SPOX: Schubert gehörte bis vor wenigen Jahren zu den hoffnungsvollsten Trainer-Talenten und fand nun bei der deutschen U-15-Nationalmannschaft Unterschlupf. In St. Pauli wurde ihm zuerst vorgeworfen, dass er zu konsequent sei. In Folge dessen passte er den Führungsstil an - und plötzlich war er nicht mehr geradlinig genug. Wie geht ein junger Coach mit einem derartigen Rückschlag um?
Kosicke: Die Klubs wissen, dass er ein guter, qualifizierter Trainer ist. Trotzdem hängt ihm St. Pauli eine Zeit lang nach. Viele vergessen, dass er es war, der in Paderborn die Strukturen aufgebaut hatte, ohne die die Bundesliga undenkbar gewesen wäre. Ich bin mir dennoch sicher, dass er irgendwann wieder im Profifußball auftauchen wird. Jetzt geht es erst einmal darum, dass er wieder eine Mannschaft trainieren kann, das ist das wichtigste für ihn. Obwohl einige meinen, dass die Karriere vorbei ist, wenn man von St. Pauli in den U-15-Bereich geht. Für Andre ist das egal, er braucht das Arbeiten mit einer Mannschaft einfach. Und es gibt schlechtere Arbeitgeber als den DFB.
SPOX: Welche Lehren ziehen Sie aus solchen Erlebnissen?
Kosicke: Man kann nur sein eigenes Ding durchziehen. Da können wir alle etwas von Jürgen Klinsmann lernen, wie er mit Überzeugung hinter einem Projekt steht und ihm dadurch Glaubwürdigkeit verleiht. In jeder Kabine merken es die Spieler, wenn der Vorgesetzte nur ein bisschen von seiner Linie abweicht. Es wird ihm sofort als Schwäche ausgelegt. Stattdessen muss man an seinem Kurs festhalten, so wie Klinsmann es von 2004 bis 2006 beim DFB getan hat. Oliver Bierhoff geht das als DFB-Manager ähnlich an. Als er die Idee mit dem Campo Bahia als das Zuhause während der WM hatte, meinten viele: "Oh Gott, der Bierhoff will sich sein eigenes Hotel bauen." Oliver hielt daran fest, weil er sicher war, dass nur so der besondere Geist entsteht, der am Ende den Unterschied ausmacht. Und am Ende ist Deutschland Weltmeister und alle finden Campo Bahia super. Jeder Trainer benötigt diesen Charakterzug: "Entweder es klappt oder ich scheitere - und wenn ich scheitere, dann nur aus Überzeugung."
SPOX: Michael Frontzeck hatte keinen Promi-Bonus und musste wie viele andere lange auf eine neue Chance warten. Können Sie an ihm erklären, wie Ihre Arbeit aussieht und wie Sie Hannover zur Unterschrift bewegten?
Kosicke: Es half, dass Michael schon als Co-Trainer unter Ewald Lienen in Hannover gearbeitet hatte, daher kannte die Klubführung ihn persönlich. Wobei das natürlich nicht reicht. Grundsätzlich steht man mit den Klubverantwortlichen in Kontakt, um herauszufinden, welche Art von Profil der neue Trainer haben soll. Im Falle von Michael ist es so, dass er eine ganz tolle, unglaublich beruhigende Aura besitzt. Nur mit seiner Art wird ein Klub weniger hektisch. Wenn er einen Raum betritt, werden alle automatisch entspannter. Außerdem weiß er, wie er Botschaften vermittelt. Vor allem die jungen Trainer haben so viel Ahnung und wollen alles weitergeben, jedoch ist immer noch das Motto effektiv: Keep it simple. Es gibt so viele Charaktere in einer Mannschaft und die große Kunst ist es, dass alle den Trainer und das, was er von Ihnen verlangt, verstehen. Deswegen muss man genau das richtige Maß finden, und das beherrscht Michael grandios. Wir hatten also Argumente und die Einigung gelang relativ schnell.
SPOX: Einer der kuriosesten Fälle ist Michael Oenning, ebenfalls von Ihnen beraten. Er gehörte zu den Trainern der neuen Generation und verschwand plötzlich. Seit 2011 hat er keine Anstellung mehr. Dabei müsste er als langjähriger Sky-Mitarbeiter wissen, wie er mit Medien und Öffentlichkeit spielt.
Kosicke: Michael kommt aus dem Münsterland und ist daher kein Typ, der sich charmant in der Presse um einen Job bewirbt. Seine Vita ist sehr gut und er besitzt zweifelsfrei großes Wissen. Sein großes Glück oder je nach Blickwinkel Pech ist es, dass er an so vielen Dingen interessiert ist und verschiedenste Kompetenzen besitzt. Vielleicht ist das für die Trainerkarriere kontraproduktiv, da der Trainer an sich während einer Saison 24/7 an seine Mannschaft denkt. Mittlerweile hat sich Michael ohne den Trainer-Job im Fußball-Business etabliert. Er ist für Sky unterwegs, hält Vorträge bei Firmen, wird als Experte in Kommissionen eingeladen. Nichtsdestotrotz will er wieder als Trainer arbeiten. Aber er sagt auch, dass es genau passen muss, bevor er sich wieder in das Risiko begibt.
