Uwe Kamps ist seit 33 Jahren bei Borussia Mönchengladbach und immer noch absoluter Publikumsliebling. Am Rande des Trainingslagers in Rottach-Egern sprach SPOX mit dem 51-Jährigen über die Entwicklung Marc-Andre ter Stegens, bunte Trikots mit Vokuhilas sowie Yann Sommers erstes Jahr am Niederrhein.
SPOX: Herr Kamps, was verbinden Sie mit dem Satz "Uwe hat´s gesehen"?
Uwe Kamps: Einen der emotionalsten Tage meiner Karriere. Das war beim letzten Spiel auf dem Bökelberg. Ich wurde in der 81. Minute für Jörg Stiel eingewechselt. Nur wenig später krachte ein Schuss von Martin Stranzl, der damals noch für 1860 München spielte, an den linken Pfosten. Die Fans haben dann laut "Uwe hat's gesehen" gesungen.
SPOX: Hatten Sie den Ball tatsächlich ausgeguckt?
Kamps: Ehrlich gesagt, habe ich ihn überhaupt nicht gesehen (lacht). Erst, als er vom Pfosten abgesprungen war und hinter mir Richtung Torauslinie trudelte. Dann konnte ich ihn mir schnappen und weiter ging's.
SPOX: Noch heute gellt oft ein langgezogenes "Uwe, Uwe" durch den Borussia-Park, wenn Sie über den Rasen laufen. Wie erleben Sie diese Situationen?
Kamps: Das ist immer ein toller Moment. Allerdings ist es heute anders als früher, es geht ja nicht mehr um mich, sondern um den Torwart, der auf dem Platz steht. Deshalb halte ich den Ball bewusst flach und mache dann kein großes Theater.
SPOX: Sie sind mittlerweile seit 33 Jahren im Verein und haben auch die chaotischen Jahre mitbekommen, als Gladbach zweimal abgestiegen ist. Damals wurden auf Biegen und Brechen Spieler wie Wesley Sonck und Marek Heinz verpflichtet. Haben Sie die Borussia in diesen Zeiten überhaupt noch wieder erkannt?
Kamps: Das waren tatsächlich harte Jahre. Die Kontinuität, die Gladbach immer ausgemacht hat, war plötzlich weg. In fünf Jahren hatte ich gefühlt zehn Trainer, auch die Spieler kamen und gingen. Dazu das neue Stadion, das hohe Erwartungen weckte. Das war eine ganz neue Situation, in die man sich erstmal reinbeißen musste.
SPOX: Ab wann ging es dann wieder aufwärts?
Kamps: Nach dem zweiten Abstieg 2007 haben wir uns aufgerafft und wieder zurück zu alten Stärken gefunden. Im Verein wird seitdem wieder eine Sprache gesprochen, es gibt feste Bezugspersonen, alle arbeiten gerne miteinander. Heute können wir stolz sagen, dass der Ausdruck "Familienverein" bei uns nicht nur eine leere Phrase ist.
SPOX: Hatten Sie bei den vielen Trainerwechseln keine Angst, dass einer der neuen Coaches einen anderen Torwarttrainer mitbringt?
Kamps: Nein. Erstens verfolgt der Klub seit vielen Jahren die Strategie, dass einige Positionen gleich besetzt sind, um eine Grundbasis zu schaffen - dazu gehört der Posten des Torwarttrainers. Außerdem kannte ich viele Trainer wie Ewald Lienen, Jupp Heynckes oder Hans Meyer schon aus meinen Jahren bei den Fohlen. Was man gar nicht denken würde: Auch Dick Advocaat hatte großen Respekt davor, wie lange ich schon in Gladbach bin, und hat mich sehr geschätzt.
SPOX: In Ihrer Zeit in Gladbach haben Sie mit vielen Torhütern zusammengearbeitet, darunter echte Originale wie Kasey Keller oder Jörg Stiel. Wer war der bekloppteste Borussia-Keeper der letzten 15 Jahre?
Kamps: Die waren alle sehr speziell. Wen man auch nimmt, eine Macke hat jeder - und genau das macht sie aus. Immerhin stellen sich die Jungs hinten rein und sagen: "Im Zweifelsfall lasse ich mir das Ding jetzt aus zwei Metern auch mal vor den Kopf schießen."
