Raul spricht eine insgesamt starke erste Saison in Deutschland, in der er seine Torjägerqualitäten viel konstanter unter Beweis stellte als Huntelaar. Der Niederländer hingegen ist der klassische Stoßstürmer, der sich im Gegensatz zum Spanier weniger im Aufbauspiel beteiligt und stattdessen im Strafraum auf seine Chancen lauert.

Setzt Rangnick wieder auf zwei Stürmer, dann dürften die beiden ehemaligen Königlichen im Sturm erneut gesetzt sein. Raul als hängende Spitze, Huntelaar als Stoßstürmer.

Ob Edu in der kommenden Saison weiterhin als Backup eingeplant wird, bleibt fraglich. Bis auf wenige Ausnahmen (CL-Spiel bei Inter) blieb der Brasilianer in dieser Saison blass. Seine technischen Defizite sind unübersehbar. Mario Gavranovic brauchte lange, um sich seine Chancen zu erspielen. Der 21-Jährige konnte diese aber bis zu seiner Verletzung durchaus nutzen und dürfte auch in der neuen Saison seine Einsatzzeiten bekommen.

Der auslaufende Vertrag mit Angelos Charisteas wird nicht verlängert. Ob der mit dem FC St. Pauli abgestiegene Gerald Asamoah tatsächlich nach Gelsenkirchen zurückkehrt, wie es Horst Heldt noch im März betonte, bleibt ebenfalls fraglich.

Als Neuzugang gehandelt wird Ireneusz Jelen. Der 30 Jahre alte Pole von AJ Auxerre (Vertrag läuft aus) wurde bereits in der vergangenen Saison mit den Königsblauen in Verbindung gebracht. Angeblich haben die Schalker nun wieder Interesse am Stürmer.

Prognose: Rangnick liebäugelt zwar mit einem 4-3-3, muss mangels Alternativen (v.a. links) aber wohl auf einen Zweiersturm setzen, in dem Raul und Huntelaar gesetzt und Edu und Gavranovic die ersten Alternativen sind. Ein 4-3-3 wäre mit Raul und Huntelaar ohnehin kaum umsetzbar. Ein Neuer kommt wohl nur, wenn einer der vier Stürmer geht.

Fazit: Für Rangnick wird es ein schwieriges Unterfangen, den Kader schon nach dieser Saison auf maximal 25 Spieler herunterzufahren. Das Erbe, das Magath hinterlassen hat, ist einfach nicht in einer Sommerpause zu bewältigen. Dennoch hat Rangnick durch die Einnahmen in der Champions League und den bevorstehenden Verkauf von Manuel Neuer ein paar Millionen Euro in der Hand, um das Team nach seinen Wünschen zu verstärken

Rangnick sieht sich dabei offenbar bevorzugt nach jungen deutschen Talenten (Zieler, Höger, Bastians) um, um langfristig etwas aufbauen zu können.

"Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies und Manager Horst Heldt haben mich geholt, um hier konzeptionell zu arbeiten und eine Mannschaft aufzubauen, die langfristig erfolgreichen Fußball spielt und mit der sich unsere Fans identifizieren können", sagt der Schalke-Coach.

Teil 1: Tor

Teil 2: Abwehr

Teil 3: Mittelfeld