Schwer zu sagen, ob sich Isaiah Thomas die Kleidung gemäß des Anlasses rausgesucht hatte, oder ob es einfach Zufall war. Sein Sweatshirt nach dem Spiel in Golden State passte in jedem Fall ideal: Der Schriftzug "Believe in yourself" prangte auf seiner Brust, ein Mantra, das für die Celtics und im Besonderen für ihren Anführer als Lebensmotto gezählt werden darf.
Das zugehörige breite Grinsen passte ebenfalls. Als erstes Team seit dem 27. Januar 2015 hatten sie die Festung Oracle Arena eingenommen, nach 54 Warriors-Heimsiegen in Folge. Vor dem Spiel hätte niemand auf Boston gesetzt, das erst am Vortag in Portland verloren hatte und zudem auf Jae Crowder, den vermutlich zweitbesten Spieler des Teams, verzichten musste. Doch genau diese Situationen treiben die Celtics an.
Trotz mehrerer Comeback-Versuche der Dubs reichte es am Ende knapp - die letztlich entscheidenden Punkte erzielte Thomas Sekunden persönlich mit einem schwierigen Layup. Es waren seine Punkte 21 und 22, womit er zum 15. Mal in Serie Topscorer der Celtics wurde. Das hat in der Geschichte der stolzen Franchise noch nie jemand geschafft.
Kein Bob Cousy, kein Larry Bird, kein John Havlicek, kein Paul Pierce. Dafür ein 1,75-m-Zwerg, der vor fünf Jahren erst mit dem allerletzten Pick der zweiten Runde in die Liga geholt wurde.
Ainge wagt das Risiko
Thomas' Geschichte passt dabei perfekt zu seinem Team, das von Spielern mit Schwachstellen gespickt ist, über die mehr gesprochen wird als über die ebenfalls vorhanden Stärken. In erster Linie wegen seiner Größe, aber auch wegen seinem Spielstil wurde Zeit seiner Karriere an ihm gezweifelt, sowohl Sacramento als auch Phoenix schickten ihn nach kurzer Zeit wieder weg. Er werde defensiv immer eine Schwachstelle bleiben, nur bei einem schlechten Team gute Statistiken auflegen, hieß es.
Danny Ainge jedoch sah mehr in ihm und holte ihn zur Trade Deadline 2015 per Trade von den Suns. Er war zuversichtlich, dass Brad Stevens - mittlerweile einer der besten Coaches der Liga - Thomas so würde einsetzen können, dass die defensiven Makel nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Und dass Thomas den offensiven Punch bringen könnte, der den C's bis dahin fehlte.
Ainge sagte Thomas bereits bei seiner Ankunft, er könne eine "Legende" werden - in einer Franchise mit 17 Titeln und 21 Trikots unter der Hallendecke. "Noch nie hat jemand so an mich geglaubt", so Thomas.
Fortschritte, auch defensiv
"Legende" ist sicherlich etwas hoch gegriffen, aber aktuell geht Ainges Vorstellung ziemlich perfekt auf. Stevens hat es in der Tat geschafft, trotz beziehungsweise mit Thomas eine Top-5-Defense zu kreieren. Aufgrund der körperlichen Defizite wird Thomas nie ein Lockdown-Defender sein, aber er zeigt Fortschritte - auch gegen Stephen Curry machte er einen sehr soliden Job.
"Isaiah hat sich als System-Verteidiger unglaublich verbessert", lobt Stevens. "Er hat gelernt, wie er trotz seiner Größe einen positiven Einfluss haben kann. Er hat den Anspruch, gut zu sein und studiert dafür sehr viel Video-Material. Er will nicht derjenige sein, über dessen Fehler in unseren Sitzungen gesprochen wird."
Zudem haben die Celtics mit Spielern wie Crowder, Marcus Smart und vor allem Avery Bradley genug Flügelverteidiger von Weltklasse-Kaliber, die IT4 "beschützen" können. Thomas wiederum hat Stärken, die keiner der anderen Celtics mitbringt.
"Ein echter Basketball-Spieler"
Er ist kreativ, sieht alle Lücken und Winkel. Mit seiner Schnelligkeit und Kraft findet er immer wieder Wege, um über viel größere Gegner abzuschließen. "Er ist ein echter Basketball-Spieler", so Ainge, "einer, der schon als Kind ständig gespielt hat. Er kennt alle Tricks und Bewegungen im Eins-gegen-Eins. Das macht ihn so schwer zu verteidigen."
