Ihr wollt Fragen an die SPOX-NFL-Kolumne stellen? Das geht direkt hier an den Autor!
Wie Kyle Shanahan und die 49ers Defenses zerlegen
Den San Francisco 49ers gelang gegen Cleveland nicht nur ein eindrucksvoller Primetime-Sieg - der Auftritt der Offense war vielmehr eine Schablone dessen, was wir mehr oder weniger schon die ganze Saison von den Niners sehen.
San Francisco lief gegen die Browns, die Kneeldowns zum Schluss ausgeklammert, für 278 Yards bei einem Schnitt von 7,5 (!) Yards pro Run. Das liest sich wie die Statistik eines College-Teams, das gegen einen unterlegenen Gegner die Line of Scrimmage komplett dominiert. Und das sah bei bei San Francisco 2019 längst nicht das erste Mal so aus.
Gegen Cincinnati in Woche 2 legten die Niners 261 Rushing-Yards auf (6,5 Yards pro Run) und gegen Pittsburgh waren es 169 (4,3 Yards pro Run). Lediglich gegen die formidable Run-Defense der Buccaneers in einem wilden Woche-1-Duell konnte San Francisco den Gegner am Boden nicht komplett dominieren.
San Franciscos Offensive Line gebührt ein guter Teil des Respekts dabei, die Niners spielen hier über die ersten Partien sehr gut und sind im Run-Blocking eines der besseren Teams. Vor allem aber auffällig sind zwei Dinge: San Francisco ist unglaublich gut darin, Blocker auf das Linebacker-Level zu bekommen - und kein Team in der NFL hat aktuell ein besser designtes und besser mit dem Passspiel synchronisiertes Run Game als die 49ers.
Das Run Game der 49ers: Outside Zone plus X-Faktor
Der Grund für nahezu all diese Aspekte ist die Schönheit eines gut umgesetzten Outside Zone Run Games, in vielerlei Hinsicht die Basis dessen, was Niners-Coach Kyle Shanahan offensiv machen will. Shanahan ist dabei ein Verfechter des 2-Back-Outside-Zone-Games. Heißt: Man findet in seinen Run-Designs häufig den Fullback zusätzlich zum Running Back auf dem Feld.
Das ist einerseits wichtig, um aus den gleichen Personnel-Groupings und den gleichen Formationen ins Play-Action-Passspiel übergehen zu können, in dem Shanahan den Fullback gerne als Matchup-Waffe einsetzt. Andererseits aber nutzt Shanahan ihn im Run Game aber auch gerne als eine Art Lead-Blocker.
Outside Zone bedeutet in aller Regel, dass der Running Back zwei oder eher drei Optionen hat, um seinen Run zu setzen. Da die Offensive Line - im Gegensatz zum Man-Blocking - keine direkt zugeteilten Gegenspieler haben, ist nicht im Vorfeld definiert, wo sich eine Lücke öffnet. Es ist die Aufgabe des Running Backs, die Blocks zu lesen und dann eine entsprechende Lücke zu finden.
Der hier abgebildete 83-Yard-Touchdown-Run von Breida ist ein ideales Beispiel. Fullback Kyle Juszczyk und Matt Breida stehen im Backfield, die Line blockt einen Zone-Run nach rechts. Der Block von Juszczyk geht dabei in die entgegengesetzte Richtung des Zone-Blockings (in dem Fall: die ganze Line blockt unisono nach rechts, Juszczyk nach links) - man spricht hierbei von "Split Zone".
Split Zone bedeutet, dass ein Fullback oder Tight End den ungeblockten Verteidiger der vermeintlich an der Backside des Plays, steht, blockt. In diesem Fall: Die Browns erwarten anhand des Blockings der Line einen Run nach rechts aus Sicht der Offense, die linke Seite der Formation wäre also die Backside.
San Francisco hat ein Double-Team gegen den Defensive Tackle auf dieser Seite durch den Left Guard und den Left Tackle, Tight End George Kittle, ganz links außen an der Offensive Line, blockt schnell auf das Linebacker-Level und der Left Guard löst sich nach kurzer Zeit und übernimmt ebenfalls einen Linebacker. Juszczyk blockt den Defensive End - und Breida muss dann nur einen Safety überlaufen, um ungehindert in die Endzone zu kommen.