SPOX: Obwohl es so viele arbeitslose Trainer gibt, bekommt man häufig den Eindruck, dass die Auswahl für die Vereine limitiert ist. Schalke etwa scheint sich nur auf Marc Wilmots zu konzentrieren. Ist der tatsächliche Trainermarkt kleiner als der gefühlte Trainermarkt?
Kosicke: Wegen des Klopp- und Dortmund-Bezugs war ich nie nahe dran an Schalke. Im Nachhinein stellt man fest, dass Jens Keller noch der erfolgreichste Trainer war, ohne die schillernde Persönlichkeit zu sein, die man auf Schalke eventuell gerne hätte. Nach ihm kam Roberto Di Matteo: ein großer Name, ähnlich introvertiert. Jetzt möchte man womöglich jemanden, der die Fans emotionalisiert - und da kommt einem als erstes Wilmots in den Kopf. Noch extremer hatten wir es allerdings in der Zeit davor, als Tuchel verfügbar war. Man dachte zwischenzeitlich, dass es nur noch Thomas Tuchel und sonst keinen guten verfügbaren Trainer mehr gibt. RB Leipzig wollte ihn und nimmt am Ende lieber gar keinen von extern, weil Tuchel nicht zu haben war. Hamburg wartete ganz lange, fast zu lange auf ihn, und lässt es sogar den Sportdirektor machen, damit er noch zusagt. So sehr ich Thomas Tuchel wertschätze, empfand ich das als sehr hart für die gesamte Trainergilde. Und wie ich Ihn einschätze, empfand er es sicher ähnlich. Für die verfügbaren Trainer, die nicht einmal angesprochen wurden, war der Tuchel-Hype ein Schlag ins Gesicht. So irrational ist es manchmal.
SPOX: Haben Sie den Code entschlüsselt, um einen Trend bei der teils irrationalen Trainerakquise vorauszusagen?
Kosicke: Nein, der Markt ist dafür viel zu volatil und man weiß nie, wie lange ein Trend anhält. Stand jetzt gibt es einen Trend zu eigenen Lösungen. In Mainz, Freiburg, Bremen, Berlin und zwischenzeitlich Hamburg nahm man einen Trainer aus dem eigenen Stall, was ich an sich sehr positiv finde. Der eigene Trainernachwuchs wird gefördert, und die Eigengewächse kennen am besten die Klubwerte und die Jugendspieler, die nachkommen.
SPOX: Eine der Feelgood-Stories der abgelaufenen Saison schrieb Ihr Klient Viktor Skripnik bei Werder Bremen. Und das, obwohl er sich vor der Kamera unwohl fühlt und sich kaum inszenieren kann. Ungeachtet dessen wurde er zum Kult. Wie lässt sich Skripniks Wirken beschreiben?
Kosicke: Man darf ihn nicht falsch einschätzen: Er hat keine Angst vor der Kamera, er ist als Lobanowsky-Schüler dennoch kein Mann der großen Worte. Was ihm hilft: Als lokale Figur bringt er bei den Fans eine Akzeptanz mit, zumal der Bremer an sich ein Mensch ist, der nicht viele Worte machen muss. Dass Viktor so zum Kult wurde, ist ihm umso unangenehmer. Vor allem, weil er oft als einziger Vater des Erfolgs dargestellt wird, statt dass das gesamte Trainerteam im Vordergrund steht. So fällt kaum auf, was die eigentlich größte Stärke von ihm ist: Er kann super eine Gemeinschaft zusammenstellen. Er ist der Chefcoach, aber Torsten Frings bringt in der Kabine große Power rein. Florian Kohfeldt ist ein ausgewiesener Fachmann und bringt die moderne Denke mit. Und Torwarttrainer Christian Vander ist viel mehr als ein reiner Torwart-Trainer. In Bremen zeigt sich, was wir mit unserem Leitspruch meinen: "Heterogenität in den Eigenschaften und Homogenität in den Werten, macht ein Team zu Gewinnern."
SPOX: Sie selbst wären beinahe Skripniks Chef gewesen: 2013 standen Sie kurz davor, das Angebot als Werder-Geschäftsführer anzunehmen - und sie sagten ab. Mit zwei Jahre Abstand: die richtige Entscheidung?
Kosicke: Ich bin Bremer und mein Herz hängt an diesem Verein. Trotzdem ist es immer noch die richtige Entscheidung, voll und ganz. Ich sage nicht, dass ich nie in meinem Leben bei einem Verein arbeite. Nur: Zurzeit passt es einfach nicht. Unsere Kinder sind noch klein und meine Frau arbeitet im Fernsehen. Wenn ich eine Funktion bei einem Bundesligisten hätte, wäre das zu viel. Und: Mit "Projekt B" habe ich mein eigenes Projekt, das ich ungern verlassen würde.
SPOX: Ein weiteres Szenario: Sie warten, bis Klopp zurückkehrt, und gehen mit ihm als Doppelpack zum neuen Klub. Ralf Rangnick macht es in Leipzig vor, wo sein früherer Berater Oliver Mintzlaff die Position des Vorstandsvorsitzenden bekleidet.
Kosicke: Das ist nicht angedacht. Leipzig ist eines der spannendsten Projekte im Fußball und zugleich ein Einzelfall. RB kommt aus dem Corporate Business, wo derartige Konstrukte gelebt sind. Bei einem anderen Verein sehe ich es nicht, dass so etwas von einem Aufsichtsrat oder von den Fans akzeptiert werden würde.
Seite 1: Kosicke über Projekt B und Coaching für Coaches