Statistisch schlägt sich das in 22,3 Punkten und 6,3 Assists pro Spiel nieder, beides sind Career Highs. Da Boston zudem Spiele gewinnt, wurden Thomas' Leistungen im Februar mit einer All-Star-Nominierung honoriert - was einen ganz bestimmten Nebeneffekt mit sich bringt: "Im letzten Monat habe ich mehr Respekt bekommen als zuvor in meiner ganzen Karriere", lächelt Thomas, "dabei tue ich nichts anderes als vorher. Es ist eben ein Label."
Rollenspieler mit Makel
Auch hier lässt sich wieder gut die Parallele zwischen Thomas und seinem Team ziehen. Auch wenn schon in der letzten Saison nach seiner Ankunft 14 von 21 Spielen gewonnen sowie die Playoffs erreicht wurden, nahm die Celtics vor dieser Spielzeit noch niemand so richtig ernst.
Im Endeffekt fehlte dem Team eben immer noch der eine "transzendente" Spieler, wie Ainge es selbst im Interview mit SPOX ausdrückte. Die Kelten bestünden aus soliden Rollenspielern mit Makeln, hieß es immer: Crowder und Bradley sind nur defensiv richtig gut, Smart hat eine fürchterliche Wurfauswahl. Kelly Olynyk ist zu weich, Jared Sullinger zu dick, Evan Turner die personifizierte Ineffizienz. Und Thomas natürlich zu klein.
Einige dieser Stempel sind zweifellos angebracht, wenn auch überzogen. Vom Talent her gibt es sogar im Osten etliche Teams, die mehr individuelle Klasse besitzen. Und dennoch hat sich diese Truppe von Aussortierten zu einem Team gemausert, das die Top-Favoriten mehr als nur ärgern kann.
Sonderlob von Durant
Der Sieg in Oakland war da ein Beispiel. Boston hat in dieser Saison schon in Oklahoma City und Houston deutlich gewonnen, auch die Cavs und Clippers wurden geschlagen. Das Hinspiel gegen die Warriors ging nach zweifacher Overtime verloren, gegen die Spurs verlor man einmal mit 3 und einmal mit 8 Punkten.
Das ist auch der Konkurrenz nicht entgangen. Mittlerweile bekommen die Celtics Respekt, sowohl als Team als auch individuell. Warriors-Coach Steve Kerr etwa stimmte am Freitag schon vor dem Spiel Damian Lillard zu, der Bradley als "besten Flügelverteidiger der Liga" bezeichnet hatte. Crowder gilt mit seinem Vertrag (5 Jahre, 35 Mio. Dollar) als eines der größten Schnäppchen der letzten Jahre und wurde in einigen Kreisen sogar als All-Star-Kandidat gehandelt.
Stevens ist ohnehin Everybody's Darling, und auch das Team wurde von Kevin Durant vor kurzem dermaßen gelobt, dass sich viele Celtics-Fans den kommenden Free Agent bereits im grünen Jersey vorstellten: "Ich schaue mir ihre Spiele gerne und häufig an. Sie geben alles und spielen hart. Sie lieben ihren Coach und ihr System und spielen vor allem zuhause mit jeder Menge Energie."
"Mich überrascht es überhaupt nicht"
Eigentlich gibt es nur zwei Personen, die ihren Aussagen zufolge genau dies erwartet hatten - dass Boston im Osten noch immer alle Chancen auf Platz drei hat und dabei offensiv von einem Winzling getragen wird. "Mich überrascht es überhaupt nicht, wie gut Isaiah in den letzten beiden Saisons für uns war und wie gut wir mit ihm sind", sagte Ainge kürzlich. "Ich war immer sicher, dass ich ein gutes Team anführen kann, wenn ich nur eine faire Chance erhalte", fügte Thomas hinzu.
Diese Chance hat er bei den Celtics zweifellos, und ab Mitte April können die Grünen noch weitere Chancen nutzen, auf sich aufmerksam zu machen. Einen Erstrunden-Sweep wie im Vorjahr will man nicht wieder erleben - die Ansprüche sind gewachsen. Da kann so ein Sieg beim zuvor zuhause ungeschlagenen Meister schon Wunder wirken.
"Wir wissen, dass wir die besten Teams dieser Liga schlagen können", sagte Thomas am Freitag selbstbewusst. "Wir wissen, dass wir mit jedem Team mithalten können. Gegen uns will in den Playoffs niemand antreten, weil wir so hart und schnell spielen."
Manchmal muss man einfach nur an sich glauben.