"Löw ist noch nicht am Ende"

Benjamin Wahlen
21. Juli 201410:58
Christoph Daum mit seiner Frau Angelica bei einem Boxkampf in Oberhausengetty
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Christoph Daum führte Teams in Deutschland, Österreich und der Türkei zur Meisterschaft. SPOX traf den Erfolgscoach in Berlin. Daum über die glänzenden Perspektiven von Bundestrainer Joachim Löw, Marco Reus' Rolle nach der WM, die verpasste Blutauffrischung der Engländer und Xavis bitteren Abschied von der Bühne des Weltfußballs.

SPOX: Herr Daum, schon vor der Weltmeisterschaft gab es immer wieder Gerüchte, Joachim Löw könnte sein Amt nach dem Turnier niederlegen. Was denken Sie als Trainer-Kollege darüber?

Christoph Daum: Zunächst muss man sagen, dass dies seine ganz persönliche Entscheidung ist. Ich gehe aber fest davon aus, dass Löw seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen wird. In dieser Mannschaft steckt unglaubliches Potenzial, sie ist immer noch ausbau- und steigerungsfähig. Viele junge Talente stehen vor dem Sprung und dann sind da noch die Spieler, die bei der WM verletzungsbedingt gefehlt haben.

SPOX: Einer dieser Spieler ist Marco Reus, dem eine große Rolle bei der WM zugetraut wurde und der dann zuschauen musste, wie seine Kameraden den Titel holten. Wird es für den Dortmunder nun schwieriger, seinen Platz in der Mannschaft zu finden?

Daum: Das denke ich nicht. Reus wurde von seinen Kollegen zum besten Spieler der vergangenen Saison gewählt und hat auch in der Nationalmannschaft geglänzt. Die Frage nach seiner Bedeutung für das Team erübrigt sich schon alleine dadurch. Reus würde die Qualität jeder Mannschaft erhöhen und wird sich mit Sicherheit auch zukünftig einen Stammplatz in der DFB-Elf erspielen.

SPOX: Während Reus das Tempo-Dribbling und die Räume hinter der Abwehr sucht, kam in der K.o.-Runde der WM mit Mesut Özil meist ein eher gestaltender Spieler über die linke Seite. Ist das Spiel der deutschen Mannschaft mit Reus anders?

Daum: Die grundlegende Spielweise ändert sich zwar nicht, dafür aber die Möglichkeiten. Özil und auch Mario Götze sind andere Typen, die nicht so sehr von ihrer Geschwindigkeit leben, sondern öfter den tödlichen Pass spielen oder von Außen flanken. Wenn man mit einem echten Mittelstürmer wie Miroslav Klose agiert, kann das sogar besser funktionieren.

SPOX: Löw gilt als internationales Vorbild, wenn es um die Förderung und die Integration junger Spieler in eine etablierte Mannschaft geht. Ist der WM-Titel die endgültige Bestätigung dafür, diese Philosophie über mittlerweile acht Jahre verfolgt zu haben?

Daum: Ja. Der Triumph der deutschen Nationalmannschaft ist der Beweis, dass man im heutigen Fußball nur so dauerhaft erfolgreich sein kann. Die Nachwuchsarbeit in Deutschland ist ausgezeichnet und vereinfacht es Löw, diesen Generationswechsel Stück für Stück voranzutreiben.

SPOX: Andere Länder wie Italien, Spanien und England haben diesen Schritt ein wenig verschlafen und mussten in Brasilien schon nach der Vorrunde die Heimreise antreten.

Daum: Das gilt in erster Linie für Italien und England, wo es an Talenten mangelt, die die entsprechende Erfahrung mitbringen. In der Premier League werden immer noch zu viele Spieler aus dem Ausland geholt, statt sich vermehrt auf die Integration der eigenen Jugend zu konzentrieren. Das gilt auch für Italien. Schafft man es nicht, die jungen Spieler in der Liga zu positionieren, fehlt ihnen die Perspektive für die Nationalmannschaft und die notwendige Blutauffrischung bleibt aus.

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SPOX: Dem spanischen Fußball mangelt es allerdings nicht an hervorragenden Jugendspielern, die auch in ihren Vereinen Schlüsselspieler sind.

Daum: Das ist richtig. Auch Spanien hat es verpasst, das Team gezielt zu verjüngen, die Situation ist aber eine komplett andere. Diese Mannschaft spielt seit Jahren auf dem höchsten Niveau zusammen und hat jeden Titel geholt, den es zu gewinnen gab. Weder die Fans noch die Spieler hätten es verstanden, wenn Vicente del Bosque plötzlich fünf neue Gesichter auf den Platz geschickt hätte. Hätte Spanien ein erfolgreiches Turnier gespielt, wäre auch 2016 ein Großteil der etablierten Spieler wieder aufgelaufen. Der Hallo-Wach-Effekt durch das Vorrunden-Aus hat jetzt den Weg für einen Neuaufbau freigemacht.

SPOX: Ein Neuaufbau, der ohne Xavi stattfinden wird...

Daum: Für Xavi tut es mir wahnsinnig leid, er ist das Gesicht der erfolgreichsten Ära des spanischen Fußballs und wird die Bühne des Weltfußballs nach einer enttäuschenden Saison mit Barcelona und dieser Desaster-WM sang- und klanglos verlassen. Das hat er nicht verdient.

SPOX: Kann Thiago in seine Fußstapfen treten?

Daum: Das muss man abwarten. Thiago hat bei Barcelona, in der Nationalmannschaft und vor allem in München gezeigt, dass er ein genialer Spielmacher aus der Defensive heraus ist. Er kann den Rhythmus einer Partie bestimmen und selber entscheidend in Erscheinung treten. Xavis Fußstapfen sind riesig, aber Thiago hat alle Anlagen, in diese Rolle hineinzuwachsen.

SPOX: Sie sind seit März 2014 nicht mehr Trainer bei Bursaspor. Wie sieht es um Ihre persönliche Zukunft aus?

Daum: Sehr gut! Ich habe nun endlich Zeit, mich um Familie und Kinder zu kümmern. Dieser Teil meines Lebens ist den letzten 30 Jahren sehr kurz gekommen. Zuerst kam der Beruf, dann der Verein, dann der Fußball und von den letzten zehn Prozent, die eigentlich der Familie vorbehalten waren, haben dann auch nochmal fünf Prozent dem Fußball gehört.

SPOX: Gibt es denn Anfragen?

Daum: Ich hatte Angebote aus dem arabischen Raum, Russland, Belgien und den Niederlanden, die mich allerdings nicht gereizt haben und aktuell kein Ziel für mich sind. Eine Einstiegsmöglichkeit in die Premier League würde mich sehr interessieren. Hier sehe ich die größte sportliche Herausforderung.

SPOX: Ist auch die Bundesliga ein Thema?

Daum: Anfragen gab es bisher nicht und ich bin auch der Letzte, der sich irgendwo ins Gespräch bringen möchte.

SPOX: Aber Sie können sich vorstellen, auch wieder in Deutschland tätig zu sein?

Daum: Natürlich, die Bundesliga ist eine der Top-Adressen im europäischen Fußball. Nicht umsonst ist mit Pep Guardiola der weltbeste Trainer, der eine Vielzahl anderer und auch finanziell attraktiverer Angebote vorliegen hatte, nach Deutschland gekommen.

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