Die Situation ist ungewohnt für ihn. Auf einmal steht auch er im Rampenlicht. Nicht so wie die NBA-Kollegen Dirk Nowitzki, Dennis Schröder oder Tibor Pleiß, aber Paul Zipser ist in den Tagen der EuroBasket ein gefragter Mann.
Das kristallisierte sich bereits früh in der Vorbereitung heraus. "Wir haben von Beginn an für ihn eine Schlüsselrolle vorgesehen", erklärte Bundestrainer Chris Fleming und spricht dann das wohl größte Lob aus, welches er in diesen Tagen über den 21 Jahre alten Flügelspieler verlor: "Defensiv macht er das sehr gut. Er ist unser bester Rebounder."
Zipser bleibt auf dem Teppich
Das Rebounding. Die Achillesferse gegen Serbien. Es verdeutlicht, welch wichtige Aufgabe Zipser zukommt. Doch der bleibt gelassen und vor allem bescheiden. "Es freut mich natürlich, dass er sowas sagt. Dabei habe ich in der ersten Halbzeit gegen Serbien nicht gut gearbeitet. Ich war nicht der Einzige, aber ich habe sonst immer versucht, solche Phasen ein bisschen aufzufangen", entgegnete der Bayern-Spieler dem Lob des Bundestrainers.
Es zeigt, dass er seine Rolle angenommen und dass es ihn pusht, eine klare Position im Team zu haben. Anders als bei den Bayern, wo Zipser in der vergangenen Saison häufiger aus der Rotation fiel und in wichtigen Spielen zumeist komplett zuschauen musste.
"Hier ist auf jeden Fall eine größere Bühne als bei den Bayern oder in der Euroleague. Ich habe im Grunde kein Euroleague-Spiel gemacht. Jetzt kann ich gegen die Spieler spielen, die ganz oben sind und zeigen, dass ich gegen die auch bestehen kann", sieht Zipser die Chance sich so auch für mehr Minuten bei Vereinstrainer Svetislav Pesic zu empfehlen.
Größere Rolle bei den Bayern?
Der hat ihm schließlich im SPOX-Interview im Mai bereits eine größere Rolle in Aussicht gestellt. "Zipser hat eine gute Einstellung, er ist intelligent, er besitzt die Physis und die Ruhe, die ein Spieler auf seiner Position benötigt. Und er wird von den Mitspielern respektiert. Nur: Er hatte zwei schwere Verletzungen. Deswegen muss er noch viel lernen. Ich kann allerdings schon jetzt voraussagen: Nächstes Jahr wird er, wenn er gesund bleibt, Basketball spielen", erklärte der Serbe.
Selbst vor dem Duell mit seinen Landsmännern ließ sich Pesic nicht davon abbringen, seinem Schützling noch ein paar Worte mit auf den Weg zu geben. Beim Aufwärmen beugte sich Pesic weit über die Bande und redete auf Zipser ein. "Er hat mir gesagt, dass ich in der Offensive aggressiv spielen soll und nicht nur auf die Defensive und die Rebounds schauen soll", erklärte Zipser auf SPOX-Nachfrage.
Es ist genau das, was ihm auch die Trainer der Nationalmannschaft in der Vorbereitung immer wieder eintrichterten. Die Defensive ist schon jetzt herausragend, offensiv fehlt noch zu oft der Glaube in die eigene Stärke. Er arbeitet daran. "Ich habe mehr Selbstvertrauen bekommen, auch wenn ich gegen Serbien offensiv nicht mit mir zufrieden war. Ich schaue jetzt mehr auf den Korb und nicht nur auf meine Mitspieler. Daher kann ich jetzt auch mehr punkten", bilanziert Zipser den Lernprozess der letzten Wochen.
Sonderaufgaben in der Defensive
Und doch braucht ihn das Team vornehmlich für defensive Sonderaufgaben. Gegen Serbien machte er drei Viertel lang Nemanja Bjelica das Leben schwer. Erst im Schlussviertel spielte sich der angehende Forward der Minnesota Timberwolves ein wenig frei.
