Sie haben College Football mit einem vollen Stipendium gespielt. Was sind da die größten Vorteile und wäre so etwas auch in Deutschland in der Sportförderung denkbar?
Edebali: Das amerikanische System ist ein komplett anderes. Man spielt schon an der High School irgendeinen Sport. Sobald man da irgendein Talent zeigt, sei es am Theater oder im Fußball, bekommt man von den Unis oder Colleges finanzielle Hilfen. Und das ist ziemlich cool, besonders für Leute, die sich das sonst nicht leisten können und so eine Chance haben auf eine bessere Ausbildung. So etwas würde ich mir natürlich auch in Deutschland wünschen. Denn speziell wenn man jung ist und etwas findet, was einem Spaß macht und es nicht nur ein Hobby ist und es heißt "damit kannst du eh nichts erreichen", dann ist es natürlich eine gute Motivation, wenn einer sagt: Mach weiter und vielleicht bekommst du dann ein Stipendium für 50.000 Euro. Das war auch in meiner Jugend so, als ich nicht wusste, was ich machen soll und es hieß: "Was willst du denn mit Football erreichen? Du bist in Deutschland ..." Und da sagte man mir: "Kasim, du musst gute Noten haben, denn damit erhöhst du deine Chancen auf ein Stipendium." Ich wollte gut in Englisch sein, denn ich wollte ja nach Amerika. Und so fängt das dann an.
Kommen wir mal zu etwas Lockerem: Am College haben Sie als Aufnahmeritual die deutsche Nationalhymne gesungen. Wie kam es denn dazu?
Edebali: Jeder Neue muss ein Lied singen. Und es galt: Du darfst nicht rappen, sondern musst richtig singen. Und ich überlegte mir, welches Lied ich mit Selbstbewusstsein singen kann, denn sonst buhen die einen aus und man muss nochmal singen. Also habe ich mir gedacht, ich nehme die deutsche Nationalhymne. Denn was sollen die Teamkollegen machen? Die können dagegen nicht haten. Anfangs haben ein paar gebuht, doch dann merkten sie, der singt auf Deutsch, das ist mal was anderes. Und am Ende bekam ich sogar Beifall.
Im Buch gibt es eine Anekdote, dass Sie wegen Einwanderungsproblemen kurz nach Kanada reisen mussten. Und Ihr damaliger Defensive Coordinator Rob Ryan bat Sie, bei der Gelegenheit, kanadische Schokoriegel mitzubringen. Welche waren das?
Edebali: Das weiß ich gar nicht mehr, ehrlich gesagt. Aber ich bin mir sicher, wenn ich Rob jetzt anrufe, kann er Ihnen das sofort sagen. (lacht)
Das glaube ich gern! Aber wie ist denn Ryan generell so drauf im täglichen Umgang?
Edebali: Die ganze Ryan-Familie ist einfach sehr herzlich. Und ich liebe sie einfach. Es macht Spaß, mit jemandem zu arbeiten, der ambitioniert ist und gleichzeitig auch Zeit findet, mal über sich selbst zu lachen und entspannt zu sein. Jemand, der nicht immer unter Vollspannung ist. Meine Jahre mit Rob waren sehr herzlich. Und besonders im NFL-Business, das eiskalt und sehr schnell zu Ende sein kann, ist es sehr schön, wenn man mit einem Coach zusammenarbeitet, zu dem man eine herzliche persönliche Beziehung hat.
Abgesehen von Rob Ryan, welche Weggefährten haben Sie in Ihrer Karriere am meisten geprägt?
Edebali: Eigentlich müsste ich jetzt sagen: Lest das Buch und findet es heraus! (lacht)
Touché!
Edebali: Es gibt einfach so viele verschiedene Leute, die mich geprägt haben. Vor allem brauchte ich zu jeder Zeit etwas anderes in meinem Leben. Ich hatte dann einfach das Glück, zu jeder Zeit in meinem Leben den richtigen Mentor zu haben. Leute, die genau wussten, wie sie mit mir reden sollten und wie sie wirklich das meiste aus mir herauskitzeln konnten.
Kasim Edebali: Führerscheinprüfung in Deutschland? "Würde ich nicht empfehlen"
Eine Sache, die bei mir beim Lesen Ihres Buchs hängengeblieben ist, weil ich da etwas andere Erfahrungen gemacht habe, war Ihre Führerscheinprüfung, die ja recht locker verlief ...
Edebali: (lacht) Definitiv! Ich würde es nicht empfehlen, die in Deutschland zu machen. Ich weiß noch, ich saß da mehrere Stunden und konnte während des Tests meine Notizen angucken und hatte dann den theoretischen Teil bestanden. Und im Praxisteil musste ich dann zweimal rechts abbiegen, musste noch ein Autogramm geben, dass der Prüfer direkt an die Wand gehangen hat und ich hatte meinen Führerschein. Sehr schön!
