Trade-Prognosen, Browns, Sleeper, Blick hinter die Kulissen - eure Fragen
bsg: Wer tradet am Draft Day zuerst nach oben? Welcher Pick wird begehrter sein, Nummer 5 oder Nummer 6 Overall?
Mein Tipp sind und bleiben die Bills - weil sie ihren Left Tackle abgegeben haben, um sich in Position zu bringen und von allen Kandidaten die meiste Munition für einen Trade nach oben haben. Ich denke, dass Pick Nummer 4 schon sehr spannend für Trades wird, würde aber auch nicht ausschließen, dass das neue Browns-Regime einen der Top-Impact-Spieler an der Position (Barkley, Nelson oder Chubb) will.
In dem Szenario würden also mutmaßlich zwei oder drei Quarterbacks mit den ersten vier Picks weggehen und das macht Pick Nummer 5 zur heißen Beute. Ich vermute, dass die Broncos tatsächlich Keenum eine reelle Chance geben und keinen Quarterback in der ersten Runde draften wollen. Denver könnte also Monster-Trade-Pakete erhalten. Sind nach Pick 5 "nur" drei Quarterbacks weg, wird es den Colts genauso ergehen.
Nach Buffalo schätze ich Arizona ebenfalls als heißen Trade-Kandidaten ein. Die Cardinals haben im Vorjahr erlebt, wie ihnen Deshaun Watson und Patrick Mahomes vor der Nase weg geschnappt wurden - in beiden Fällen ist sehr glaubwürdig übermittelt, dass Arizona andernfalls bei einem der beiden (mutmaßlich Mahomes vor Watson) zugeschlagen hätte. Daraus haben Steve Keim und Co. gelernt und dieses Szenario soll sich nicht wiederholen.
torbens: Mal was anderes: Weiß der Spieler, der an 1 gepickt wird, bereits vorher von seinem Glück? Wie ist hier die Vorgehensweise der Teams?
Kurze Antwort: Nein. Zumindest, wenn wir den Aussagen der Beteiligten Glauben schenken. Und es macht auch Sinn, immerhin weiß ein Team letztlich ja nicht, ob plötzlich noch ein Mega-Angebot für den Nummer-1-Pick rein flattert. Deshalb lassen Teams ja auch ein paar Minuten von der Uhr ticken, ehe sie den First Overall Pick einreichen. Die Spieler erfahren meist erst mit oder wenige Sekunden vor dem Anruf durch das Team von ihrem Glück.
Ich hatte für ein Interview vor zwei Jahren mal genau darüber mit Björn Werner gesprochen, und der hat das bestätigt - für die Prospects ist das ein einziger Nervenkrieg: Erst sitzt man stundenlang im Hotelzimmer herum, dann wartet man hinter der Bühne. Zwar wissen die Berater, dass das eine oder andere Team ernsthaftes Interesse hat und ein anderes Team den eigenen Schützling definitiv nicht nimmt. Da hört es aber auch schon auf.
Eine Anekdote aus diesem Gespräch, die mir im Gedächtnis geblieben ist, in Werners Worten: "Wir saßen an unserem Tisch und jeder Tisch hat sein eigenes Kabel-Telefon, auf dem die Teams anrufen können. Dann kam der dritte Pick, Miami ist per Trade hoch gegangen. Und plötzlich klingelt mein Telefon! Ich war komplett fassungslos! Ich habe also abgehoben - und es hatte sich jemand einen Scherz erlaubt. Jemand hat mich reingelegt! Der ganze Raum hat mich angeschaut, alle dachten, ich wurde gerade gedraftet. Aber am anderen Ende der Leitung hat jemand nur gesagt, dass sie mich nehmen und dann laut gelacht."
Und das ging sogar noch weiter, "einige Picks später wurde wieder jemand angerufen, und wieder war es ein Scherz-Anruf. Das ist drei oder vier Mal passiert! Die ganzen Agenten waren natürlich total sauer und irgendwann ist niemand mehr an die Telefone ran gegangen, alles lief nur noch per Handy."