SPOX: Auch Sie hatten den einen oder anderen Spleen zu Ihrer aktiven Zeit. Was denken Sie heute, wenn Sie alte Fotos von sich sehen?
Kamps: Geiler Typ natürlich (lacht). Nein im Ernst, ich freue mich natürlich darüber, dass ich in den Ranglisten der hässlichsten Trikots immer ganz vorne dabei bin. Und die Frisur, hinten lang und vorne kurz, das war halt damals in Mode. Am Ende meiner Karriere habe ich dann aber doch meist ein schwarzes Trikot gewählt - man wird also durchaus reifer.
SPOX: Logan Bailly erlebte ein sehr gutes erstes Jahr, entwickelte sich dann aber immer mehr zur Skandal-Nudel und patzte mehrfach. Wie konnte das damals so schnell passieren? Welche Rolle spielt der Kopf in solchen Situationen?
Kamps: Es ist ein absoluter Kopfsport. Wenn dann so Geschichten passieren, wie Logan sie damals erlebt hat, ist es einfach unmöglich, mit kühlem Kopf im Tor zu stehen. In solchen Situationen ist es wichtig, wie man beraten wird und mit wem man zu tun hat. Bei Logan liefen damals einfach zu viele Dinge neben der Spur. Ich freue mich aber sehr für ihn, dass er jetzt bei Celtic Glasgow wieder eine neue Aufgabe gefunden hat.
SPOX: Sie sind seit 1982 im Verein, trotzdem ist der Champions-League-Einzug auch für Sie ein Novum. Wie lange haben Sie gebraucht, um das wirklich zu realisieren?
Kamps: Das hat schon eine ganze Weile gedauert. Ich glaube am letzten Spieltag, als wir zu Hause gegen Augsburg gespielt haben, wurde es mir so richtig klar. Die Stimmung war einzigartig, alle Menschen haben eine unfassbare Euphorie ausgestrahlt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es für mich eine riesen Sache ist, das noch erleben zu können. Die Jungs, das ganze Team, die Fans - alle haben mitgeholfen!
SPOX: In der Öffentlichkeit wird im Hinblick auf die Gruppenphase gewohnt tief gestapelt. Wie ist denn der Tenor innerhalb der Mannschaft?
Kamps: Dass wir sie alle weghauen (lacht). Nein, das spiegelt die Stimmung in der Mannschaft gut wider. Wir sind froh, dabei zu sein und freuen uns auf hoffentlich große Mannschaften und große Matches. Wenn wir dann am Ende als Dritter in der Europa League weiterspielen können, wäre das schon ein riesen Erfolg.
SPOX: Großen Anteil am CL-Einzug hat auch Yann Sommer. Wie sieht das Jahreszeugnis für Ihren Schützling aus?
Kamps: Yann hat das wirklich überragend gemacht. Er hat eine großartige Saison gespielt, in der Rückrunde sogar den Rekord für die wenigsten Gegentore der Geschichte gebrochen. Natürlich ist das immer auch ein Verdienst der ganzen Mannschaft, aber für einen Torwart, der neu in eine Mannschaft kommt und sich erst einfügen muss, war das schon sehr besonders.
SPOX: Dabei verlief der Start alles andere als reibungslos. Sommer patzte in mehreren Testspielen und in der Europa League. Inwiefern nimmt man als Trainer dann auch die Rolle des Psychologen ein?
Kamps: Das gehört immer dazu. Allerdings haben Yann und ich beide genügend Erfahrungswerte für solche Situationen. Wir haben darüber gesprochen und die Dinge aufgearbeitet. Vor allem, als andere versucht haben, von außen Unruhe zu stiften und meinten, es würde nicht für die Bundesliga reichen. Der Knackpunkt war dann das Spiel gegen Schalke, in dem Yann mehrfach herausragend gehalten hat. Danach war er voll drin.
SPOX: Sommers Entwicklung ist auch eine Auszeichnung Ihrer Arbeit. Welche Rolle kam Ihnen bei seinem Transfer zu?
Kamps: Das ist ja das Schöne hier im Verein, die Personalplanungen entstehen immer in Teamarbeit. Wir hatten eine Liste mit Keepern, die interessant sind, falls Marc-André ter Stegen uns verlässt. Da wir sehr früh wussten, dass er uns verlassen würde, hatten wir viel Zeit, den Markt zu sondieren, uns DVDs und Spiele anzugucken. Yann stand schon sehr lange auf dieser Liste und wir waren froh, ihn dann auch verpflichten zu können.