Alles, was San Francisco im Run Game anbietet, baut auf Outside Zone auf. Ausgehend von dieser Basis wird Shanahan kreativ, um seinen schnellsten Spielern den Ball mit Raum vor sich in die Hand zu geben.
Das war gegen Cleveland mehrfach zu beobachten, ganz konkret bei diesem 18-Yard-Run von Tight End Kittle sowie diesem 15-Yard-Run von Speedster Marquise Goodwin, zu dem wir gleich noch im Detail kommen.
Was Outside-Zone-Teams gerne machen, um ein nummerisches Übergewicht auf der Seite zu erzielen, zu der sie laufen wollen, ist, dass der sogenannte "Cutback Defender" - also der auf der Backside des Plays - ungeblockt bleibt. Um zu verhindern, dass dieser Spieler direkt ins Backfield stürmt, gibt es immer wieder "Ghost Motions", also ein Spieler, der sich von der entgegengesetzten Seite in Bewegung setzt und einen Jet Sweep oder End Around andeutet.
San Francisco hatte gegen Cleveland mehrfach Erfolg damit, diesem Motion-Spieler den Ball dann auch zu geben. Bei Kittle sieht man exemplarisch, wie das gesamte Blocking erst einmal wie Outside Zone nach links (aus Sicht der Offense) aussieht. Wieder aber hat der Fullback eine entscheidende Rolle: Gemeinsam mit dem Right Tackle zieht er direkt nach außen, um den Weg für den Motion-Spieler (Kittle) frei zu räumen. Der einzige ungeblockte Spieler ist so der Defensive End auf dieser Seite, den Kittle allerdings problemlos überläuft.
Bei Goodwins Run wurden die Niners noch kreativer. Es ist ein Reverse Run, das heißt hier, dass zunächst der Receiver von links (blau markiert) den Ball erhält und ihn dann wiederum an Goodwin (gelb) übergibt, der zwei Blocker vor sich und freie Bahn hat.
Und auch hier sieht man wieder die gleichen Prinzipien. Die Offensive Line blockt den Zone Run und zieht die Defense auf die rechte Seite. Die erste Ballübergabe intensiviert den Eindruck aus Defense-Sicht, dass die Offense nach rechts laufen will. Doch mit erneut zwei vermeintlichen Backside-Blocks und dem anschließenden Reverse zu Goodwin ist die linke Seite frei.
Kein Team läuft mehr gegen acht oder mehr Verteidiger in der Box als San Francisco - doch die Play-Desings erlauben es den 49ers, trotzdem immens effizient dagegen zu sein.
Der kritische Faktor um die Explosivität auch im Passspiel zu wahren, liegt ebenfalls in den Formationen und im Blocking. Teams spielen gegen San Franciscos zahlreiche enge Formationen naturgemäß viel mit acht Verteidigern in der Box und sind dann anfällig dafür, einfache Big Plays im Passspiel zuzulassen.
Die hier dargestellte Szene zeigt einen offenen 17-Yard-Pass auf Goodwin. Die Niners spielen einen Play-Action-Fake und ziehen so die Verteidiger hinter der Defensive Line an die Line of Scrimmage heran. Die zwei, drei Schritte, die diese Verteidiger machen, reichen, um in ihrem Rücken Räume zu öffnen. Goodwin läuft eine tiefe Comeback-Route, der Defensive Back muss - ohne Absicherung hinter sich - Goodwins Speed respektieren, und so ist Garoppolos Receiver komplett offen.
Gerade die Mitte des Feldes öffnet sich auf diese Art und Weise, wie hier bei diesem einfachen 14-Yard-Pass zu Bourne. San Francisco ist erneut in einer engen und für sie typischen Run-Formation, der Play-Action-Fake zieht die beiden Linebacker an die Line of Scrimmage. Die kurze In-Breaking-Route, in dem Fall von der linken Seite, ist so kaum zu verteidigen.
Die Niners sind gefährlich - was wird aus Cleveland?
