SPOX: Die Bayern verpflichteten letztes Jahr aus Jena den 19-jährigen Daniel Mayr, 2,17 Meter großer Center und eines der interessantesten Basketball-Talente überhaupt. Wie weit ist er? Kann er aufgrund seiner Größe zum nächsten Tibor Pleiß werden?
Pesic: Das sind zwei unterschiedliche Spielertypen. Daniel verfügt über sehr viel Talent im Spiel mit dem Gesicht zum Korb und besitzt bei seinen 2,17 Metern einen unglaublich guten Schuss. Aber er muss am Spiel mit dem Rücken zum Korb arbeiten. Unsere Überlegung lautete, dass wir eine Saison benötigen werden, um Daniel an die erhöhten Trainingsanforderungen und an die neue Umgebung zu gewöhnen. Wobei sich Daniel speziell seit Januar so gut macht, dass wir ihn schon früher nach oben ziehen könnten. Paul Zipser ist für so einen behutsamen Weg ein gutes Vorbild.
SPOX: Zipser kam Anfang 2013 ebenfalls als halbfertiger Profi zu den Bayern und wird von vielen Experten als nächster europäischer Superstar bezeichnet. Wie weit ist er?
Pesic: Paul ist seit zwei Jahren bei uns und davon musste er ein Jahr verletzt aussetzen, was seiner Entwicklung natürlich nicht geholfen hat und mental sehr schwierig zu meistern war. Viele hätten nach so einer Zeit aufgegeben, wären in Selbstzweifel versunken - und hätten das Abitur nachgemacht oder studiert, um ein zweites Standbein aufzubauen. Das Interessante: Paul hat sich in der schweren Phase definitiv für den Basketball entschieden. Dieses Commitment ist sein großes Plus. Charakterlich hat er ohnehin keinen Makel und er ist einer der am härtesten arbeitenden Spieler in der Mannschaft. Momentan befindet er sich sportlich zwar noch in einer Periode, in der er sich finden muss, dennoch ist klar: Er bringt alle Voraussetzungen mit, um zu einem europäischen Topspieler zu werden.
SPOX: Ein denkbares Szenario für die kommende Saison: Die Offense wird um die Allrounder Zipser und Nihad Djedovic konzipiert. Zwei Flügel-Spieler, die für Ihre Positionen sehr groß sind, das Spiel gestalten können und gut mit dem Ball umgehen.
Pesic: Beide machen uns variabler. Paul kann nicht nur als Shooting Guard und Small Forward spielen, sondern mit seinen 2,04 Metern und seiner Athletik auch als Power Forward. Und Nihad ist für mich einer der, wenn nicht der athletischste Spieler auf den Außenpositionen. Ich kenne keinen, der mit dem Ball in der Hand schneller und effektiver ist als er. Und mit dem stabileren Wurf, den er sich bei uns angeeignet hat, wurde er schwerer auszurechnen. Sein größtes Problem ist und bleibt, dass sein Angriff von der Verteidigung abhängt. Dass er in der Defense unglaublichen Druck auf den Gegenspieler ausüben kann, bewies er beim Bamberg-Sieg gegen Brad Wanamaker. Vom Potenzial her ist Nihad einer der besten Verteidiger der Liga. Wenn er das konstanter zeigt, würde ihm die Offense noch leichter fallen. Um ein kompletter Spieler der europäischen Topklasse zu sein, fehlt ihm noch diese Dimension. Aber jetzt soll er erstmal wieder gesund werden.
SPOX: Wie zufrieden sind Sie mit Vasilije Micic, dem 21-jährigen Point Guard?
Pesic: Dass Vasa wegen einer komplizierten Verletzung ausgerechnet am Wurfarm acht Wochen aussetzen musste, war großes Pech. Sonst wäre er noch weiter. Vasa ist vom Intellekt her unglaublich weit, mit dem Kopf eines 30-jährigen Point Guards. Außerdem habe ich selten einen jungen Spieler gesehen, der so auf den Körper achtet und ihn pflegt. Daher bin ich mir sicher, dass er das Potenzial hat, eine verlorene Spezies an Aufbauspielern wiederzubeleben. Mitte des letzten Jahrzehnts gab es große Point Guards, die groß und sehr spielintelligent waren: Zoran Planicic, Marko Jaric, Theodoros Papaloukas, Dimitrios Diamantidis. Auf einmal waren sie nicht mehr in Mode und es kamen schnelle, athletische Point Guards von 1,90 Metern und noch kleiner. Daher muss sich Vasa erstmal im Point-Guard-Haifischbecken zurechtfinden. Ich traue es ihm zu, eine Renaissance einzuleiten.
SPOX: Dennoch hat sich in dieser Saison die Spielmacher-Position als eine der Schwachstellen erwiesen. In der Euroleague zeigten sich die Bayern von einigen gegnerischen Point Guards überfordert, so gelangen Fenerbahces Andrew Goudelock im Audi Dome 34 Punkte und im wichtigen Auswärtsspiel in Mailand Daniel Hackett 25 Zähler.
