"Bayern München ist für viele der Feind"

Florian BognerThomas Gaber
20. Dezember 200923:54
Mark van Bommel (M.) kam 2006 vom FC Barcelona zum FC Bayern MünchenGetty
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Seit 2006 spielt Mark van Bommel für den FC Bayern München und hat in dreieinhalb Jahren viele Höhen und Tiefen erlebt. Im SPOX-Interview spricht der 32-jährige Niederländer über Erfolgsdruck in München, angenehme und unangenehme Seiten als Bayern-Kapitän und überragende Jungs in Barcelona. Zudem verrät van Bommel seine Zukunftspläne und räumt mit Vorurteilen über sein Image auf.

SPOX: Herr van Bommel, eigentlich sollte dieses Gespräch schon am 4. November stattfinden, einen Tag nach dem 0:2 gegen Bordeaux. Was ist seitdem passiert beim FC Bayern?

Mark van Bommel: (lacht) Wir haben die Spiele gewonnen.

SPOX: Teilweise sogar recht souverän. Warum so spät?

Van Bommel: Wir wussten von Anfang an, was wir können. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir es umsetzen. Normalerweise hat man in einer Mannschaft nur ein, zwei Spieler, die ihr Niveau über einen längeren Zeitraum nicht erreichen. Wir hatten in der Hinrunde aber Spiele, in denen bis zu acht Spieler nicht ihr Leistungsvermögen erreicht haben. Dann kann man kein Spiel gewinnen.

SPOX: Jörg Butt hat nach dem 4:1 in Turin gesagt, dass ihn die Leistung nicht überrascht hat.

Van Bommel: Mich auch nicht. Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben. Umso besser, dass in einem so wichtigen Spiel der Knoten aufgegangen ist.

SPOX: Gab es ein Schlüsselerlebnis zum Guten?

Van Bommel: Die Mitgliederversammlung. Die Reden von Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer waren sehr positiv, obwohl wir in einer schwierigen Zeit waren. Und die Stimmung unter den Mitgliedern war ebenfalls sehr positiv. Es gab kein böses Blut. Das war so nicht zu erwarten. Da hat man gesehen, was wirklich in diesem Verein steckt. Die Versammlung war ein wichtiges Signal an alle, die beim FC Bayern arbeiten.

SPOX: Hat sich die Mannschaft erst finden müssen?

Van Bommel: Wir haben einen neuen Trainer bekommen, der seine eigenen Ideen eingebracht hat. Einige Spieler waren es nicht gewöhnt, dass ein Trainer so über Fußball denkt. Louis van Gaal ist Holländer. Deutschland hat über 80 Millionen Einwohner, Holland nur 16 Millionen. In Holland muss man andere Wege finden, Spieler auszubilden. Man muss innovativ sein, sonst hat man keine Chance. Van Gaal hat versucht, seine eigene Denkweise vom Fußball zu vermitteln. Es dauert seine Zeit, bis wir seine Vorstellungen verinnerlichen. Schweinsteiger zum Beispiel spielt seit Wochen überragend. Man darf auch nicht vergessen, dass wir viele Verletzte hatten. Olic, Ribery, Robben, Toni, Demichelis, Klose, ich selbst. Das Spiel gegen Juventus war für uns eine Bestätigung, dass wir es verstanden haben.

SPOX: Es hat aber gedauert, bis die Mannschaft das richtige Spielsystem gefunden hat. Am Anfang hat Bayern im 4-4-2 mit Raute gespielt. Van Gaal hat einige Spieler auf der Zehner-Position ausprobiert. Dann wurde Arjen Robben verpflichtet und 4-3-3 gespielt. Recht erfolgreich. Jetzt spielt Bayern ein 4-4-2 mit Doppelsechs, ein eher konservatives System. Was ist, wenn Ribery und Robben wieder voll einsatzfähig sind?

Van Bommel: Wir haben in jedem System gewusst, was wir zu tun haben, nur an der Ausführung hat es gemangelt. Wir haben aber in jedem System gute Spiele gemacht. Man muss sein System nach den Spielern richten, die man zur Verfügung hat. Wenn man Franck Ribery und Arjen Robben hat, bietet sich ein 4-3-3 an, weil beide echte Außenstürmer sind. Aber wir können auch mit Franck und Arjen 4-4-2 mit Doppelsechs spielen. Wenn wir in Ballbesitz sind, ist es eher ein 4-2-4. Wenn der Gegner den Ball hat, spielen wir 4-4-2 mit flacher Vier.

