In Deutschland, Spanien oder England dominieren die großen Favoriten ihre Ligen - doch ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass in anderen Ländern Europas die Konkurrenzdichte wesentlich höher ist. SPOX beleuchtet die Überraschungsteams aus Österreich, Frankreich und der Türkei - denn Geld und Ballbesitz schießen eben doch nicht immer Tore.
Wolfsberger AC (Österreich)
11 Spiele - 9 Siege, 2 Niederlagen - 23:9 Tore - 27 Punkte
Tabellenplatz: 1
Es war der 14. September diesen Jahres, als sich ein kleiner Klub aus der 25.000-Seelen-Gemeinde Wolfsberg als erster Verein aus Kärnten an die Spitze der Österreichischen Bundesliga setzte - ein historischer Tag für den Fußball in der Alpenrepublik.
"Es freut mich umso mehr, dass auch der Didi Kühbauer versteht, wie Taktik funktioniert, und dass es die Mannschaft gut umsetzen kann", meinte der als Emotionstrainer bekannte Dietmar Kühbauer nach dem sensationellen 1:0-Erfolg gegen den großen Favoriten Red Bull Salzburg und der damit verbundenen Tabellenführung für den WAC.
Erfolg kein Zufall
Seither sind drei weitere Spiele vergangen und die No-Name-Truppe ohne einen aktuellen A-Nationalspieler in den Reihen fühlt sich sichtlich wohl auf dem Platz an der Sonne. "Na sicher, fassen können wir das Ganze noch nicht. Aber das heißt nicht, dass wir die Tabellenführung nicht hart erarbeitet haben", meinte Mittelfeldmann Peter Zulj. "Viele wollen das auf einen Lauf rausreden, aber der Lauf ist längst vorbei. Mittlerweile macht unsere Qualität den Unterschied."
Die Ergebnisse geben den Kärntnern zweifelsohne Recht, wenngleich die Mannschaft nicht auf eine spektakulär offensive Spielweise wie beispielsweise die Salzburger setzt. Kühbauer legt den Fokus in einer 4-2-3-1-Grundformationen eher auf ein auf Reaktion ausgelegtes Spielsystem - defensiv solide, und bei Ballgewinn mit schnellem Umschaltspiel nach vorne.
Während seiner Karriere bewies der Erfolgstrainer mehrfach seinen ganz besonderen Humor. Angesprochen auf seinen nächsten Gegner David Beckham meinte Kühbauer einst: "Der Beckham is mir wurscht. Aber wahrscheinlich bin ich dem Beckham auch wurscht". Sympathischer Schmäh. Übrigens: Kühbauer - alias "Tennis-Didi" - verlor zwischen 2010 und 2012 in der dritten und zweiten Klasse seines Landes keinen einzigen Satz. Jetzt widmet er sich aber wieder verstärkt dem Fußball. Mit Erfolg.
"Von Ballbesitz kann man sich nichts kaufen"
Nur Aufsteiger SCR Altach hat in der Liga im Schnitt weniger Ballbesitz - dennoch ein bewusst gewähltes System, welches zu funktionieren scheint. "Wir sind jetzt sicher nicht die Mannschaft, die sich nur hinten reinstellt und auf Konter lauert. Wir spielen schon auch mit", weist Zulj mögliche Kritiker in die Schranken. "Aber man sieht auch immer wieder, dass man sich von Ballbesitz nichts kaufen kann - sondern nur von Toren."
Der Kader ist mit 23 Spielern der kleinste der Liga, da gilt es an einem Strang zu ziehen. Einen Superstar gibt es nicht, das zeigt allein schon der Blick auf die Verteilung der Torschützen - die 23 Treffer verteilen sich auf zehn Schultern.
"Unsere Vorbereitung war wirklich nicht gut. Doch mit dem ersten Liga-Spiel ist uns praktisch der Knoten geplatzt", erklärt Routinier Joachim Standfest. "Das Team ist von Spiel zu Spiel mehr zusammengewachsen."