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SPOX: Auch in diesem Sommer hat sich in Ihrem Team wieder etwas getan. Janis Blaswich wurde nach Dresden verliehen, dafür Tobias Sippel aus Kaiserslautern verpflichtet. Wie ordnen Sie diese Transfers ein?
Kamps: Wir möchten Janis die Chance geben, sich weiterzuentwickeln und uns zu zeigen, dass er auch unter Druck ein guter Torwart ist. Er hat schon viele gute Spiele gemacht, aber es ist eine völlig andere Situation, regelmäßig vor 20.000 bis 30.000 Zuschauern aufzulaufen. Da ist Dresden schon eine Hausnummer mit vielen Fans und großer Tradition. Dort kann er sich nun beweisen. Bei Tobi wussten wir, dass sein Vertrag ausläuft und konnten ihn ablösefrei verpflichten. Einen so erfahrenen Keeper kann man mit gutem Gefühl jederzeit reinwerfen, das war uns sehr wichtig.
SPOX: Zwischen den Torhütern einer Mannschaft besteht eine besondere Konkurrenz-Situation. Wie geht man damit als Trainer um?
Kamps: Auch das gehört zum Torhütersein, die Jungs kennen es seit der Jugend nicht anders. Ich achte darauf, dass der Umgang zwischen den Keepern stimmt, mein Ziel ist eine Mannschaft in der Mannschaft. Auf der anderen Seite muss man den Jungs aber auch die Chance aufweisen, sich mit guten Leistungen für die erste Position zu empfehlen. Es ist wichtig, immer mit offenen Karten zu spielen, damit sich keiner der Keeper ungerecht behandelt fühlt.
SPOX: Kommt es auch schon mal vor, dass die Torhüter untereinander im Clinch liegen oder versuchen, den Nebenmann zu schwächen?
Kamps: Das hat es in der Vergangenheit schon gegeben. Wir hatten mal ein Team, in dem alle Keeper fast gleich alt waren und unbedingt spielen wollten. Dafür muss man einen Blick haben und wissen, wie man die Dinge einordnet. Aber ohne einen Zusammenhalt unter den Jungs geht es nicht, darauf achte ich sehr. Für Quertreiber ist da kein Platz.
SPOX: Wie genau sieht denn die Zusammenarbeit mit Lucien Favre aus? Sitzen Sie regelmäßig zusammen und sprechen über die Torhütersituation?
Kamps: Das ist Teil meines Jobs. Ich berichte, wie die letzten Trainingseinheiten gelaufen sind und wer welche Fortschritte gemacht hat. Auch wenn man sich fast immer einig ist, liegt die Entscheidung, welcher Torwart letztendlich spielt, immer beim Trainer.
SPOX: Gab es auch schon mal den gegenteiligen Fall, in dem Sie Ihrem Trainer zu einem Torwartwechsel geraten haben?
Kamps: Wie gesagt, solche Entscheidungen treffen wir immer als Team, wie zum Beispiel bei der Hereinnahme von Marc. Wir standen damals mit dem Rücken an der Wand und galten als fast abgestiegen. Wir waren uns sicher, dass er in dem für Gladbach immer besonderen Spiel gegen Köln einen besonderen Impuls für die Mannschaft und die Fans geben würde. Glücklicherweise haben wir damals alles richtig gemacht, kann man heute sagen.
SPOX: Damals arbeiteten Sie bereits einige Jahre intensiv mit ter Stegen zusammen. Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht: Oha, aus dem könnte wirklich einer werden?
Kamps: In dem Maße ist er mir zum ersten Mal aufgefallen, als wir mit der U17 und U19 trainiert haben. Marc war damals in der U15 und hat am hinteren Ende des Platzes Torschussübungen und Spielformen geübt. Da konnte man seine ausgezeichneten Anlagen schon erkennen, obwohl er eigentlich noch in der U14 hätte spielen können.
SPOX: Wie ging es danach weiter?