Grandiose Geschichte! Eine grandiose Karriere hat derweil auch ein gewisser Brandon Staley hingelegt. Der heutige Chargers-Coach war 2018 Ihr Outside Linebackers Coach bei den Chicago Bears, zumindest für ein paar Wochen. War damals schon absehbar, dass er in so kurzer Zeit Head Coach werden würde?
Edebali: Brandon Staley und ich haben uns auch nach meiner Zeit in Chicago immer noch SMS geschrieben und damit die Beziehung weitergeführt. Man lernt in der NFL manchmal Leute kennen, die großen Einfluss auf einen haben. Und ich glaube, das beruhte in diesem Fall auf Gegenseitigkeit, denn wir haben auch außerhalb der Meetings häufig über unsere Erfahrungen gesprochen und ich wollte eben so gut wie möglich sein und immer das Richtige machen. Er merkte dann auch, dass es mir tatsächlich etwas bedeutet und ich nicht nur da war, um ein paar Paychecks mitzunehmen. Staley war damals schon superintelligent, sehr gut strukturiert. Die NFL ist ein Business, in dem du als Spieler gesagt bekommst, dass du A oder B machen sollst und das war's. Doch Staley ist so einer, der will, dass du das schaffst. Er weiß natürlich, dass zur Not der Nächste kommt, wenn du nicht deine Leistung bringst, aber es war ihm immer wichtig, dass die Leute um ihn herum erfolgreich sind. Seine Intelligenz und sein Herz für die Spieler stachen schon immer heraus. Auf einmal war er dann der Defensive Coordinator bei den Rams und nun Head Coach der Chargers. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass Sie mit jedem seiner Spieler reden können und sie genau das Gleiche über ihn sagen werden.
Sie nahmen im Laufe Ihrer NFL-Karriere an zahlreichen Probetrainings teil. Wie laufen diese normalerweise ab?
Edebali: Meist bekommt man am Vorabend einen Anruf, dass ein Team ein Probetraining wünscht. Dann wird ein Flieger gebucht. Einmal musste ich sogar innerhalb einer Dreiviertelstunde am Flughafen sein oder man stand morgens zwischen 5 und 6 Uhr auf. Es geht dann zum Medizincheck, man muss ein bisschen vorturnen, was gar nicht so wild ist. Anschließend sitzt du da wie bei "Deutschland sucht den Superstar" in einem Raum und wartest auf deinen Recall. Ab und zu nehmen sie einen unter Vertrag oder sie sagen, nein danke, packen dich aber auf eine Liste mit Jungs, die man in Zukunft mal wieder reinholen könnte. Und das ist mir auch ein paar Mal passiert.
Kasim Edebali: "Kein guter Job für Leute, die nicht mit Stress umgehen können"
Aber das heißt schon sehr viel reisen, oder?
Edebali: Es ist auf jeden Fall kein guter Job für Leute, die nicht mit Stress umgehen können. Zu jeder Zeit kann alles passieren. Man muss auch mit Enttäuschungen umgehen können, auch wenn du alles gegeben hast. Das ist ja auch die Herausforderung: In deinem ganzen Leben warst du immer der Beste und hattest Erfolg und dann hast du alles gegeben und es war nicht genug. Ich habe schon Spieler erlebt, die damit nicht umgehen konnten, deren Karriere an dem Punkt am Ende war.
Sie haben 2020 während der Corona-Pandemie Ihre NFL-Karriere beendet. Wie lange wäre es denn ohne Corona noch weitergegangen?
Edebali: Es war gar nicht mal so sehr die Pandemie, sondern mehr das Naturell der NFL. Es wurden weniger Telefonate, ich habe weniger Chancen bekommen und als ich kurz bei den Philadelphia Eagles war, bin ich schon 30 gewesen. Dann sieht man da 21, 22 Jahre alte Free Agents, die jung, stärker und auch noch günstiger sind - je länger du in der Liga bist, desto höher ist dein Minimumgehalt und letztlich ist dann ein jüngerer Spieler ein besseres Investment. Wenn du dann als Free Agent mal so alt bist, wie ich es war, musst du dann auch langsam an die Zukunft denken. Was kommt da noch? Viele können damit nicht umgehen, sie haben ihr ganzes Leben Football gespielt und jetzt geht das nicht mehr. Sie haben ihre ganze Identität verloren. Und es gibt andere, die verstehen, dass der Football für sie zu Ende ist und die nächste Sache ansteht.