"Für Barrios ist es riskanter als für mich"

Von Interview: Haruka Gruber
Jörg Albertz wird bei seiner Rückkehr nach Shanghai von den Fans gefeiert
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SPOX: Dabei brachen Sie ein Tabu: Als Katholik spielten Sie nicht für die Celtics sondern für die von Protestanten gegründeten Rangers.

Albertz: Heute hat die Brisanz abgenommen, aber damals sollte nur ein kleiner Zirkel wissen, dass ich katholisch aufgewachsen bin. Die schlimmste Phase zwischen den Celtics und den Rangers war zwar vorbei, als ich nach Glasgow ging, dennoch wurde mir eingetrichtert, dass ich mich niemals bekreuzigen soll, wenn ich auf das Feld laufe. Ich beherzigte es, so dass es wegen der Rivalität nur zu einem unschönen Zwischenfall kam: In einem Derby gegen Celtic grätschte Paul Lambert im Strafraum in mich rein, dabei schlug ich ihm mit dem Knie ausversehen die Zähne aus. Ich bekam daraufhin einen Elfmeter, den ich verwandelte - was die Celtic-Fans endgültig zum Ausrasten brachte. In der Nacht darauf landeten Bierflaschen in meiner Küche.

SPOX: Es heißt, die damalige Rangers-Mannschaft habe alleine schon wegen der Rivalität zu den Celtics zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Legendär seien die Feiern gewesen. Können Sie Details verraten?

Albertz: Ich darf nur sagen, dass die Feiern Hammer-mäßig waren. Es gehört zum Ehrenkodex, nichts zu erzählen.

SPOX: Nicht einmal eine harmlose Anekdote?

Albertz: Es ist allseits bekannt, dass Dick Advocaat ein schwieriger Mensch ist. Aber eines muss ich ihm zugute halten: 1999 gewannen wir am vorletzten Spieltag bei den Celtics mit 3:0 und feierten vorzeitig die Meisterschaft - erstmals in der Geschichte in ihrem Stadion. Daraufhin organisierte Advocaat ein offizielles Trainingslager, was kein Trainingslager war. Wir fuhren damals nach Marbella, absolvierten gleich nach der Ankunft eine Laufeinheit - und danach kam Advocaat auf uns zu und sagte: "Jungs, in einer Woche ist Abfahrt, genießt die Zeit!" Er verschwand und wir konnten treiben, was wir wollten.

SPOX: Eine wesentlich traurigere Episode bei den Rangers erlebten Sie hautnah mit: den langsam sich abzeichnenden Absturz von Paul Gascoigne.

Albertz: Wir gingen mit ihm auch mal feiern - nur mit dem Unterschied, dass wir auf ihn ein Auge hatten. Das große Problem von Gazza war sein Freundeskreis. Man kann keinen netteren Mann finden als ihn. Ein ganz feiner Mensch, der für jeden das letzte Hemd gegeben hätte. Nur: Er liebte es, zu einem weiteren Bier verführt zu werden - und seine angeblichen Kumpels taten ihm immer den Gefallen. Statt zu sagen "Ab in die Kiste, morgen ist ein Spiel", hieß es immer nur "Ein Pub geht noch". Wir als Mannschaft passten so gut es geht auf und luden ihn abwechselnd nach Hause zum Essen ein. Dann hatte er sich im Griff. Einmal verbrachte er die Weihnachtsfeiertage sogar bei Trainer Walter Smith. Wenn ihm jedoch sein Freundeskreis umgab, entglitt er uns.

SPOX: Was für ein Mensch ist Gascoigne?

Albertz: Ich denke gerne an einen wunderschönen Tag zurück: Gazza lud mich zur Falkenjagd ein und verzichtete komplett auf Alkohol. Er rührte kein einziges Bier an. Wir liefen durch die Natur, jeder mit einem Falken auf dem Arm, und quatschten über alles. Und wenn wir Hasen entdeckten, setzte unser Begleiter einen Hund, einen sogenannten English Pointer, auf sie an, damit dieser sie aufscheuchte. Wir ließen die Falken in den Himmel hochfliegen und beobachteten die Jagd.

SPOX: Gab es einen besseren Fußballer als Gascoigne, mit dem Sie je zusammenspielten?

Albertz: Gazza hatte seinen Höhepunkt hinter sich, obwohl er nach wie vor Sensationelles zeigen konnte. Glasgow besaß ohnehin eine tolle Truppe: Van Bronckhorst, Numan, Amoruso, Kantschelskis, Flo, der damals blutjunge Rhino Gattuso, die Liste lässt sich ewig fortsetzen. Aber der Beste? Ganz klar Brian Laudrup. Eine Augenweide. Er hätte viel mehr erreichen und bei jedem Topklub spielen können, doch ihm gefiel es in Glasgow. Ihm lagen die Rangers-Fans zu Füßen.

SPOX: Sie gehörten ebenfalls zu den Lieblingen und blieben fünf Jahre in Glasgow. Mit der Folge, dass Sie in Deutschland kaum beachtet wurden, vor allem nicht von Bundestrainer Berti Vogts. Hegen Sie Groll?

Albertz: Ein Problem war, dass die schottische Liga nicht ernst genommen und ich auf meinen Spitznamen "Ali, the Hammer" reduziert wurde. Irgendwie dachten gewisse Leute, dass mein Spiel nur aus spektakulären Freistößen und Distanzschüssen bestand. Ich kann damit leben, aber ein bisschen schade ist es schon. Umso schöner finde ich die DVD, die die Rangers mir widmeten. Darin spricht Coisty darüber, dass ich mehr als nur "Ali, the Hammer" war und dass ich auch ganz ordentlichen Fußball spielen konnte.

SPOX: Kehrten Sie 2001 nach Hamburg zurück, um es den Skeptikern zu beweisen?

Albertz: Nein, es hatte etwas von einer Grundsatzentscheidung. Wir wollten in Hamburg ein Leben aufbauen und kauften uns direkt neben Thomas Doll ein Haus. Leider lief es überhaupt nicht mit Trainer Kurt Jara, der mich auf die Tribüne setzte. Ich wusste, dass ich unter ihm nie wieder spielen werde, daher nahm ich das Angebot aus Shanghai an. Wenn ich gewusst hätte, dass ein paar Monate später Jara entlassen wird, wäre wohl alles anders ausgegangen. Andererseits ist es okay so, wie es lief: Sonst hätte ich nie die wundervolle Erfahrung in China gemacht.

Ali, the Hammer: Jörg Albertz im Steckbrief

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