Simon T. Fricker: Warum ist für alle klar, dass Tyrod Taylor eine Übergangslösung bei den Browns ist? Er ist 28, kann also möglicherweise noch 10 Jahre eine Franchise mit seiner Accuracy erfreuen.
Weil die NFL Taylor als "gut, nicht gut genug"-Quarterback einstuft. Heißt: Taylor wird dir keine Spiele verlieren und er wird dir hier und da auch durch individuelle Klasse zu Siegen verhelfen. Aber er wird dich nicht zum Super Bowl führen.
Taylor ist in meinen Augen das Musterbeispiel für einen Game Manager. Er macht wenige gravierende Fehler, geht aber umgekehrt auch kaum Risiken ein und lässt viele mögliche Würfe liegen. Um mit Taylor wirklich erfolgreich zu sein, und damit meine ich mehr als "nur" den Einzug in die Playoffs, muss um ihn herum alles passen. Das kann funktionieren, keine Frage. Teams wollen auf der Quarterback-Position allerdings einen Spieler, der auf der mit Abstand wichtigsten Position selbst regelmäßig den Unterschied ausmacht.
Und sie werden immer weiter suchen, bis sie diesen Quarterback gefunden haben. Das macht es für einen Spieler wie Tyrod Taylor nicht leicht, Teams werden konstant nach Upgrade zu ihm suchen. Auf der anderen Seite muss man dieses Upgrade auch erst einmal finden, überdurchschnittliche NFL-Quarterbacks wachsen schließlich nicht auf Bäumen. Doch Cleveland wird im kommenden Draft genau diesen Versuch (wieder einmal) angehen. Und das ist in meinen Augen auch der richtige Weg.
Ralf Baier und Lukas Dilsen: Wie siehst du die Quarterback-Situation bei den Patriots? Sollten sie im Draft auch langsam an einen Ersatz für Brady denken? Welche Needs werden die Patriots mit ihren Erstrunden-Picks am ehesten angehen?
Die Philosophie bei den Pats geht ja schon immer in die Richtung, dass man trotz Brady regelmäßig Quarterbacks vergleichsweise hoch draftet. Konkret hieß das in den vergangenen Jahren: Ryan Mallett in der dritten Runde 2011, Jimmy Garoppolo in der zweiten Runde 2014 sowie Jacoby Brissett in der dritten Runde 2016. Geht man noch weiter zurück, wäre da etwa noch Kevin O'Connell in der dritten Runde 2008.
Angesichts von Bradys Alter sowie den Abgängen von Garoppolo und Brissett wäre es also ein Schocker, wenn es gerade in diesem Jahr keinen Quarterback gäbe - und das umso mehr, da sich die Pats ein nettes Pick-Arsenal angehäuft haben: 2013, 2016 und 2017 hatte New England keinen Erstrunden-Pick, in diesem Jahr sind es - Stand jetzt - zwei in der ersten und zwei in der zweiten Runde.
Das könnte Munition für einen Uptrade sein, New England könnte aber auch in der zweiten Hälfte der ersten Runde etwa Lamar Jackson anpeilen. Der hat im College eine Variante der Pats-Offense gespielt, New England hat ihn zu einem Top-30-Visit eingeladen und die Verantwortlichen sollen schwer begeistert gewesen sein.
Needs darüber hinaus, die ich bei den Pats in der ersten Runde sehe: Linebacker und Offensive Tackle. Das ist letztlich auch die Richtung, in die ich in meinem finalen Mock Draft gegangen bin.
Rene J.: Hast du ein paar Late/Mid-Round-Sleeper dabei?
Immer doch! Hier eine kleine Auswahl:
Keke Coutee, WR, Texas Tech: Ist mir schon letztes Jahr aufgefallen, als ich Patrick Mahomes vor dem Draft analysiert habe. Schon damals hatte ich mich auf Coute als Prospect gefreut: Ein Speed-Monster, auf den sich eine Defense schematisch einstellen muss. Explosivität und Separation sind spektakulär, dazu kommen Qualitäten als Returner und nach dem Catch. Seine geringe Größe wird gegen NFL-Press-Coverage interessant zu beobachten, im College hatte er häufig einen freien Release und Platz in der Route. Bekommt ein Offensive Coordinator das in der NFL auch häufiger hin, kann Coute ein wichtiges Element einer Offense werden.
