Deja-Vu der hässlichen Art

Max Marbeiter
25. Februar 201519:18
Derrick Rose verpasste aufgrund von Knieverletzung beinahe zwei Saisonsgetty
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Wieder das Knie. Wieder der Meniskus. Wieder wird Derrick Rose den Chicago Bulls wochenlang fehlen. Was bedeutet die Verletzung für den Playmaker? Was für die Bulls? Und ist Chicago ohne Rose noch ein Kandidat auf den Titel. SPOX beantwortet fünf Fragen zur Verletzung.

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Was ist passiert?

Derrick Rose könne in dieser Saison "immer noch großartig sein", sagte Tom Thibodeau noch am Dienstag. Er müsse nur seinen Rhythmus finden. Dass sein Point Guard das vorangegangene Training nur dosiert absolviert hatte, bereitete Thibodeau keine Sorgen. Nein, Chicagos Coach ging davon aus, Rose auch am Mittwoch gegen die Hornets wieder zur Verfügung zu haben.

Schock! Wieder Meniskusriss bei Rose

Wieso auch nicht? Schließlich deutete nichts darauf hin, dass irgendetwas Gravierenderes vorgefallen sein könnte. Rose hatte leichte Knieprobleme, gut, aber sonst? Rose hatte gegen die Bucks nur einen 1 von 13 Würfen getroffen, dafür aber immerhin 8 Assists verteilt. Rose war weder umgeknickt noch hatte er das Spiel mit schmerzverzerrtem Gesicht verlassen. Niemand musste ihn aus dem Innenraum des United Centers führen.

Also war auch niemand vorbereitet. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Bulls noch am Dienstag ein kurzes, knappes und doch so bitteres Statement veröffentlichen würden. "Derrick Rose hat heute über eine Verletzung am rechten Knie geklagt", steht dort zu lesen. "Eine Untersuchung und das folgende MRT haben einen Riss des medialen Meniskus im rechten Knie bestätigt. Eine Operation wird terminiert. Danach folgt der Zeitplan für eine Rückkehr."

Das muss erst einmal sacken. Derrick Rose hat sich innerhalb von drei Jahren tatsächlich die dritte schwere Knieverletzung zugezogen. Im April 2012 gab beim Playoffspiel gegen die Sixers das linke Kreuzband nach, im November 2013 bei den Blazers der rechte Meniskus. Und nun schon wieder. Wann und wie sich Rose die neuerliche Verletzung zugezogen hat, weiß niemand.

Dafür darf man sich umso sicherer sein, dass sich die schlimmsten Befürchtungen der Bulls und ihrer Fans bewahrheitet haben. Wann immer Rose während eines Spiels hart zu Boden ging und sich nicht direkt wieder aufrichtete, ging ein ängstliches Raunen durch das United Center. Gefolgt von banger Stille. All das blieb diesmal aus. Die Erleichterung, nachdem sich Rose wieder aufgerichtet und einfach weitergespielt hatte, leider ebenfalls.

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Was bedeutet die Verletzung für Rose?

Das Gefühl ist nicht neu. Aber wird es nicht von Mal zu Mal schwieriger? Wird es nicht von Mal zu Mal frustrierender? Immer wieder Rückschläge wegstecken, sich zurückkämpfen, nur um wenig später wieder von vorne beginnen zu müssen. Da leidet nicht nur die Physis, auch die Psyche muss sich immer wieder neuen, unangenehmen Herausforderungen stellen.

Und schlussendlich ist da noch das Zusammenspiel. Was passiert, wenn die Psyche der Physis nicht mehr über den Weg traut, wenn hinter jeder Bewegung die nächste schwere Verletzung befürchtet wird? Dieser Frage hat sich Derrick Rose nun bereits zwei Mal gestellt - und sie offenbar nie gänzlich beantwortet.

Comeback Nummer eins war einfach zu kurz, Nummer zwei geprägt von der langen Reise zurück zu alter Form. "Früher hat er sich viel kräftiger abgestoßen, um auf seinen Speed zu kommen", beschrieb Penny Hardaway, der einst selbst mit schweren Knieverletzungen zu kämpfen hatte, im Gespräch mit Bill Simmons seine Eindrücke von Rose' Saison.

