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Timo Kruse: Auf was muss ich bei TV-Übertragungen achten, um zu erkennen was Offense und Defense vorhaben? Kurz: wie lese ich eine Aufstellung kurz vor dem Snap? Wundere mich immer was die Experten da alles raus lesen.
Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass es rein anhand der TV-Übertragung nicht ganz einfach ist - das macht es so attraktiv, Zugriff auf die totale Ansicht im Re-Live zu haben. Vor allem die Position der (oder des) tiefen Safeties lässt sich anhand des TV-Bildes oft nicht erkennen, um die Defense zu lesen, ist er aber einer der ersten und einer der wichtigsten Anhaltspunkte.
Als generelle Richtlinien, hier einige weitere Aspekte:
Wie viele Verteidiger sind in der Box? Eines der am Fernsehbildschirm am ehesten erkennbaren Dinge: Als "Box" wird der Bereich rund um die Offensive Line, etwa bis 3-5 Yards in die Defense hinein bezeichnet - also grob der Part des Feldes, in dem sich in einer Base-Defense die Defensive Linemen und die Linebacker aufhalten würden.
Somit sind sechs oder sieben Verteidiger in der Box die Norm, weniger als sieben Spieler in der Box lassen darauf schließen, dass die Defense einen Pass erwartet. Das Gegenteil wäre die "Eight-Men-Box", wenn die Defense also acht Spieler so nah an der Offensive Line postiert. Das ist ein klares Indiz dafür, dass ein Run erwartet wird - oder dass ein Blitz kommt.
Ist defensiv ein Sub-Package auf dem Feld? Das ist schon schwieriger zu erkennen, vor allem, wenn man mit den Teams nicht sonderlich vertraut ist. Die Trikotnummern können Aufschluss geben, manchmal bleiben die Kameras auch drauf, wenn die Auswechslungen vollzogen werden.
Kommt die Defense in einem Sub-Package - die Nickel-Defense, in der ein dritter Cornerback für einen Linebacker oder einen Defensive Lineman aufs Feld kommt, ist das häufigste Sub-Package und wird von vielen Teams inzwischen in über 60 Prozent der Snaps gespielt - aufs Feld, kann man als Faustregel davon ausgehen, dass die Defense eher mit einem Pass rechnet. Umgekehrt könnte die Offense diese leichtere Formation nutzen, um einen Run dagegen zu spielen.
Natürlich gibt es hier auch Unterschiede. Einerseits etwa extreme Sub-Packages wie die Quarter- (sieben Defensive Backs) oder die Half-Dollar-Defense (acht Defensive Backs), die dann in wirklich offensichtlichen Passing-Situationen zum Einsatz kommen. Andererseits gibt es auch Formationen wie die Big Nickel Defense: hier ist der fünfte Defensive Back kein Corner - wie in der Nickel - sondern ein Safety. Das gibt der Defense in den meisten Fällen mehr Physis, die Patriots gehören zu den Teams, die diese Formation gerne spielen.
Mit welchem Personal ist die Offense auf dem Feld? Das lässt sich mit wenig Übung schnell erkennen: Hat die Offense einen Tight End, zwei, oder gar drei auf dem Feld? Wie viele Wide Receiver stehen auf dem Platz? Ist ein Running Back in der Formation, möglicherweise auch ein Fullback?
Das gibt einem eine erste Idee von dem, was die Offense vorhaben könnte - auch wenn natürlich gerade aus offensichtlichen Run-Formationen ein Pass und umgekehrt Teil des Schachspiels zwischen Offense und Defense sind. Eine Formation mit zwei Tight Ends und einem Fullback vor dem Running Back sollte erst einmal die "Run-Play"-Alarmglocke (dann die Play-Action-Alarmglocke) schrillen lassen. Kommt die Offense mit vier Wide Receivern raus, ist ein Pass zunächst die wahrscheinlichere Option.
Ist die Offense-Formation breit gefächert oder eng? Das passt zu dem vorherigen Kriterium. Sind die meisten Angreifer eng komprimiert rund um die Offensive Line postiert, oder handelt es sich um eine Spread-Formation? Ersteres macht einen Run wahrscheinlicher, Letzteres einen Pass.