Titel geht nur über Salzburg
Es gilt auf dem Boden zu bleiben im Lavanttal, wobei die Meisterschaft ohnehin nicht das erklärte Ziel ist. "Ich will, dass wir eine gute Saison spielen und das ist das Wichtigste", hatte Kühbauer noch vor dem ersten Spieltag erklärt. "Im Fußball kann man nicht so genau planen. Es kann immer etwas passieren."
Die Meisterschaft geht ohnehin nur über das Team aus Salzburg, wobei man laut Standfest am Ende "im guten Mittelfeld landen will. Darüber hinaus möchten wir den WAC in der Bundesliga weiter etablieren. Der Verein soll eine fixe Größe in Österreich werden."
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Olympique Marseille (Frankreich)
9 Spiele - 7 Siege, 1 Remis, 1 Niederlage - 23:8 Tore - 22 Punkte
Tabellenplatz: 1
"Möglicherweise ich", antwortete Andre-Pierre Gignac einst auf die Frage, wer denn der schlechteste Spieler im Training sei. Auch wenn das wohl nicht ganz ernst gemeint war, scheint es im Moment jedenfalls so, als hebe sich der Mittelstürmer seine Glanzmomente für die wichtigen 90 Minuten auf dem Platz auf.
Neun Tore in neun Spielen für Marseille in der Ligue 1 sind eine beeindruckende Quote, der 28-Jährige befindet sich in bestechender Form. Insgesamt hat der Führende der Torjägerliste einen Treffer mehr auf dem Konto als der komplette AS Monaco und ist einer der Erfolgsgaranten für den perfekten Lauf von OM.
Mit Abstand die beste Offensive der Liga
Ohnehin gilt die mit 23 Toren beste Offensive der Liga um Florian Thauvin, Andre Ayew, Dimitri Payet und eben jenem Gignac als Prunkstück des neunmaligen französischen Meisters - selbst die Monegassen und Paris Saint-Germain zusammen haben noch nicht mehr Tore erzielt.
Obwohl den Verein im Sommer mit Mathieu Valbuena ein wichtiger Spieler verlassen hat, funktioniert die Mannschaft in einem klassischen 4-2-3-1-System hervorragend, was auch ein Verdienst des neuen Coaches Marcelo Bielsa ist. Der Argentinier, der Athletic Bilbao einst bis in das Finale der Europa League führte, ist nach einem Jahr Pause wieder zurück auf der Trainerbank.
Holpriger Start unter "El Loco"
Dabei verlief der Start in die neue Spielzeit nicht optimal, zum Auftakt gab es nur ein 3:3-Remis gegen den SC Bastia und gar eine 0:2-Heimpleite gegen den HSC Montpellier. Doch Bielsa, der sich wegen seiner Art über die Jahre hinweg den Spitznamen "El Loco" (Der Verrückte) verdient hat, machte seinen Kickern schnell Beine. Die Folge waren zuletzt sieben Siege in Serie.
"Wir haben gerade mal neun von 38. Spieltagen absolviert. Im Moment konzentriere ich mich darauf, dass wir guten Fußball spielen, und schaue nicht auf die Tabelle", so Bielsa bescheiden, der trotz seiner speziellen Methoden eher zurückgezogen und schüchtern wirkt.
Auf der anderen Seite setzt der Argentinier aber auch voll auf Attacke - gnadenloses Pressing, kompakte Verteidigung, schnelle Angriffe bei Ballbesitz, Flexibilität und taktische Disziplin. "Mir geht es gut, wenn meine Mannschaft mehr angreift als verteidigt", beschreibt er seine Philosophie. Als Anschauungsmaterial dient dabei seine 7000 Spielaufzeichnungen starke Videosammlung.
"Schaue nur auf das nächste Spiel"
Die Ambitionen an der Cote d'Azur sind nach den starken Vorstellungen gestiegen, zu gerne hätten die Fans den insgesamt zehnten und ersten Meistertitel seit der Saison 2009/10. Doch der Taktikfuchs, dessen Pressekonferenzen gerne mal mehrere Stunden dauern, will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen: "Ich werde jede Woche danach gefragt und ich gebe jede Woche die gleiche Antwort - ich schaue nur auf das nächste Spiel."