"Jetzt macht es den Anschein, als jogge er nur auf der Oberfläche. Er stößt sich nicht mehr so kraftvoll ab. Es sieht beinahe so aus, als täte es weh. Wenn er früher 100 Meilen pro Stunde schnell war, sind es momentan vielleicht 70."

Und tatsächlich war Rose in dieser Saison weit von seiner MVP-Form aus dem Jahr 2011 entfernt - mal abgesehen davon, dass das völlig normal ist. Dennoch wunderten sich viele über Spiele wie jenes gegen die Bucks, als der Wurf nicht fallen wollte. Oder jenes in Detroit, als Rookie Spencer Dinwiddie sein Starter-Debüt lieferte und dennoch der bessere von zwei Point Guards war, wenn er Rose auf der Eins gegenüberstand. SPOX

"Das schwierigste ist, wenn du nicht mehr auf dem Level performen kannst, den du gewohnt warst", sagt Hardaway. "Der Kopf will, aber dein Körper lässt dich nicht." Am Ende ginge es zur einen Hälfte um den Körper und zur anderen um das Mentale. Er selbst habe nach Spielen mitunter Minuten gebraucht, um aus seinem Auto zu steigen. So sehr hätten seine Knie geschmerzt.

Keine angenehme Vorstellung. Dennoch räumte Hardaway Rose gute Chancen ein, sich wieder komplett zu erholen. Er habe genug Zeit, sei noch jung. Allerdings wusste Hardaway damals noch nicht, dass Rose' Meniskus im rechten Knie erneut reißen würde.

Nun sind die Vorzeichen völlig andere. Zunächst einmal stellt sich die Frage der OP-Methode. Flicken oder verletzte Stelle entfernen? Vor gut einem Jahr entschieden Rose und die Bulls zugunsten der konservativeren Methode, wollten so eine längere Karriere garantieren. Entfernt man den Meniskus, respektive einen Teil, besteht schließlich schneller die Gefahr von Arthrose. Von Schmerzen. Von vorzeitigem Leistungsabfall und Karriereende.

Dwyane Wade plagt sich mittlerweile beispielsweise dauerhaft mit den Folgen seiner Entscheidung vom College herum. Er dient als mahnendes Beispiel. Andererseits besteht bei einem geflickten Meniskus immer wieder die Möglichkeit eines neuerlichen Risses. Dazu die wesentlich längere Ausfalldauer.

Am Ende kommt es auch auf die Schwere der Verletzung an. Entscheidet sich Rose dafür, den Meniskus (teilweise) entfernen zu lassen, könnte er in sechs bis acht Wochen - sprich: bis zu den Playoffs - wieder auf dem Court stehen. Lässt er den Meniskus reparieren, ist die Saison beendet.

Nun sorgte Rose mit seiner Aussage, er schaue auch auf seine Zeit nach der Karriere und wolle deshalb nichts überstürzen, jedoch bereits zu Saisonbeginn für einige Kontroversen. Doch was heißt das? Rose bezeichnet sich selbst als Tagträumer, als einen, der ständig nachdenkt.

Gerade das verkompliziert die Situation. Denn das Vertrauen in seinen Körper dürfte der MVP von 2011 zusehends verloren haben. Mittlerweile steht das Verhältnis zwischen Psyche und Physis vielleicht nicht mehr bei 50/50. Die neuerliche Verletzung kann mental verheerende Folgen haben.

Andererseits fehlen uns noch Wege und Mittel, die Gedanken unserer Mitmenschen zu lesen, herauszufinden, was in ihnen vorgeht. Deshalb weiß auch niemand, wie Derrick Rose wirklich empfindet, was er vorhat. Natürlich verkompliziert die neuerliche Verletzung den Weg zurück in die Elite, vielleicht macht sie ihn nun sogar unmöglich. Fakt ist jedoch einzig, dass Rose den Bulls erst einmal fehlen wird.

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Was bedeutet die Verletzung für die Bulls?