Wie reagiert die Defense auf Pre-Snap-Motion? Verfolgt ein Verteidiger den Angreifer, der sich noch vor dem Snap von der linken auf die rechte Seite der Line bewegt? Dann ist es zumindest teilweise eine Man Coverage. Verfolgt niemand den Spieler, darf man eine Zone Coverage erwarten.
Press oder Off Coverage? Wie stellen sich die Cornerbacks auf? Direkt gegenüber von "ihrem" Receiver, oder lassen sie einige Yards Raum? Ersteres lässt auf Press-Coverage schließen, Letzteres auf Off-Coverage. Dabei kann man auch die Position des Cornerbacks beobachten: Steht er direkt wie ein Spiegelbild gegenüber vom Receiver, kann das ein Indiz für Man Coverage sein. Steht er leicht zum Quarterback gedreht, ist das ein möglicher Indiz für Zone Coverage.
Generelle Faustregel: Simpel bleiben. Rein bei der TV-Übertragung wird man nicht jede Nuance erkennen, und wenn man das versucht, ist man früher oder später frustriert. Weder die Kameraperspektive, noch die Art der Übertragung (kurze Wechsel zum Reporter an der Seitenlinie oder in die Kommentatoren-Kabine, Highlight-Einspieler, Rückblicke etc.) sind dafür gemacht. Für die tiefere Analyse sind Re-Live und die All-22-Perspektive gedacht. Mit den oben genannten Tipps aber sollte man schon einiges erkennen können.
Vienna Falcons: Langfristig betrachtet: Wie gefährlich ist die Saints-Strategie, jetzt all-in zu gehen? Ein paar Verletzungen und ein First-Place-Schedule kann schon 6-10 und das Aus für Sean Payton heißen - und dann steht man mit neuem Owner, neuem Head Coach, einem 40-jährigen Brees und keinem Erstrunden-Draft-Pick da.
Da ist definitiv Risiko dabei, und ich bin nach wie vor nicht ganz davon überzeugt, dass der teure Davenport-Pick wirklich ein Win-Now-Move ist, einfach weil Davenport noch Zeit brauchen wird. Die Rams sind das andere krasse Beispiel, die für Cooks, Talib und Peters ebenfalls Draft-Kapital abgegeben haben. Insbesondere der Cooks-Trade war mir persönlich da zu teuer.
Ich bin grundsätzlich allerdings dennoch immer dafür, ein vorhandenes Titelfenster auszunutzen. In der NFL ist es nahezu unmöglich, wirklich langfristig zu planen. Dafür ist die Liga zu schnelllebig, dafür kann eine einzige Verletzung zu gravierende Auswirkungen haben. Letztlich kann niemand sagen, für wen in drei, vier Jahren das Titelfenster weit offen ist und wer sich dann im Rebuild befindet.
Die Saints, im vermutlich vorletzten oder gar letzten Jahr von Drew Brees, und die Rams, mit Goff und Gurley noch günstig unter Vertrag, sind jetzt in ihrem Titelfenster. Sich über den Draft konstant mit Talent versorgen und sich bestmöglich für die langfristige Zukunft aufzustellen ist extrem wichtig, keine Frage. Doch unter dem Strich geht es ja darum, einen Titel zu gewinnen - und wenn der Preis dafür einige Jahre des Umbruchs anschließend sind, ist das vom Grundgedanken her für mich noch immer der richtige Weg.
Der Umbruch erreicht irgendwann jedes Team, ob mit Titel oder ohne.
LarryFitz: Welchen Spielern, die man jetzt nicht so auf dem Schirm hat, traust du eine Breakout-Saison zu? Ich denke zum Beispiel im letzten Jahr an Carson Wentz oder Case Keenum.
Ohne Rookies zu berücksichtigen wären das einige meiner Top-Kandidaten:
Joe Mixon, RB, Cincinnati Bengals
Mixons Rookie-Saison verlief letztlich unspektakulär und über weite Teile unter dem Radar - dabei sammelte er allerdings 913 Scrimmage-Yards. Nicht nur aufgrund des Abgangs von Jeremy Hill rechne ich damit, dass Mixon in der kommenden Saison noch deutlich häufiger in den Mittelpunkt rückt.