Kamps: Ich habe ihn dann zeitnah mit hochgenommen und regelmäßig mit ihm trainiert. Marc war so immer eine Stufe über seiner Altersklasse, manchmal sogar zwei. Aber das hat ihm nichts ausgemacht, er war schon immer sehr ehrgeizig und wollte so viel und so hoch wie möglich spielen. Die Arbeit mit ihm hat mir großen Spaß gemacht, wir haben immer gute Lösungen gefunden und an seinen Fähigkeiten gefeilt. Es ist toll zu sehen, was für ein großartiger Torwart aus ihm geworden ist.
SPOX: Ter Stegens Leistungen riefen die Top-Teams Europas auf den Plan. Wie haben Sie dafür gesorgt, dass er bei all dem Trouble nicht die Bodenhaftung verliert?
Kamps: Das war kein großes Problem, Marc war schon immer sehr geerdet und gut sortiert. Er hatte seine Ziele klar vor Augen und hat sich davon nicht ablenken lassen.
SPOX: Sie rieten ter Stegen damals, in Gladbach zu bleiben. Sind Sie heute auch im Sinne Ihres Schützlings froh, dass er nicht auf Sie gehört hat?
Kamps: Ich wäre ja bescheuert gewesen, wenn ich ihm das nicht geraten hätte. Wir wollten ihn ja unbedingt halten und haben ihm deshalb auch ein entsprechendes Angebot vorgelegt. Marc hat sich alles in Ruhe angeguckt, seine Entscheidung getroffen und an dieser auch konsequent festgehalten. In seinem ersten Jahr in Barcelona hat er sofort drei Titel geholt, unter anderem die Champions League. Man kann also sagen, dass er alles richtig gemacht hat. Aber das haben wir auch.
SPOX: Weil Sie den perfekten Nachfolger gefunden haben?
Kamps: Genau. Yann ist der absolut richtige Mann für den Verein, menschlich und sportlich. Er hat eine Top-Saison und auf gleichem Niveau wie Marc gespielt.
SPOX: Wie ist der Kontakt zu Marc-André ter Stegen heute?
Kamps: Nach wie vor sehr gut. Wir telefonieren viel und sprechen über seine Zeit in Barcelona. Manchmal geht es um ganz konkrete Situationen, in denen ich ihm helfen kann. Wir gehen diese dann detailliert durch und analysieren, was er anders oder besser machen kann. Er hat mich auch zum CL-Finale eingeladen, was ich zeitlich leider nicht geschafft habe. Ich hätte vieles in Bewegung gesetzt, ihn dort live spielen sehen zu können.
SPOX: Marc-André ter Stegen und Yann Sommer gelten als die neue Torwart-Generation: smart, jung, technisch versiert. Sind Keeper der Marke Oliver Kahn, Roman Weidenfeller oder Gabor Kiraly eine aussterbende Art?
Kamps: Dieser Wandel zeichnet sich ab. Es hat aber nicht so sehr mit den Typen an sich zu tun, sondern vielmehr mit dem, was heute gefordert ist. Heute sind Keeper gefragt, die etwas mit dem Ball anfangen können. Darauf wird in der Jugend schon hintrainiert. Früher war es ein probates Mittel, den Ball wegzudreschen, heute will man ihn in den eigenen Reihen halten. Ein technisch guter Keeper ist zum Beispiel in der Lage, einen pressenden Angreifer mit einem Pass ins Mittelfeld auszuspielen und so Überzahl zu schaffen.
SPOX: Hätten Sie sich ein solches Training auch gewünscht?
Kamps: Natürlich. Früher war der Co-Trainer für die Übungen mit den Torhütern zuständig, echte Torwart-Trainer gab es erst viel später. Ich war 30 Jahre alt, als ich regelmäßig mit einem Torwart-Trainer arbeiten konnte.
SPOX: Wie haben Sie sich dann verbessert?
Kamps: Man hat sich viel bei anderen Torhütern abgeschaut. Wie lösen die bestimmte Situationen, wie verhalten die sich beim Rauslaufen oder nach Ecken?
SPOX: Demnach wäre auch bei Ihnen noch Steigerungspotential gewesen?
Kamps: Das versuche ich ja schon die ganze Zeit anzudeuten (lacht). Natürlich stellt man sich die Frage, wie man sich mit den heutigen Trainingsmethoden hätte entwickeln können. Ich bin mir sicher, dass da noch etwas drin gewesen wäre.
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