SPOX: Egal, welches System: einer darf nicht fehlen - Mark van Bommel. Van Gaal sagt: 'Mein Kapitän spielt immer.' Wie schwierig ist es, einerseits diesen Freibrief zu haben, sich andererseits aber auf dem Platz immer wieder beweisen zu müssen?

Van Bommel: Als Kapitän spüre ich zusätzlichen Druck. Aber das gehört dazu. Wenn ich schlecht spiele und die Mannschaft gewinnt, bin ich trotzdem zufrieden. Wenn die Presse mir die Note 5 gibt, stört mich das nicht, wenn ich für meinen Einsatz für die Mannschaft eine 3 bekomme. Auch wenn man lauter Fehlpässe spielt, aber gut steht und die richtigen Kommandos gibt, kann man sehr wichtig für die Mannschaft sein.

Van Bommel mit den SPOX-Redakteuren Florian Bogner (M.) und Thomas GaberSPOX

SPOX: Wie wurden Sie überhaupt van Gaals Kapitän?

Van Bommel: Der Trainer hat in der Vorbereitung keine Andeutungen gemacht. Am Tag vor dem Pokalspiel (2. August gg. Neckarelz, d. Red.) hat er mich gefragt, ob ich sein Kapitän sein möchte.

SPOX: Er hat Sie gefragt?

Van Bommel: Ja. Er hat nicht gesagt: 'Du bist es', er hat gefragt.

SPOX: Und was haben Sie geantwortet?

Van Bommel: Dass ich das sehr gerne machen würde. Das heißt aber nicht, dass ich als Kapitän jeden Tag im Büro des Trainers bin. Wir haben fünf, sechs Spieler, die in der Kabine das Sagen haben. Was in der Kabine passiert, darf nicht nach außen dringen. Kabinengespräche sind Geheimnisse. Und die fünf, sechs Führungsspieler sorgen dafür, dass das auch so bleibt.

SPOX: Wer sind diese Spieler?

Van Bommel: Hoffentlich vergesse ich jetzt keinen. (überlegt) Schweinsteiger, Klose, Lahm, Butt. Auch Ribery, Toni und Gomez.

SPOX: Ist es eine Ehre für Sie, Kapitän dieser Mannschaft zu sein oder ist es manchmal auch eine unangenehme Verantwortung?

Van Bommel: Nein, es ist eine große Ehre für mich. Ich war fünf Jahre Kapitän in Eindhoven und bin es jetzt im zweiten Jahr beim FC Bayern, bei einem der größten Vereine überhaupt. Das macht mich sehr stolz. Klar, als Kapitän muss man manchmal auch unangenehme Dinge tun. Man muss immer Klartext reden. Ich habe aber auch meinen Mund aufgemacht, wenn ich nicht Kapitän war. Der Erfolg der Mannschaft steht über allem. Wenn ich diesen gefährdet sehe, sage ich etwas dazu. Das wird akzeptiert, solange man keine Show abzieht.

SPOX: Sie haben beim FC Bayern in vier Jahren fünf verschiedene Trainer erlebt mit unterschiedlichen Philosophien. Erleben Sie die intensivste Phase Ihrer Karriere?

Van Bommel: Bayern München ist kein einfacher Verein. Wenn man Erfolg hat, ist es die normalste Sache der Welt. Wenn nicht, dann sind die Medien mit sehr vielen Leuten da. Wer bei Bayern München spielt, muss mental sehr gut drauf sein. Wenn man hier drei Mal nicht gut spielt, ist man schon ein Fehleinkauf. Bayern ist das Nonplusultra in Deutschland. Wenn wir nicht ins Champions-League-Achtelfinale einziehen, dann war es für den deutschen Fußball ein schlechtes Jahr.

SPOX: Man muss also druckresistent sein, wenn man zum FC Bayern kommt.

Van Bommel: Anders schafft man es nicht. Die Messlatte ist extrem hoch.

SPOX: Wenn der FC Bayern das Nonplusultra in Deutschland ist, was ist der FC Bayern dann in Europa?

Van Bommel: Ich weiß es derzeit nicht. Wenn wir die Leistung aus dem Juve-Spiel wiederholen, dann ist für uns sehr viel möglich. Wenn uns das nicht gelingt, können wir auch gegen jede Mannschaft verlieren. Wir wissen leider noch nicht, wo wir stehen. Barcelona ist sicher weiter als wir. Das ist momentan nach wie vor die beste Mannschaft in Europa.