San Franciscos Run Game ist das am besten designte Run Game der Liga und eine sehr nachdrückliche Erinnerung daran, wie austauschbar ein Running Back ist, solange er die für das Scheme notwendigen Kernkompetenzen - in dem Fall Übersicht und Explosivität - mitbringt. Shanahans Play-Designs waren darüber hinaus bislang in der Lage, Jimmy Garoppolo weitestgehend zu verstecken; hier ist die Warnung angebracht, dass das nicht immer so möglich sein wird.
Und die Browns? Cleveland hat genau die Dinge, die ich letzte Woche so gelobt hatte, nicht gemacht. Viel zu wenige kurze Dropbacks mit klaren Reads über die Mitte, zu viele riskante Play-Designs, auch wenn in puncto Down and Distance überhaupt keine Notwendigkeit dafür war.
Wenn die Offense so spielt, wird eine Entwicklung deutlich, die Browns-Fans ernsthafte Sorgen bereiten sollte: Baker Mayfield macht was sein Pocket-Verhalten generell und auch sein Verhalten gegen Pressure angeht weiter Rückschritte. Die Offensive Line ist nicht gut, und wenn der Game Plan nicht so aussieht wie gegen die Ravens, scheint die Offense aktuell nicht funktional zu sein.
Die Chiefs-Offense geht baden - aber warum?
Eine der größten Überraschungen in Woche 5 rein mit Blick auf das Ergebnis war die Tatsache, dass die angeschlagene Colts-Defense Kansas Citys High-Power-Offense bei 13 Punkten hielt und in der gesamten zweiten Hälfte nur drei Punkte zuließ.
Ein paar Beobachtungen dazu, die sich direkt an die ausführlichere Analyse der Lions-Defense gegen die Chiefs letzte Woche anschließen:
- Man muss gegen die Chiefs Man Coverage spielen, das haben wir jetzt saisonübergreifend mehrfach gesehen. Kansas City hat zu viel Speed und ist viel zu gut darin, Lücken in Zone Coverages zu finden und zu attackieren - hier kommen all die offenen Pässe für Mahomes zustande. Die Lions haben das vorgemacht. Indianapolis - ansonsten ganz klar eine Zone Defense - spielte gegen die Chiefs über 70 Prozent Man Coverage. Das ist ein massiver Hinweis auf den Game Plan.
- Und hier gab es gegen die Colts etwas zu beobachten, das ich - natürlich in puncto Qualität mehrere Stufen darunter - bei den Cardinals auch schon angemerkt hatte: Ein schnelles Passspiel, Man-Beater-Konzepte und all diese Dinge sind ebenfalls davon abhängig, dass man eine gewisse Qualität im Receiving-Corps hat. Dass man eben schnell Abstand zwischen sich und den Verteidiger bringen kann; dass man die Defense dafür bestrafen kann, dass sie Man Coverage spielt.
- Ohne Tyreek Hill und ohne Sammy Watkins fehlte auch dieser Chiefs-Offense hier die Qualität, umso mehr, da Mahomes infolge seiner erneuten Knöchelverletzung im Laufe des Spiels deutlich weniger mobil war und die Pass-Protection mehr Probleme hatte als erwartet.
- Dazu, und das ist der finale Punkt: In Kombination mit der Man Coverage ist es essenziell wichtig, Mahomes in der Pocket zu halten. Das kann mit Edge-Contain funktionieren, das kann mit Quarterback-Spies gehen. Vor allem Detroit hatte hier einen sehr guten Plan.
Aber man darf die Umstände nicht außer Acht lassen. Der Fumble tief in der gegnerischen Hälfte, die angesprochenen Verletzungen im Receiving-Corps, dazu Verletzungen auf beiden Seiten des Balls an der Line of Scrimmage. Das soll nicht die Colts klein reden, eher aber aufzeigen, dass Kansas Citys Offense nicht plötzlich Probleme hat. Hier kamen viele unglückliche Umstände zusammen. Mit Hill und Watkins auf dem Feld wird es wesentlich schwieriger sein, Man Coverage gegen KC zu spielen.