Ein Motto und seine Folgen

Von Tim Noller
Das IOC sieht sich zunehmender internationaler Kritik an den Olympischen Spielen ausgesetzt
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"Citius, altius, fortius - höher, schneller, weiter". Das Motto der Olympischen Spiele könnte sich zum Fluch für die Bewegung entwickeln. Ideale geraten in Vergessenheit, Kommerz und Korruption prägen das aktuelle Bild des IOC. Den besten Beleg für diese Entwicklung liefert der Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014.

In Sotschi treten gewissermaßen alle Probleme zugleich auf und lösen dadurch internationale Empörung aus. Mit 38 Milliarden Euro an Investitionskosten werden die Spiele in Russland nicht nur zu den teuersten Winterspielen, sondern sogar zu den teuersten Spielen der Olympiageschichte. Sinnbildlich für diesen Gigantismus steht der olympische Fackellauf, dessen Stationen weltweit für ein riesiges Medienecho gesorgt haben: Weltall mit Live-Übertragung, Nordpol und ein Ausflug in einer wasserdichten Kapsel auf den Grund des Baikalsees, den tiefsten See der Erde.

Kosten scheinen beim Prestigeobjekt Wladimir Putins keine Rolle zu spielen. So wurde der Olympiapark auf einer früheren Sumpflandschaft errichtet, was die Kalkulation der Ausgaben nahezu unmöglich machte. Eine Verbindungsautobahn zwischen den beiden primären Austragungsgebieten mit einer Länge von rund 50 Kilometern war für den Kremlchef ebenso selbstverständlich wie die Zwangsumsiedlung hunderter Familien.

Russland und die Homophobie

Ein weiteres Problem sehen viele Kritiker in der fehlenden Sporttradition in Sotschi. IOC-Mitglied Gianfranco Kasper bringt die Bedenken auf den Punkt und zeigt, dass die Vergabe an die subtropische Stadt auch intern kontrovers diskutiert wird: "Es wird kaum eine große Party werden. Das ist eine Region, die kaum Sport kennt: Es gibt keine Skiklubs oder Eishockey-Teams - nichts. Es wird schwierig sein, Atmosphäre zu schaffen."

Hinzu kommen zahlreiche Umweltproteste, die neben 20.000 Hektar gerodetem Wald auch die Zerstörung einer wertvollen Quellenlandschaft und des Msymta-Flussbettes anprangern. Menschenrechtsdemonstrationen runden das breite Spektrum der Kritik ab. Dabei steht die Homophobie in der Gesetzgebung im Mittelpunkt der Empörung. Mit seiner Bitte an die Homosexuellen, sie mögen die Kinder in Ruhe lassen, befeuerte der russische Präsident dieses Thema erneut.

Die Reaktion des IOC? "Wir müssen sichergehen können, dass die Olympische Charta eingehalten und es keinerlei Diskriminierungen geben wird. Dafür haben wir auch die Zusicherung der höchsten Autoritäten des Landes", sagte IOC-Präsident Bach, schränkte aber gleichzeitig ein, dass das IOC "kein übergeordnetes Parlament" sei, das anlässlich Olympischer Spiele "Gesetze über ein Land verhängen" könne.

Drei Maßnahmen gegen Gigantismus

Bachs Vorgänger versuchte während seiner Amtszeit, eine Trendwende einzuleiten und die Spiele organisierbar zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, verankerte man die Ratschläge der Olympic Games Study Commission in den Richtlinien für die Olympischen Spiele. Seitdem sollen drei Vorgaben verhindern, dass die Spiele noch größer werden: Erstens darf nur eine Stadt das Sportevent ausrichten, gemeinsame Bewerbungen zweier Städte sind verboten. Zweitens sind die Spiele auf 16 Tage begrenzt und drittens dürfen nur Schnee- und Eissportarten in das Olympische Programm der Winterspiele aufgenommen werden.

Weitere Maßnahmen des Sportverbandes sind die Einschränkung der Sportarten (28) sowie der Medaillenvergaben (300). Auch die Vorgaben für die Bewerberstädte wurden verschärft. "Es gibt die Forderung des IOC, dass die Bewerber zeigen müssen, dass die Bewerbung nachhaltig ist, auch wenn sie den Zuschlag für die Spiele nicht bekommen. Das heißt, die Bewerbung allein sollte schon einen Effekt auf die Gastgeberstadt haben", erläutert Jörg Krieger.

London als Positiv-Beispiel

Deshalb legen Bewerberstädte in ihren Bid Books zunehmend einen Wert auf Nachhaltigkeit, was sich zuallererst in der Verwendung temporärer Sportstätten ausdrückt. So sollen "Weiße Elefanten", wie die nach den Olympischen Spielen häufig leerstehenden Wettkampfstätten auch genannt werden, verhindert werden. Denn außer den Spielen in München 1972 und Atlanta 1996 wurde kein Olympisches Gelände weitergenutzt, sondern dem Verfall preisgegeben, oder es belastet durch hohe Instandhaltungskosten die Haushalte der Städte.

Zwar unterbrach London mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2012 diesen kritikwürdigen Trend, indem Konzepte für die nachhaltige Nutzung sowohl der Sportstätten, als auch des Olympischen Dorfs entwickelt wurden, doch mit der Vergabe der Spiele an Sotschi, Rio de Janeiro und Pyeongchang wird sich diese erfreuliche Entwicklung voraussichtlich nicht fortsetzen lassen.

So ruhen die Hoffnungen der Anhänger der Olympischen Werte auf den neu gegründeten Olympischen Jugendspielen, die 2010 erstmals in Singapur ausgetragen wurden. Mit den Sportwettkämpfen für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren möchte das IOC den Fokus wieder auf die Olympische Erziehung richten. Das Cultural and Educational Programme während der Wettkampftage verdeutlicht diesen Anspruch.

Mammutaufgabe steht bevor

Allerdings werden kritische Stimmen auch im Zusammenhang mit den Olympischen Jugendspielen immer lauter. Gestartet als kleines Gegenstück zum professionalisierten Sportspektakel der Erwachsenen und von den Medien kaum beäugt, entwickeln sich die Jugendspiele allmählich in eine ähnliche Richtung wie der große Bruder. Protestbewegungen rund um die diesjährige Austragungsstadt Nanjing sind ein Beleg für diese drohende Entwicklung.

Das IOC um den deutschen Präsidenten Bach steht vor einer Mammutaufgabe, Veränderungen scheinen aufgrund der vielen Probleme unausweichlich: Gigantismus, Doping, Korruption, Umwelt. Forderungen nach einer Rückbesinnung auf die Werte des Sports gewinnen international an Zuspruch.

"Sie werden das IOC nicht von heute auf morgen revolutionieren können, aber es muss ein Prozess eingeleitet werden, dass der Sport die Menschen wieder abholt und sich nicht von ihnen entfremdet, so wie zuletzt. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es nicht immer größer, reicher, gigantischer weitergehen kann", so Christian Neureuther.

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