Von Pep Guardiola war es womöglich nicht beabsichtigt. Doch die Vertreter des FC Villarreal, die nach dem 0:5 zum Liga-Auftakt gegen den FC Barcelona ohnehin zutiefst gedemütigt waren, fühlten sich endgültig bloßgestellt, als Gurdiola vor die Presse trat.
"Wir haben eine unglaublich gute Leistung gezeigt. Damit ist unsere Vorbereitungsphase beendet und die richtige Saison kann nach der Länderspiel-Pause beginnen", sagte Guardiola nach dem Sieg über Villarreal.
Der Barca-Coach sah den ersten Spieltag gegen den letztjährigen Vierten der Primera Division und Europa-League-Halbfinalisten nicht als ernsthaften Wettstreit, sondern angesichts der Ausfälle in der Abwehr (Puyol, Pique, Alves) als willkommene Gelegenheit zum Proben einer taktischen Grundformation, die vermutlich einige Nachahmer finden wird: die Dreier-Abwehrkette.
Erinnerungen an das "Dream Team"
Wobei die Neuerung eher eine Renaissance bedeutet: Schon Barcelonas "Dream Team" Anfang der 90er Jahre mit Johan Cruyff als Trainer und Guardiola als taktgebendem Sechser variierte zwischen einer Vierer- und einer Dreier-Abwehr.
Nun besann sich Guardiola an die glorreichen Tage und macht sein grandioses Team noch grandioser, weil es unberechenbarer ist. "In dieser Nacht wurde eine neue Mannschaft geboren", jubelt "El Pais". "El Mundo Deportivo" schreibt: "Revolution Pep!" In Spanien ist nun die Rede von "Cruyffismo 3.0".
Doch so groß Guardiolas Schaffenskraft ist - im Grunde folgt er nur einer Entwicklung des Weltfußballs, die vor allem in Südamerika und Italien schon vor Jahren eingeleitet wurde.
Das 3-5-2 als Identität
Chile gehört zu den aus taktischer Sicht interessantesten Nationalteams der jüngeren Vergangenheit und fand unter Ex-Trainer Marcello Bielsa im 3-3-1-3/3-5-2 eine eigene Identität. Uruguay, Gewinner der Copa America 2011, WM-Vierter 2010 und die derzeit dominante Kraft des Kontinents, läuft mehrheitlich im 4-4-2 und 4-2-3-1, je nach Gegner und Personallage aber eben auch im 3-5-2 auf.
In der Serie A fand die Dreierkette vor allem in der vergangenen Saison wieder Eingang und Beachtung, denn Napoli und Udinese fuhren damit erstaunliche Ergebnisse ein. Udines Francesco Guidolin setzt auf ein 3-5-2, Napolis Walter Mazzarri auf ein 3-4-2-1.
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Als erster Großklub schwenkt in dieser Saison Inter Mailand auf die Dreier-Abwehrkette um. Der neue Cheftrainer Gian Piero Gasperini bevorzugt ein 3-4-3, in der er zuvor den FC Genua spielen ließ. Heißt: Mit Inter, Napoli und Udine verzichten drei der vier besten Mannschaften der vergangenen Serie-A-Saison auf einen nominellen vierten Verteidiger.
"Der Fußball wurde gemacht, um anzugreifen. Deshalb ist es positiv, dass einige unserer Mannschaften ein System mit drei Verteidigern wählen, das das Offensivspektakel fördert", sagt Milans Trainer-Legende Arrigo Sacchi und gibt damit eine Erklärung dafür, welchen Vorteil eine Dreier-Reihe mit sich bringt.
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Wer traut sich in Deutschland als Erster?
Noch vor zehn, 15 Jahren, als speziell in Deutschland die Abwehrspieler nur als Zerstörer ausgebildet waren, die sich wegen technischer Defizite kaum ins Offensivspiel einbrachten, galt die Dreier-Kette als Synonym für eine vorsichtige und unkreative Ausrichtung. Nahm man in einem 3-5-2 die Flügelspieler hinzu, die im Grunde Außenverteidiger waren, dachten fünf von zehn Feldspielern vorwiegend defensiv.
Die Vorzeichen haben sich jedoch verkehrt, weil die Fußballer der neuen Generation auf allen Positionen mit dem Ball umzugehen wissen und sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben. Das extremste Beispiel ist Barca: Gegen Villarreal bot Guardiola mit Eric Abidal nur einen Abwehrspieler auf, neben ihm spielten mit Sergio Busquets und Javier Mascherano zwei gelernte Sechser, die Zweikampfstärke mit Qualitäten im Spielaufbau verbinden.