Teil II: Van Bommel über Party-Life in Barcelona, Image-Korrekturen und seine Zukunft

SPOX: Sie haben selbst ein Jahr in Barcelona gespielt und die Champions League gewonnen, kamen aber nicht regelmäßig zum Einsatz. War es ein verlorenes Jahr?

Van Bommel: Nein, ich hatte kein schlechtes Jahr. Ich habe von 38 Ligaspielen 24 gemacht, 9 Spiele war ich verletzt. In der Champions League habe ich 9 von 13 Spielen gemacht und im Finale in Paris habe ich von Anfang an gespielt.

SPOX: Und sie haben den Pokal gewonnen. Wie feiert man beim FC Barcelona?

Van Bommel: Der Moment in der Kabine, wenn die Tür zugeht und man ungestört ist, ist der schönste. Wir sind 2006 in der Halbzeitpause unseres Spiels bei Celta Vigo Meister geworden, weil Valencia gegen Mallorca nicht gewonnen hat. Trainer Franck Rijkaard kam überhaupt nicht dazu, Anweisungen zu geben - das war eine einzige Party in der Kabine. Bei Partys waren auch Xavi und Iniesta immer vorne dabei. Letztendlich ist ein Tag, an dem man Titel gewinnt, aber ein Arbeitstag wie jeder andere. Wenn der Champions-League-Pokal in der Kabine steht, schaut man ihn an, macht ein paar Fotos und dann geht man nach Hause.

SPOX: Sie scheinen sich wohlgefühlt zu haben inmitten der vielen Stars.

Van Bommel: Ja, wir hatten das gesamte Jahr über eine überragende Stimmung. Xavi, Puyol, Valdes und Iniesta bestimmen, was in der Kabine läuft. Sie kommen alle aus Katalonien und sind schon ewig im Verein. Das sind überragende Jungs.

SPOX: Die sehr gut Fußball spielen können.

Van Bommel: Barcelona spielt einfachen Fußball. Bevor Xavi oder Iniesta den Ball annehmen, schauen sie über ihre Schulter, wo ein freier Mitspieler ist und wo die Gegenspieler stehen. Sie sind immer schon mit dem nächsten Schritt beschäftigt. Sie antizipieren perfekt. Ich habe mir das abgeschaut und versuche das auch. (schmunzelt) Leider klappt es nicht immer.

SPOX: Ist der Stil von Barca die Zukunft des Fußballs?

Van Bommel: Barcelona hat immer so gespielt. Aber es gab auch Jahre, in denen sie nicht so erfolgreich waren, in denen sie nichts gewonnen haben. In den 70er Jahren haben Bayern und Ajax alles gewonnen. Dann waren die Italiener dran, dann die Spanier und schließlich die Engländer. Es gibt die unterschiedlichsten Wege zum Erfolg. Chelsea spielt ganz anders als Barcelona. Sehr körperbetont, sehr diszipliniert, sehr zielstrebig. Mit diesem Stil haben sie Barcelona fast geschlagen. Wenn man eine gute Idee hat und diese durchzieht, dann ist es eine Frage der Zeit, bis man Erfolg hat.

SPOX: Wo liegt die Idee des FC Bayern? Irgendwo dazwischen?

Van Bommel: So wie wir gegen Juve gespielt haben. Das ist unsere Idee. Es war wichtig für uns zu erkennen, dass man mit dieser Idee, Fußball zu spielen, Erfolg haben kann.

SPOX: Bayern ist ins Rollen gekommen. Lässt sich der Lauf über die Winterpause konservieren?

Van Bommel: Wir haben fast alle Mann wieder an Bord und somit noch mehr Möglichkeiten. Wir würden gerne weiterspielen - Gott sei Dank ist die Winterpause nicht so lang. Wir haben jetzt ein Niveau erreicht, das wir jedes Wochenende bestätigen müssen. Das ist eine weitere Herausforderung. Wenn wir jedes Mal auf diesem Niveau spielen oder nah an dieses Niveau herankommen, dann möchte ich mal sehen, wer uns schlägt.

SPOX: In der Winterpause stehen traditionell Vertragsgespräche an. Bleibt Mark van Bommel dem FC Bayern über die Saison hinaus erhalten?

Van Bommel: Ich weiß es nicht. Ich habe gehört, dass im Trainingslager in Dubai Gespräche anstehen. Es laufen mehrere Verträge aus. Ich bin gespannt, was passieren wird.