Alex Cappa, OT/OG, Humboldt State: Dominierte auf dem Small-School-Level, wo er physisch allerdings auch klar herausragte - im wahrsten Sinne des Wortes. Überzeugte dann aber auch beim Senior Bowl gegen deutlich stärkere Konkurrenz und wird von vielen inzwischen als Mid-Round-Prospect eingestuft. Spielte im College Left Tackle, könnte in der NFL auch auf Guard umschulen.
Kalen Ballage, RB, Arizona State: Das Hauptproblem mit Ballage ist die Tatsache, dass er relativ klare Lanes und Reads benötigt. Davon abgesehen aber ist das Gesamtpaket sehr spannend: Ein hochexplosiver Runner, der gleichzeitig über jede Menge Power und Physis verfügt. Hat Returner-Qualitäten und ist ein ausgezeichneter Receiver, der im College auch im Slot aufgestellt wurde. Teilweise musste ich bei seinem Tape an David Johnson denken. Nicht was die Qualität, aber was den Stil angeht.
Dimitri Flowers, FB, Oklahoma: Wer meine Texte schon länger liest, wird irgendwann mitbekommen haben, dass ich ein gutes Run Game sowie einen kreativen Einsatz des Fullbacks durchaus zu schätzen weiß. Also gibt's hier auch einen Fullback auf der Liste! Flowers passt genau in das Muster: Ein vielseitiger Spieler, der als Run-Blocker, Receiver und Runner eingesetzt werden kann. Hohes Spielverständnis gepaart mit guter Balance und Athletik - wer an die Shanahan-Offense, oder auch an das, was die Patriots zuletzt mit dem Fullback gemacht haben, denkt, wird für Flowers eine Rolle sehen.
Michael Joseph, CB, Dubuque: Ein faszinierendes Prospect. Joseph hatte keinerlei College-Angebote und musste sich von ganz unten hoch arbeiten. Das beinhaltete auch einen Wachstumsschub auf dem College, insgesamt rund 18 Kilo (!) packte er während seiner College-Karriere drauf - in der High School hatte er keinen Platz in der Startformation! Vor diesem Hintergrund ist es umso beeindruckender, dass er in drei Spielzeiten für Dubuque 15 Picks sowie 166 Tackles sammelte und zum Small School Defensive Player of the Year ausgezeichnet wurde. Seine gesamte Geschichte gibt's hier, und die lohnt sich - inklusive quasi gefakter Draft-Profile, absurder "Highlight"-Tapes und vielem mehr!
Christopher: Wäre es für die Colts sinnvoller, einen Elite-Player an 6 zu nehmen - oder lieber mehr Picks?
Durch den Trade mit den Jets haben die Colts ja schon mehrere zusätzliche hohe Picks abgeräumt, ich sehe das Szenario für Indy so: Es gibt in diesem Draft eine Handvoll Elite-Prospects außerhalb der Quarterbacks - Quenton Nelson, Saquon Barkley, Derwin James, Minkah Fitzpatrick, Bradley Chubb plus X, je nach Team-Bewertung. Anschließend erfolg ein klarer Cut zur nächsten Gruppe.
Indianapolis sollte nur so weit zurück traden, wie es ihr Board noch zulässt, um einen dieser Top-Spieler sicher zu bekommen. Da die Colts keinen Quarterback nehmen, gibt ihnen das natürlich Spielraum, ähnlich wie beispielsweise den 49ers oder den Bears. Aber man sollte gerade in der ersten Runde einen Impact-Spieler bekommen, denn letztlich ist ein Draft-Pick ja nur der Spieler, den das Team daraus macht.
Und die Colts sollten aus diesem Draft mit einem klaren Elite-Prospect raus gehen. Mit den drei Zweitrunden-Picks hat man ja noch immer Munition auf sehr hohem Level, um verschiedene Baustellen anzugehen.