Man möchte sich eigentlich gar nicht vorstellen, mit welcher Abscheu der Verfasser des offiziellen Statements jene drei Zeilen getippt hat, die Derrick Rose abermals in den Krankenstand versetzten. Die Bulls dürften es leid sein, die alljährlichen Hiobsbotschaften rund um ihren Franchise Player zu verbreiten.

Denn genau das war Derrick Rose. Rund 41,5 Millionen Dollar stehen ihm in den kommenden zwei Jahren noch zu. Das Gehalt eines Superstars. Eines Franchise Players. Aber kann Rose nach der dritten schweren Knieverletzung jemals wieder diese Leistungen bringen, die ihn einst zum aufregendsten Point Guard der gesamten Association machten?

Denn bei aller Bewunderung für Russell Westbrooks derzeitige Leistungen, für John Wall oder Damian Lillard - Derrick Rose ist so etwas wie der Vorreiter des athletischen Point Guards moderner Prägung. Es kommt einem vielleicht vor, als läge es eine Ewigkeit zurück. Doch so lange ist es gar nicht her, dass der Name Derrick Rose in der Diskussion um den besten Playmaker der Liga relativ schnell fiel.

Deshalb stattete ihn sein Ausrüster mit einem horrenden Vertrag aus, deshalb bezahlten die Bulls ihm das Gehalt eines Franchise Players. Und deshalb ist die neuerliche Verletzung auch so problematisch. Denn stand heute ist es fraglicher denn je, ob Rose jemals wieder sein absolutes Maximum erreichen wird. Der eine oder andere mag es sogar gänzlich ausschließen.

Wahrscheinlich liegt er damit nicht einmal falsch. Fakt ist jedoch, dass sich die Bulls wohl endgültig nicht mehr darauf verlassen können, dass ihr Point Guard sie irgendwann noch mal zum ersten Titel seit Michael Jordan führen wird. Ausschließen lässt sich natürlich nichts, nur sind die Chancen bei rationaler Herangehensweise nun auf ein Minimum gesunken. SPOX

Das bedeutet auch, dass sich das Championship-Fenster des derzeitigen Kerns zusehends schließt. Joakim Noahs Vertrag läuft nach der kommenden Saison aus. Zudem plagt sich auch der Defensive Player of the Year mit Knieproblemen herum. Pau Gasol wird im Juli 35.

Jimmy Butler könnte Chicago als Restricted Free Agent zudem bereits im Sommer verlassen. Nur haben die Bulls einerseits bereits signalisiert, etwaige (Maximal-)Angebote für Mr. Buckets matchen zu wollen. Und andererseits möchte der Shooting Guard laut eigener Aussage ohnehin in der Windy City bleiben. Ein Abschied ist also mehr als unwahrscheinlich.

Die Frage ist allerdings, wie sich die Bulls grundsätzlich aufstellen werden. Das Team ist zusammengestellt, um den Titel zu gewinnen. Nur eben jetzt und nicht erst in drei, vier Jahren. Zudem belastet Rose' Gehalt den Salary Cap im Stile eines Franchise Players. Gut möglich, dass die Bulls umdenken, ihren Kader umstrukturieren müssen. Einfach wird das angesichts der Gehaltsstruktur allerdings nicht.

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Welche Alternativen haben die Bulls kurzfristig?

Die Trading Deadline ist verstrichen. Viele Möglichkeiten bleiben Chicago also nicht. Zumal sich ein Trade wohl relativ schwierig gestaltet hätte. Taj Gibson möchte man - zu Recht - nicht abgeben und auch mit dem Rest des Teams scheint das Front Office zufrieden zu sein.

Bereits vor der Deadline hieß es deshalb, die Bulls seien eher darauf bedacht, einen Blick Richtung Waiver-Liste zu werfen, vertragslose Spieler zu überschaubaren Konditionen zu verpflichten. Aber wen?

Allzu viele Möglichkeiten bieten sich derzeit nicht. Solide ist die Point-Guard-Rotation zwar auch ohne Rose, allerdings ist es gut möglich, dass die Bulls versuchen werden, Aaron Brooks, Kirk Hinrich und Combo Guard E'Twaun Moore einen weiteren Point Guard an die Seite zu stellen.