Die Bengals haben, wie anfangs bereits beschrieben, ihre Offensive Line merklich verbessert, das werden Mixon und Andy Dalton früh merken. Darüber hinaus ist Offensive Coordinator Bill Lazor ein Fan davon, aus einer Spread-Offense mit Tempo zu spielen und flexibel zu sein. Mixon ist quasi der ideale Spieler dafür, er kann als Runner - ob aus Spread oder anderen Formationen - genau wie als Receiver, sollten die Bengals in der No-Huddle-Offense umstellen wollen, punkten.
Und Mixon selbst ist ein extrem talentierter Back. Die Cuts sind eindrucksvoll, die Balance und die Agilität ebenfalls. Er könnte 2018 in die Running-Back-Top-10 vorstoßen.
Mike Williams, WR, Los Angeles Chargers
Mehrere Verletzungen machen es quasi unmöglich, Williams' Rookie-Saison zu bewerten. Das Potential aber ist für jeden, der sich mit College-Football beschäftigt, kein Geheimnis - mindestens als große, physische Waffe mit großem Catch-Radius sollte er 2018 einen deutlich verstärkten Einfluss haben. Das sollte gerade in der Red Zone umso spannender werden, da die Chargers hier künftig ohne Antonio Gates arbeiten.
David Njoku, TE, Cleveland Browns
386 Receiving-Yards in seiner ersten NFL-Saison sind nicht gerade eindrucksvoll für den ultra-athletischen Tight End. Ich tippe hier auf drastische Besserung: Die Browns werden unter Todd Haley schematisch vielseitiger sein und sie haben mit Tyrod Taylor einen Quarterback, der den sicheren Pass bevorzugt und dafür den Tight End konstant einbindet. Zumindest als Receiver könnte Njoku 2018 einen großen Sprung nach vorne machen.
Patrick Mahomes, QB, Kansas City Chiefs
Vielleicht der offensichtlichste Kandidat. Mahomes wird seine "Rookie"-Fehler machen, ganz klar. Allerdings gibt es für ihn kaum eine bessere Situation: Andy Reids Scheme ist extrem modern sowie flexibel und hilft dem Quarterback enorm. Dazu haben sich die Chiefs mit Sammy Watkins nochmal verstärkt - und mit Blick auf die Defense in Kansas City könnten Shootouts nicht gerade selten sein. Ein gutes Rezept für viele Stats.
Kenyan Drake, RB, Miami Dolphins
Nach dem Jay-Cutler-Debakel fliegt Miamis Offense etwas unter dem Radar. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die Interior Line der Dolphins mit Josh Sitton und Daniel Kilgore verbessert wurde, dass Tight End Mike Gesicki Miami eine echte Matchup-Waffe im Passspiel gibt, dass Ryan Tannehill vor seiner Verletzung deutliche Fortschritte gezeigt hatte - und dass Kenyan Drake für Teile der vergangenen Saison einer der explosivsten Backs in der NFL war. Er wird von alledem, genau wie vom Abgang von Jay Ajayi natürlich, merklich profitieren.
Shaquill Griffin, CB, Seattle Seahawks
Griffin beeindruckte schon in der vergangenen Saison mit seiner Athletik, seiner Flexibilität und seiner Explosivität. Ein vielseitig einsetzbarer Corner, der technisch schon weit - und nach dem Abgang von Richard Sherman plötzlich der Nummer-1-Corner im Neuaufbau der Legion of Boom - ist. Seattle setzte schon im Laufe der vergangenen Saison vermehrt auch Man-Coverage-Konzepte ein, setzt sich das unter dem neuen Trainerstab fort, könnte Griffin eine noch prominentere Rolle als Shadow-Corner für Nummer-1-Receiver erhalten.
Robert Nkemdiche, DT, Arizona Cardinals
Bisher ist die NFL-Karriere von Robert Nkemdiche eine Enttäuschung. Als einer der talentiertesten Spieler seiner Draft-Klasse und Arizonas Erstrunden-Pick 2016 kam er durch Verletzungen und auch durch inkonstante Leistungen nie längerfristig aufs Feld. Das soll sich jetzt ändern: In der neuen attackierenden 4-3-Defense sollte Nkemdiche deutlich besser gemäß seiner Stärken eingesetzt werden, und die neuen Coaches in Arizona haben unisono von keinem anderen Spieler mehr geschwärmt. Für Nkemdiche ist es eine kritische Saison in der Wüste, die Voraussetzungen könnten dafür kaum besser sein. Jetzt muss er selbst liefern.