Bislang blieben Marseille die ganz großen Kaliber noch erspart, doch in den nächsten Wochen warten die direkten Verfolger von PSG, Olympique Lyon oder Girondins Bordeaux. Dann wird sich zeigen, ob die mit einem Durchschnittsalter von 23,7 Jahren jüngste Mannschaft in Frankreichs höchster Spielklasse dem Druck der Etablierten standhalten kann.
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Mersin Idmanyurdu (Türkei)
5 Spiele - 3 Siege, 1 Remis, 1 Niederlage - 8:4 Tore - 10 Punkte
Tabellenplatz: 2
Der türkische Klubfußball ist normalerweise fest in der Hand von Istanbul - Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas machten in den letzten beiden Jahren die ersten drei Plätze unter sich aus, wobei es insgesamt gar nur sieben Spielzeiten gab, in denen der Meister nicht aus der Metropole vom Bosporus kam.
Da kann es nur eine erfrischende Abwechslung sein, wenn das traute Bild durch einen Außenseiter wie Mersin etwas aufgewertet wird. Dabei klappte der Aufstieg in der letzten Saison nur knapp, nachdem sich das Team von der Mittelmeerküste als Sechster der 1. Lig gerade noch so für die Playoffs qualifizierte.
"Ein Traum geht in Erfüllung"
"Damit geht ein Traum in Erfüllung, und ich bin einfach froh, dass ich den Schritt in die Türkei gewagt habe", erklärte der Wangener Berkan Afsarli nach dem Aufstieg. Vom beschaulichen Allgäu in die großen Stadien der Süper Lig - ein gewaltiger Schritt, für den ehemaligen Jugendspieler vom VfB Stuttgart aber kein Problem. "Hier herrscht eine etwas andere Fußballkultur. Auch wenn dort manchmal vielleicht nur 2000 oder 3000 Leute in einem Stadion sind, machen die Stimmung für 20.000 bis 30.000."
Zwar wartet der 23-Jährige noch auf seinen ersten Einsatz in der höchsten Spielklasse, seine Kollegen leisten jedoch ganze Arbeit und sind Tabellenführer Besiktas auf den Fersen. Und das unter Trainer Riza Calimbay, eine Legende bei den Kara Kartal (dt. Schwarze Adler).
So bestritt der 51-Jährige insgesamt 494 Erstligaspiele für den aktuellen Tabellenführer und feierte sechs Meisterschaften sowie vier Pokalsiege. Calimbay weiß also, wie erfolgreich sein funktioniert, und vermittelt dies in absoluter Perfektion an seine Mannen auf dem Rasen.
System: Atomameise
"Wir sind eine komplett neue Truppe, die noch ihre Defizite hat. Wir müssen jede Phase nutzen, um zusammenzuwachsen", so der wegen seiner Größe und Spielweise von den Fans seines Ex-Klubs auf Atomameise getaufte Coach.
Harte Arbeit, Leidenschaft und der Glaube an sich selbst - Tugenden, welche Calimbay stets selbst verkörperte. Dazu zählt auch, eine demütige Haltung an den Tag zu legen: "Wenn jeder seine Hausaufgaben macht, wird das eine gute Saison. Wichtig ist, dass wir Kontinuität reinbekommen und dauerhaft ein Teil der Liga sind."
Es wird darauf ankommen, sich die Kräfte gezielt einzuteilen, das weiß auch der Coach: "Die Liga ist ein Marathon. Wir brauchen Punkte und Siege. Wir müssen besser werden, wir hätten unsere Spiele auch alle verlieren können. Nur weil wir drei Mal gewonnen haben, ist noch nicht alles super. Mit drei Siegen hast du deine Ziele nicht erreicht."
"Es kann alles passieren"
Am Ende wird es ohnehin schwer werden, die Klubs aus Istanbul von der Spitze zu verdrängen, was aber auch nicht das erklärte Ziel ist. "Fenerbahce hat im Titelrennen Vorteile. Sie haben ihren Kader gehalten und machen mit der gleichen Mannschaft weiter", so Calimbay über seinen persönlichen Favoriten.
Trotzdem muss der Titelträger am Ende der Saison nicht zwangsweise aus der 14-Millionen-Einwohner-Stadt kommen: "Es kann alles passieren. Es kann auch aus Anatolien ein Meister kommen."
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