In der Bundesliga hingegen präferieren alle Vereine seit der mühsamen Abkehr vom Libero eine Vierer-Abwehrreihe. Taktik-Experte Frank Wormuth erwartet jedoch, dass auch in Deutschland ein Umdenken einsetzt. "Hierzulande hat sich die Vierer-Kette etabliert. Aber ich gehe davon aus, dass kreative Köpfe mit der Dreier-Kette eine neue Variation reinbringen möchten", sagt er im Gespräch mit SPOX.
Auch eine Frage des Spieler-Materials
Wormuth leitet die Fußballlehrerausbildung des DFB und ist damit so etwas wie der Ober-Pädagoge für alle Trainer mit Profi-Ambitionen. Er sieht wie Sacchi in einer Dreier-Abwehr ebenfalls die Möglichkeit, offensiver zu operieren: "Mit der Dreier-Kette kann man gegen traditionelle Spielsysteme wie dem 4-4-2 konstant Überzahl erzeugen."
Doch er gibt zu bedenken, dass die richtigen Spieler zur Verfügung stehen müssen. Der Defensivspezialist an sich mag in der Moderne angekommen sein, doch die Kombination aus Zweikampfstärke und Beweglichkeit, über die Busquets und Mascherano verfügen, ist eine Seltenheit. "Mit anderen Spielertypen hätten wir das nie so spielen können wie gegen Villarreal", sagt Guardiola.
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Wormuth erklärt es am Beispiel Holger Badstuber, dem eine Vierer-Kette besser liegen dürfte als eine Dreier-Kette: "In einer Vierer-Kette spielen die Abwehrspieler mehr wie vier Liberos, die sich gegenseitig sichern und schützen. Es geht in der Balleroberung um Überzahlsituationen, die man im Verbund mit dem Sechser herzustellen versucht", sagt Wormuth.
"In einer Dreier-Kette hingegen wird viel direkter gegen einen Gegenspieler verteidigt - und dann bekommen große und schlacksige Abwehrspieler eher Probleme gegen kleine, quirlige Stürmer."
Große Anforderungen an den Flügelspieler
Ein zweiter Nachteil liegt im 3-5-2 an sich begründet. Wenn der Gegner mit drei klassischen Stürmern agiert, geht man ein extrem hohes Risiko, weil die Verteidiger ohne Absicherung Eins-gegen-eins decken müssen. "Das kann das ganze Defensivkonstrukt zum Wackeln bringen", sagt Wormuth.
Eine Alternative wäre in diesem Fall, die Außenspieler zurückzuziehen - doch das sei "ein Verrat an den offensiven Grundgedanken des Systems", wie es Sacchi formuliert. "Dann sprechen wir nicht mehr von einer Dreier-Kette, sondern von einer Fünfer-Kette - und das kann nicht der Sinn sein."
Eine entsprechend große Bedeutung kommt den Flügelspielern zu, egal ob im 3-5-2 oder im 3-4-3. Bei Barca betrifft es die Außenstürmer, da sich alle vier Mittelfeldspieler zentral orientieren. "Ohne einen Außenverteidiger müssen sie ein bisschen statischer spielen und geduldiger sein", sagt Guardiola. Wormuth ergänzt: "Die Flügelspieler müssen eine große Laufstärke mit bringen, weil sie ihre Seite fast alleine abdecken."
Ein Konkurrent für das 4-2-3-1
Für Napolis Mazzari bleibt die Dreierkette trotz der Gegenargumente seine bevorzugte Formation. Er will auf jeden Fall daran festhalten: "Ich gehe meinen Weg weiter. Viele haben gesagt, die Zeit der Dreier-Kette ist vorbei, aber jetzt stellen zahlreiche Teams darauf um."
Wie viele genau die Dreier-Kette nachahmen werden, mag Wormuth nicht voraussagen. "Es ist noch zu früh, um eine Prognose zu treffen. Erst nach einer WM oder EM ist eine Nachhaltigkeit sichtbar."
Die derzeit beherrschenden 4-2-3-1 und 4-4-2 dürften jedoch einen Konkurrenten hinzu bekommen, wenn mehr Trainer die Worte von Guardiola beherzigen: "Das größte Risiko ist es, gar kein Risiko einzugehen."
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