Zipser bleibt dennoch bescheiden: "Vielleicht war auch bei ihm ein bisschen die Luft raus und er dachte sich: 'Okay, gegen die Deutschen muss ich nicht aufdrehen.' Es war jetzt aber nicht so, dass ich ihn die ganze Zeit gestoppt habe, aber unterm Strich habe ich es ganz gut gemacht."
Auch gegen die Türken werden seine Defensivqualitäten wieder gefordert sein. Dann wartet mit Cedi Osman das größte Talent der Türkei. Frisch in der NBA gedraftet und ähnlich athletisch wie Zipser. Bange ist ihm vor der neuen Aufgabe nicht. "Er ist ein bisschen schneller und ein kleinerer Spieler als ich. Ich habe aber schon öfter gegen ihn gespielt und weiß, wie er spielt. Und ich glaube, dass ich ihn ganz gut halten kann", erklärt Zipser und hebt gleich wieder den Teamgedanken hervor.
"Es kommt aufs Teamplay an. Wir müssen mit Dennis Pick-and-Roll spielen und schauen, dass wir Dirk im Low-Post gute Looks geben. Und wir müssen so rebounden, wie wir es in der zweiten Halbzeit gegen Serbien gemacht haben", gibt der Bayern-Flügel die Marschroute vor.
Fleming warnt vor den türkischen Schützen
Die Türkei ist schließlich keine Unbekannte. Beim Supercup in Hamburg gewann der DBB nach einer sensationellen Aufholjagd, nachdem zuvor die Türken vor allem aus der Distanz erfolgreich waren. "Die Türken sind eine gute Mannschaft und wissen, worum es geht. Sie haben viele Leute, die punkten können. Wir müssen frühzeitig im Spiel die Shooter ausschalten", warnt Fleming.
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Und sie haben ebenfalls NBA-Spieler in ihren Reihen, auch wenn mit Ömer Asik und Enes Kanter die beiden besten türkischen Big Men fehlen. Es bleiben immer noch Furkan Aldemir von den Philadelphia 76ers und natürlich Ersan Ilyasova. Der Veteran, der bereits sieben Jahre bei den Milwaukee Bucks auf den Buckel hat und nun für die Detroit Pistons auflaufen wird.
Zipsers NBA-Traum
Es ist die Liga mit der größten Strahlkraft. Die Liga, die auch Zipser als Ziel hat. "Die NBA ist die beste Liga der Welt mit den besten Spielern", liefert er den Grund. Das Interesse ist beidseitig. Zipser meldete sich für den Draft an, um einfach auszuloten, wie groß die Chancen sind. Zwar zog er kurz vor Ende der Deadline seine Teilnahme zurück, aber die NBA-Teams haben ihn auf dem Schirm.
"Viele Scouts schauen natürlich bei der EuroBasket zu, aber ich will davon gar nichts wissen", blockt Zipser für den Moment ab. Die EM ist alles was aktuell zählt. Im nächsten Jahr ist er dann automatisch im Draft dabei. Das bringt der Rückzug in diesem Jahr mit sich.
Die DBB-Trainer trauen ihm diesen Schritt auf jeden Fall zu. "Für ihn geht es darum, seine Nische zu finden. Was für ein Spieler ist er? Ein Verteidiger? Ein Shooter? Jemand, der über das Pick-and-Roll kommt? Wenn du die physischen Voraussetzungen hast, brauchst du mindestens eine Stärke. Ich bin mir noch nicht sicher, was seine Nische sein könnte. Genau wie Tibor hat er aber die physischen Voraussetzungen", erklärt Co-Trainer Alex Jensen, der ansonsten bei den Utah Jazz als Assistant Coach auf der Bank sitzt.
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Und auch Fleming denkt, dass Zipser es packen kann. "Ja, das sollte aber nicht die Headline vor dem Spiel sein. Paul hat noch eine Menge Arbeit zu tun, bevor er dort ankommt, aber ich glaube an Paul." Natürlich ist es nicht die Headline. Jetzt zählt das Türkei-Spiel. Mit jedem Sieg und jeder starken Leistung Zipsers kommt die NBA ein Stückchen näher. Ganz automatisch.
Der Spielplan der EuroBasket