Frank Buschmann: Zwei Jahre ist es her, seitdem wir uns das letzte Mal etwas intensiver gesehen haben. Wir haben durch Zufall einen Urlaub gemeinsam verbracht und viel gequatscht und ein bisschen über das Image des Kevin-Prince Boateng gesprochen. Hat sich in den zwei Jahren eine Menge verändert? Früher das Bad-Boy-Image, Ghetto-Kid, schwieriger Typ - aber wenn man jetzt etwas über Dich liest und hört, heißt es immer, dass er eine wahnsinnige Entwicklung gemacht hat. Was ist das für eine Entwicklung?
Kevin-Prince Boateng: Puh, schwierige Frage. Entwicklung? Keine Ahnung. Ich habe mich entwickelt. Das ist die Entwicklung, die passiert ist. In den zwei Jahren hat sich sehr, sehr viel getan. Privat, im Job. Oder natürlich jetzt auch mit dem Rassismus. Es haben sich sehr viele Sachen getan und ich habe mich weiterentwickelt. Vom Kopf her: viel mehr Nachdenken. Härter arbeiten. Andere Aufgaben außer Fußball. Das kommt alles zusammen und jetzt sitze ich hier und quatsche mit Dir zwei Jahre später als eine andere Person. Nein, nicht als andere Person, aber mit einem anderen Status.
Buschmann: Du hast eine Geschichte angesprochen, die auch hier in Deutschland extrem durch die Medien gegangen ist. Man kann von einem Rassismus-Problem bei den Fußball-Fans, den Hooligan-Fans, wie immer man das nennen mag in Italien, sprechen. Wie nah ist Dir das gegangen? Du hast immerhin ein Spiel abgebrochen.
Boateng: Erstens kann man nicht von einem Problem sprechen. Man muss von einem Problem reden, weil es wirklich noch präsent ist dort. Es ist mir sehr nahe gegangen und es sind Emotionen, die man eigentlich nicht beschreiben kann. Die hatte ich schon mal in Deutschland, aber das ist vielleicht zehn Jahre her.
Buschmann: Ist das Frust? Ist das Wut? Ist das Enttäuschung?
Boateng: Es ist alles zusammen. Frust, Wut, Enttäuschung, Aggressionen, es kommt alles zusammen. Deswegen habe ich mir gedacht: "Okay, ich will hier nicht mehr weiterspielen." Ich weiß nicht, als Dunkelhäutiger, wenn du so beleidigt wirst, kann man es als weißer Mensch vielleicht nicht nachvollziehen in dieser Hinsicht, was sie alles geschrien haben und alles. Es ist ein Schmerz, es tut weh.
Buschmann: Mannschaftskameraden haben sich extrem an Deine Seite gestellt. Wie ist das Gros der normalen Fans umgegangen mit der Aktion, dass Du gesagt hast: "Es ist Schluss hier!"?
Boateng: Als ich den Ball in die Ränge geschossen habe und vom Platz gegangen bin, sind die normalen Fans aufgestanden und haben mir applaudiert. Ich bekam von allen sehr, sehr positives Feedback sofort auf dem Platz. Die Mannschaft ist mir hinterhergelaufen. Das war noch einmal das i-Tüpfelchen darauf, dass sie mich wirklich unterstützt haben. Und auch die anderen Fans haben alle applaudiert und sind gegen die Hooligans, oder wie immer wir sie nennen wollen, angegangen.
Buschmann: Man könnte auch Faschisten oder Nazis sagen.
Boateng: Wie auch immer, es gibt tausend Wörter dafür.
Buschmann: Wie weit ist der Gedanke wirklich gegangen zu sagen: "Okay, unter diesen Umständen kann ich hier in Italien nicht weiterspielen."?
Boateng: Im ersten Moment war ich echt sauer. Da war der Zorn. Da hat der Zorn gesprochen. Ich habe auch gesagt: "Ich möchte weggehen!" Aber das hat sich nach zwei Tagen wieder gelegt, weil ich mir gesagt habe: "Nein, jetzt erst recht! Jetzt erst recht möchte ich dagegen vorgehen!" Und dann war es auch ein Riesen-Boom und Hype, wovon ich auch erschrocken war und wovon ich mir auch gedacht habe: "Mein Güte, was habe ich jetzt schon wieder gemacht?" (lacht)
"Das Chamäleon" - Kevin-Prince Boateng im Porträt
Buschmann: Tut es im Endeffekt gut? Macht es Dich stolz, auch wenn es ein schwieriges Wort ist? Macht es eine breite Brust, wenn man registriert, dass die Leute mein Verhalten und meine Gedankengänge akzeptieren?
Boateng: Ich denke, es war der richtige Zeitpunkt, dass jemand wirklich etwas dagegen macht. Und es ist immer so: Es muss immer einer den Unterschied ausmachen, dass andere ihm folgen. Das ist normal. Viele Menschen haben vielleicht gedacht, was ich gemacht habe, und deswegen folgen sie dir. Und deswegen ist es ein gutes Gefühl, dass ich sehe, dass mich viele Leute unterstützen. Auch andere Fußballer, andere Superstars, die mich alle unterstützen und die das gleiche denken wie ich. Und das ist natürlich ein schönes Gefühl.
Buschmann: Wenn wir das jetzt vergleichen: Wir haben auch damals 2011 darüber gesprochen. Es war das Jahr nach der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika und da warst Du ja "Deutschlands Staatsfeind Nr. 1.", weil Du die Aktion gegen Michael Ballack hattest. Du damals noch im Trikot des FC Portsmouth. Das kommt Dir wahrscheinlich aus den Ohren raus. Da war ja die Einstellung zum Kevin-Prince Boateng eine völlig andere. Ganz speziell in Deutschland. Alle haben gesagt: "Bleib mir weg mit dem!" Auch vielleicht dazu noch: Wie nah ist Dir das damals gegangen?
Boateng: Man sagt ja immer: "Ich kümmere mich darum nicht." Oder: "Interessiert mich nicht."
Buschmann: Das glaube ich Dir nicht.
Boateng: Genau. Ich sage, dass jede Kritik einen immer irgendwie trifft. Und dann ist es an der Person, etwas daran zu ändern, ob es einem nahegeht oder nicht. Ich habe mir gesagt, dass ich dieses "Aber" nicht mehr hören möchte. "Talent - aber....". "Guter Spieler - aber....". Und ich wollte es nicht mehr hören. Deswegen habe ich mir gesagt: "ich muss dagegen vorgehen. Ich muss meinen Job machen. Ich muss mich auf meinen Fußball konzentrieren. Und ich muss derjenige sein, der den Menschen entgegenkommt mit geöffneten Augen und Respekt zeigen." Und dann bekommt man alles zurück.
Buschmann: Warst Du der Verkannte? Oder hast Du vielleicht Fehler gemacht?
Boateng: Klar, ich habe auch viele Fehler gemacht. Wenn mir jemand früher "Bad Boy" gesagt hat, war ich auch stolz darauf: "Oh ja, cool, Bad Boy!" Heutzutage weiß ich, dass es nur Kinderkram war. Klar habe ich auch Fehler gemacht. Natürlich wurde ich vielleicht auch falsch verstanden. Dann kommen solche Sachen dazu. Heutzutage gibt es immer noch Journalisten, die die Schublade aufmachen, wenn sie den Henkel gerade gefunden haben, und immer wieder die Sachen über mich schreiben. Das juckt mich wirklich nicht mehr. Jeder, der mich heutzutage kennenlernt, sieht in mir einen super Fußballer und einen guten Menschen.
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