Pesic: Goudelock und Hackett sind absolute europäische Spitzenklasse und ein Vergleich mit unseren Point Guards ist nicht ganz fair, weil sie Combo-Guards sind und nicht das Spiel gestalten müssen. Hackett hat in Mailand Joe Ragland an der Seite und Goudelock spielt bei Fener mit Ricky Hickman, Emir Preldzic, Bogdan Bogdanovic oder Nemanja Bjelica zusammen, die alle Point-Guard-Skills mitbringen. Trotzdem stimme ich zu: Wir haben nicht immer Wege gefunden, diese scorenden Combo-Guards zu verteidigen. Das Bittere: Wir waren eigentlich gut genug für die Euroleague, doch wir konnten nie das Bestmögliche abrufen. Ich hätte gerne gesehen, wie sich ein topfitter Bryce Taylor gegen Goudelock angestellt hätte. Oder wir hätten Anton Gavel gern gesagt: "Du nimmst jetzt den Hackett und machst ihn fertig!" Aber das besagte Spiel in Mailand, das am Ende entscheidend war für das Ausscheiden, war eben Antons Comeback nach vier Wochen Pause.
SPOX: In dieser Phase sorgte Svetislav Pesic mit der Aussage, Heiko Schaffartzik sei als Point Guard überfordert, für Erstaunen.
Pesic: Nein, der Coach meinte nicht überfordert, sondern überlastet, was faktisch stimmt. Er konnte ihm nie eine Pause geben. Wegen den Verletzungen musste Heiko durchspielen, nachdem er im Sommer schon für den DBB an der EM-Quali teilnahm.
SPOX: Nach dieser Saison läuft der Vertrag von Schaffartzik aus, ebenso wie bei Robin Benzing und Lucca Staiger. Wie sehen Sie die Zukunft der drei Nationalspieler?
Der große DBB-Kader-Check: Die Angst geht um
Pesic: Jeder Spieler erhält die Chance, nächste Saison bei uns zu sein. Nur: Wer bleiben will, muss es mit Leistung hinterlegen. Und das nicht nur im Spiel, sondern in jeder Trainingseinheit. Wir achten sehr genau darauf, wer fleißig ist, sich ins Team eingliedert und alles unternimmt, um dem Kollektiv zu helfen.
SPOX: Vor allem an Benzing scheiden sich die Geister. Es heißt, er würde sich von der Kritik der Medien, dass er stagniert, noch zu sehr verunsichern lassen.
Pesic: Robin hat im Verein ein hohes Standing, vor allem das sollte ihm wichtig sein. Er ist alt genug, um es zu verarbeiten und man darf erwarten, dass er nicht alles ernstnimmt, was über ihn geschrieben wird. Er ist 26 und hat an vier Großturnieren teilgenommen - und wie vor vier Jahren bin ich weiter der festen Überzeugung, dass er alles für den FC Bayern mitbringt. Jetzt hat er die Phase erreicht, in der von ihm erwartet wird, dass er mehr Verantwortung übernimmt. Und das nicht nur für sein Spiel, sondern für das Spiel der gesamten Mannschaft. Ich bin gespannt, wie er das in der restlichen Saison umsetzt.
SPOX: Bei Staiger stehen die Zeichen auf Trennung? Er wird gelegentlich nicht mal mehr eingewechselt.
Pesic: Viele schätzen es falsch ein, aber Lucca bekommt fast genauso viele Minuten wie im Vorjahr. Wir verfügen über einen großen Kader und nicht jeder kann immer viel spielen. Luccas Qualität ist der Schuss von außen. In Europa kenne ich nicht viele, die sich einen so perfekten Wurf antrainiert haben wie er. Er wird wie im Vorjahr als Spezialist gefragt sein. Bezüglich einer Vertragsverlängerung gilt für ihn das gleiche wie bei Robin: Wenn sie spielen, muss man von ihnen erwarten, dass sie Leistung bringen. Ich bin mir daher sicher, dass Lucca in dieser Saison für uns ein wichtiger Spieler sein wird.
Günther im Interview: "Arroganz war mein Panzer"
SPOX: Beim packenden Heimsieg der Bayern gegen Ulm kam es zu einem spannenden Eins-gegen-eins-Duell zwischen Schaffartzik und Per Günther. Beide sind Point Guards, beide sehen sich als Leader des DBB-Teams und beide sind nach dieser Saison vertragslos. Günther gilt sogar als einer der heißest umworbenen Free Agents der BBL und wurde von Bundestrainer Chris Fleming explizit gelobt. Ist ein Spielmacheraustausch denkbar?
Pesic: Erstens ist Heiko der Kapitän der Nationalmannschaft und Chris Fleming weiß genau, was er an ihm hat, genau wie wir. Zweitens schließe ich aus, dass Per für uns ein Thema wird. Wir haben zudem auf der Point-Guard-Position so viele Optionen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass der FC Bayern interessant für Per ist.
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