Als Peyton Manning, Touchdown-Rekordhalter und einziger fünffacher MVP der NFL-Geschichte, in den Playoffs gegen die Indianapolis Colts einen langen Pass nach dem anderen auf den Turf und nicht in die Arme seiner Receiver setzte, schien sich eine lange und glorreiche Karriere überraschend schnell dem Ende zuzuneigen. Die Broncos verloren sang- und klanglos mit 13:24 und Manning, der die erste Hälfte der Saison in MVP-Form hinter sich gebracht hatte, wirkte alt und ausgelaugt.
Nicht wenige rechneten mit einem Rücktritt des damals fast 39-Jährigen, und er selbst schloss diese Möglichkeit lange nicht aus. Zwei Monate später stand dann aber fest: der "Sheriff" probiert es noch einmal - mindestens.
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Das sorgte für Spott. Warum tut er sich das an? Die gerade beendete Spielzeit hat doch gezeigt, dass er auf dem absteigenden Ast ist und die harte, fordernde Saison nicht mehr ohne drastischen Leistungsabfall hinter sich bringen kann. Im besten Fall handelt er sich eine weitere Playoff-Niederlage ein. Warum also das Theater?
Einmal abgesehen davon, dass es reichlich vermessen ist, einem Leistungssportler den Rücktritt nahezulegen, nur weil er seinen Zenit überschritten hat - vielleicht macht es ja immer noch Spaß? - bringt die NFL-Offseason eine wichtige Komponente mit, vielleicht sogar noch stärker als in anderen Sportarten: Hoffnung.
Der Geist ist willig...
Die Analyse der vergangenen Saison (ver-)führt dazu, dem neuen Jahr in den meisten Fällen mit jeder Menge Optimismus entgegenzublicken. Schließlich sind die verletzten Leistungsträger jetzt wieder fit! Neuverpflichtungen machen das Team stärker, die Rookies sind ein Jahr reifer geworden, inkompetente Coaches und Coordinator sind ersetzt worden.
Fehler in Bezug auf offensive und defensive Taktiken werden ausgemerzt, es geht wieder bei null los. Bei Manning, der in den Augen vieler Experten als der vielleicht genialste QB aller Zeiten gilt, der die Liga mit seinen No-Huddles, Audibles und Pre-Snap-Anpassungen revolutioniert hat, stand das Fragezeichen nie hinter seinen mentalen Fähigkeiten.
Vielmehr lautete das Urteil nach den Divisional Playoffs: Der Geist willig, aber das Fleisch ist schwach. Nach vier Operationen am Nacken ist nicht der heranstürzende Pass Rusher oder der aufmerksame Cornerback der größte Feind der Nummer 18, sondern der eigene Körper.
"Daran musste ich mich einfach gewöhnen"
Und dieser Körper macht ihm weiterhin das Leben schwer. Anfang September bestätigte Manning im Gespräch mit dem Monday Morning Quarterback, dass das Gefühl in den Fingerspitzen seiner rechten Hand immer noch nicht zurückgekehrt ist.
"Daran musste ich mich einfach gewöhnen - deswegen habe ich unter gewissen Bedingungen auch oft den Handschuh getragen. Das musste ich Indianapolis nie. Ich habe einfach nicht mehr so viel Grip. Ich bin jetzt ein anderer Spieler als vor meiner Verletzung, aber daran habe ich mein Spiel angepasst."
Vom Feeling her kein gutes Gefühl
Sofern man sich daran eben anpassen kann. "Zwei Jahre war es hart für mich, weil ein Arzt mir sagte, dass ich eines Morgens aufwachen könne und es sei wieder da. Also wacht man jeden Tag auf und denkt: 'Heute ist es soweit!' Und dann ist es eben nicht soweit." Es sei eben auch möglich, dass das Gefühl in seiner Wurfhand nie zurückkehrt.
Umso unglaublicher, dass er mit diesen gefühlslosen Fingern und dem deswegen nötigen Handschuh vor nicht einmal zwei Jahren mit 55 Touchdowns und 5.447 Passing Yards neue Rekorde aufgestellt hatte. Ebenso verständlich, dass er, den Kampf gegen den eigenen Körper gewohnt, nach dem Colts-Spiel nicht einfach die weiße Fahne hissen will. Schließlich hat er die Ursache für seine schwache zweite Saisonhälfte ausgemacht.
Anfang Dezember habe er sich etwas eingefangen und sich vor dem Spiel gegen die Chargers "die ganze Nacht übergeben", erzählte er Peter King. Im Spiel habe er sich dann am Oberschenkel verletzt und die Probleme über den Rest der Saison mit sich herumgeschleppt. "Ich habe es in dieser Offseason genau beobachtet, ob es sich in die neue Saison ziehen könnte, oder ob es eine einmalige Sache war. [...] Ich glaube nicht, dass mein Alter daran schuld ist." Wahrscheinlich sei er dehydriert gewesen.
Wie einst Brett Favre?
Um seinem nun bald 40-jährigen Körper die bestmögliche Leistung abzuringen, stieg er in der Vorbereitung noch früher ins Training ein und stellte seine Ernährung um. Den jährlichen Check-Up am Nacken bestand er ohne Probleme, und die Teamkollegen berichteten begeistert von "mehr Schwung" in seinen Pässen. Theoretisch steht einer Comeback-Saison, wenn man sie denn so nennen will, also nichts im Wege.
Praktisch gestaltet sich die Sache natürlich schwieriger. Was ihm in der letzten Saison passierte, ist auch in diesem Jahr nicht auszuschließen. Ein einziger Hit könnte reichen, um ihn aus dem Spiel zu nehmen. Wann auch immer der Moment kommen wird, ab dem Manning keinen Leistungssport mehr auf höchstem Niveau wird betreiben können: Er ist nah.
Die Colts-Legende wird an Brett Favre denken, der bei den Vikings anno 2009 33 TDs bei nur 7 Picks auflegte und das Team ins NFC Title Game führte. Mit 40. Den Favre, den er mit weiteren 2.148 Yards übrigens vom Thron der All-Time-Passing-Leaders stoßen würde.