SPOX: Aber Sie haben doch sicher eine Tendenz, ob Sie bleiben möchten oder nicht.

Van Bommel: Ich bestimme nicht die Tendenz, die bestimmt der Verein. Der Spieler muss gut spielen. Alles andere bestimmt der Verein.

SPOX: Als es im letzten Jahr um Ihre Vertragsverlängerung ging, sagten Sie, Sie fühlten sich bei Bayern zuhause und nahmen das Einjahresangebot an, obwohl Sie einen Zweijahresvertrag wollten. Wie ist es denn diesmal?

Van Bommel: Ich fühle mich nach wie vor zuhause, ich bin jetzt schon vier Jahre hier. Ich hatte letzte Saison die Möglichkeit zu wechseln. Zu besseren Konditionen und mit einer längeren Laufzeit. Aber es ist schwierig, sich gegen den FC Bayern zu entscheiden. Man weiß, was man hier hat. Hier spielt man normalerweise immer um Titel. Ich hätte woanders mehr Geld verdienen können. Aber das wichtigste ist, was man auf der Autogrammkarte stehen hat, wenn man aufhört.

SPOX: Titel sind das wichtigste im Fußball?

Van Bommel: Ja. Wenn Sie für das beste Interview des Jahres ausgezeichnet werden, ist das doch wichtiger, als mehr Geld zu bekommen als der Kollege. Oder etwa nicht?

SPOX: Aber wenn man dafür an einem Arbeitsplatz arbeiten muss, der einem nicht gefällt?

Van Bommel: Deswegen bin ich ja auch bei Bayern geblieben. Ich habe bessere Angebote ausgeschlagen, weil ich mich bei Bayern sehr wohl fühle. Da muss man auch mal auf etwas verzichten.

SPOX: Als Anatolij Tymoschtschuk verpflichtet wurde, hieß es, für van Bommel bleibt nur noch ein Platz auf der Bank. Es kam anders. Spüren Sie Genugtuung?

Van Bommel: Nein. Ich gehe nie der Konkurrenz aus dem Weg. Als ich meinen neuen Vertrag unterschrieben habe, stand bereits fest, dass Tymoschtschuk kommt. Aber ich habe Vertrauen in meine Leistung. Ich weiß, was ich kann.

SPOX: Sie standen durch Ihre teilweise rauhe Spielweise in der Bundesliga im Rampenlicht. Machen Sie sich Gedanken über Ihr Image?

Van Bommel: Ich habe mein Image damals selbst kreiert - auch, wenn ich es nicht wollte. Ich habe einen Stempel von der Öffentlichkeit bekommen. Aber ich habe mich geändert und schon seit eineinhalb Jahren keine Rote oder Gelb-Rote Karte mehr bekommen. Ich befürchte aber, dass die Schublade wieder aufgeht, wenn ich die nächste Rote bekomme.

SPOX: Empfinden Sie diesen Stempel als ungerechtfertigt?

Van Bommel: Nein, aber auch das ist Bayern München. Wenn man bei Bayern eine Rote Karte bekommt, ist das in der Öffentlichkeit zwei Wochen ein Thema. Deswegen ist der Druck hier auch höher als woanders. Wenn man bei Bayern München spielt, ist man für viele andere ein Feind.

SPOX: Sie sind in Holland, Spanien und Deutschland Meister geworden und mit Barca Champions-League-Sieger. Fühlen Sie sich manchmal nicht genug wertgeschätzt?

Van Bommel: Ich bin vielleicht nicht der beste, aber auch nicht der schlechteste Fußballer. Als ich ein paar Karten zu viel bekomme habe, hieß es: 'Der van Bommel kann gar nicht Fußball spielen.' Das ist für mich aber nicht wichtig. Ich bin wichtig für die Mannschaft und werde im Verein geschätzt. Das ist für mich entscheidend.

SPOX: Es heißt, Sportler sollten am Höhepunkt der Karriere aufhören. Was machen Sie, wenn sie mit Holland 2010 Weltmeister werden?

Van Bommel: (lacht) Dann werde ich meine Karriere in der Nationalmannschaft beenden.

SPOX: Aber nicht die im Verein.

Van Bommel: Nur soviel: Ich habe nun mal den schönsten Beruf der Welt.

Teil I: Van Bommel über van Gaal und seine Aufgaben als Bayern-Kapitän