Meisterteams werden nur in den wenigsten Fällen innerhalb eines Jahres zusammengestellt. Sie müssen zumeist über Jahre wachsen. Deutlich schneller ist es jedoch zu bewerkstelligen, einen Meisterschaftsaspiranten in alle Einzelteile zu zerlegen, wie man am Beispiel der Portland Trail Blazers bestaunen durfte beziehungsweise musste.
Nach dem deutlichen Erstrunden-Aus im vergangenen Jahr gegen Memphis (1:4) herrschten in Oregon Frustration, Verzweiflung und Unverständnis. Die Fans der Blazers wurden nicht angefahren, sie wurden regelrecht überrollt. Damian Lillard, Wes Matthews, Niclas Batum, LaMarcus Aldridge, Robin Lopez - der Kern von Rip City wurde um sage und schreibe vier Starter erleichtert. Ganz plastisch bedeutet das: Von 102,8 Punkten pro Spiel fallen 58,3 weg.
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105. In Worten: einhundertfünf. So viele Regular-Season-Siege konnte die Truppe aus Portland in den letzten beiden Jahren einfahren. Damit liegt man ligaintern auf Platz fünf. Texas, North Carolina, New York - die Garanten dieses Erfolgs verteilen sich zur kommenden Saison in alle Himmelsrichtungen. Im Speziellen sorgte die Personalie rund um LMA für Diskussionsstoff.
"Ich will der beste Blazer aller Zeiten werden"
Die Fans waren beruhigt, als der Star des Teams im Juli 2014 ankündigte, der "beste Blazer aller Zeiten" werden zu wollen. Obwohl er seinen Vertrag nicht vorzeitig verlängerte, ließ er verlauten: "Ich will diesen Fünfjahresvertrag [über 108 Millionen Dollar]. Ich denke, das ist für mich einfach die beste Entscheidung." Von Abschied war beileibe keine Rede.
Doch es kam anders. Aldridge unterschrieb bei den San Antonio Spurs. Für vier Jahre. Für 80 Millionen. Eine Entscheidung, die bei etlichen Portland-Anhängern Unverständnis auslöste. Woher der Sinneswandel? Was war aus seinem Versprechen geworden? Können lediglich die enttäuschenden Playoffs gegen Memphis den Ausschlag gegeben haben? Bei der zugrunde liegenden Verletztenmisere?
Möglich. Vielleicht war es aber auch das enttäuschende Abschneiden in der Postseason allgemein, welches ein Umdenken bewirkte: Aldridge erreichte mit Portland in fünf Jahren lediglich einmal die zweite Runde. Es liegt also durchaus im Bereich des Möglichen, dass L-Train wegen mangelndem Vertrauen - in Team und Franchise - einen anderen Weg einschlagen wollte.
Zumindest schien man sich in Oregon nicht allzu lange der Illusion eines Aldridge-Verbleibs zu verschreiben. So zogen die Blazers, respektive General Manager Neil Olshey und CEO Chris McGowen, schon früh die Reißleine und steuerten das Schiff in den Rebuild-Hafen: "Wir sind einfach nicht gut genug", legte Olshey schonungslos dar. Mit Batum schickten sie den Teamführenden in der Kategorie Assists nach Charlotte. Anstatt Matthews und Lopez mit teuren und langfristigen Verträgen auszustatten, entschied man sich für den jungen, für den preiswerten, aber auch für den unter Umständen langwierigen und gefährlichen Weg.
Soldier in the Game
Ein Weg, den Damian Lillard als Anführer bestreiten soll. Man stattete Sub Zero mit einem Fünfjahresvertrag über 120 Millionen aus und machte ihn somit zum unumstrittenen Fixpunkt der Offense. Für Lillard eine neue Situation: "Es ist um einiges einfacher, wenn LaMarcus trifft, wenn Wes seine Dinger macht und auch Nic einnetzt. Es ist einfach so, dass sie mit ihrer Treffsicherheit für mich vieles leichter machen", wusste der Point Guard bereits in seiner Rookie-Saison 2012.
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Konnte er sich in der Vergangenheit noch der besonderen Unterstützung von Aldridge, Matthews und Batum sicher sein, ist der selbsternannte Soldier in the Game plötzlich die erste Option im Angriff. Lillard steht vor einer Metamorphose: vom All-Star zum Franchise Player. Ob der Dreier aus dem Dribbling oder Catch & Shoot, sein Drive oder seine Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten Verantwortung zu übernehmen - offensiv ist er über jeden Zweifel erhaben. Aber gerade in puncto Defense - mit Lillard auf dem Feld kassierte Portland 102,7, ohne Lillard 97,5 Punkte bei 100 gegnerischen Possessions - und Ballverteilung muss sich Dame stark verbessern.
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Aufgrund der Kaderkonstellation besteht allerdings auch eine Gefahr: Lillard könnte zum Ego-Baller verkommen. Wenn sein Team sich nicht schnell genug entwickelt. Wenn er Siege zu erzwingen versucht. Hier dürfte jedoch Terry Stotts System entgegenwirken, denn die Devise des Übungsleiters folgte immer dem Dogma der "Selbstlosigkeit".Der Ball läuft solange in den eigenen Reihen, bis sich der am besten positionierte Schütze dem bestmöglichen Wurf ausgesetzt sieht. Kein Platz also für einen Einzelkämpfer. Lillard muss zu Stotts ausführendem Go-to-Guy reifen und als Führer eines unerfahrenen Rudels fungieren, welches fast zur Gänze verändert wurde.