Am Ende könnte die Wahl auf einen fallen, den man in Chicago bereits bestens kennt. Nate Robinson ist verfügbar, spielte bereits während der Saison 2012/13 im United Center und kennt damit das System von Coach Thibodeau. Zudem erinnert man sich in Chicago wohl nur allzu gern, an KryptoNates teilweise unfassbaren Leistungen in den Playoffs.

Allerdings hatte auch Robinson mittlerweile einen Kreuzbandriss zu verkraften und hat ein Stück seiner Explosivität verloren. Jordan Farmar wäre ebenfalls eine Variante, ist aber selbstverständlich kaum dazu in der Lage, Derrick Rose annähernd zu vertreten. Es bleibt dabei: Die Möglichkeiten sind begrenzt.

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Sind die Bulls noch Titelkandidat?

Erst einmal kommt es auf die Definition an. Waren die Bulls mit Derrick Rose überhaupt ein Contender? Viele sagen "ja". Immerhin hatte das Front Office das wohl beste Team seit der Ära Michael Jordan zusammengestellt. Zwar verlief die Saison bisher nicht im Ansatz so erfolgreich wie gedacht, immer wieder bewiesen die Bulls jedoch, wozu sie im Stande sind, wenn alles funktioniert.

Potentiell hatten sie also durchaus Chancen auf den Titel. Allerdings fußte vieles auf der Hoffnung, dass Rose bis zu den Playoffs seinen Rhythmus gefunden habe, das Team tatsächlich wieder würde tragen können. Diese Hoffnung wird sich nun nicht mehr erfüllen.

Allerdings war in den vergangenen Jahren wohl kein Bulls-Team derart bereit, auch ohne Rose erfolgreichen Basketball zu spielen. Jimmy Butler hat sich zur verlässlichen Scoring-Option entwickelt. Pau Gasol liefert ebenfalls zusätzliche Optionen. Dazu kommen Nikola Mirotic und Tony Snell, der sich immer mehr zum wichtigen Teil der Rotation entwickelt und den Bulls zusätzliche Tiefe auf dem Flügel verleiht.

So hat Chicago in dieser Saison 7 seiner 11 Spiele ohne Rose gewonnen. Interessanterweise sackt das Offensive Rating ohne den Playmaker auch nur unwesentlich ab (105,1 Punkte pro 100 Possessions vs. 105,7). Das Defensive Rating ist sogar minimal besser, das True Shooting nahezu unverändert. Kurz: Die Bulls sind auch ohne Rose in der Lage, Spiele zu gewinnen.

Aber auch Titel? Richtig, Rose spielt bislang keine sonderlich berauschende Saison. Mitunter spielte er sogar richtig schlecht, traf schlechte Entscheidungen. Beinahe alle Werte sind, die zehn Spiele aus der vergangenen Spielzeit ausgeklammert, die schwächsten seit seiner Rookie-Saison. Rose' Player Efficiency Rating (16,06) ist gerade einmal gut für Rang 22 unter den Point Guards. Mit einem True Shooting von 49,6 Prozent zählt er nicht einmal zu den besten 50 Playmakern der Association. SPOX

Angekommen war Rose also längst nicht. Nur war da eben diese Hoffnung. Die Hoffnung, dass Rose seinen Rhythmus finden würde. Zumal er immer wieder Belege seines Könnens lieferte, in engen Spielen immer wieder Verantwortung übernahm - und ablieferte. Mitunter schien Rose mit der Herausforderung zu wachsen, zeitweise wieder der Franchise Player zu sein, den die Bulls zwei Jahre lang so vermisst hatten. Kurz vor dem All-Star Break lieferte er gegen die Cavs beispielsweise 30 Punkte, traf 12 seiner 24 Würfe und verteilte 7 Assists.

Derartige Statlines fehlen natürlich. Dennoch besitzen die Bulls auch ohne Rose ein sehr gutes Basketballteam. Ob sie dann auch in der Lage sind, eine Playoffserie gegen Cleveland, Atlanta oder Toronto für sich zu entscheiden, sei allerdings dahingestellt. Für den Titel dürfte es ohne einen Derrick Rose nahe seines Maximums jedoch nicht reichen.

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