NFL

Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 7 in der NFL

mccaffrey-49ers-1200
© getty
Cookie-Einstellungen

4. Die Cardinals als warnendes Rebuild-Beispiel

Ich habe, auch bei den amerikanischen Kollegen, in den vergangenen Wochen mehrfach die Frage danach gehört: "Was genau sind die Arizona Cardinals" eigentlich, oder, ähnliche Richtung: "Was wollen die Cardinals sein?" Und für ein Team, das sich über die ersten drei Jahre der Kingsbury-Ära kontinuierlich von fünf auf acht auf elf Siege gesteigert hat und inmitten des vierten Jahres, nachdem alle Hauptakteure neue Verträge bekommen haben, im kompletten Ungewissen zu stehen scheint, ist das eine mehr als faire Frage.

Diese Frage steht nicht nur auch nach dem Sieg gegen die Saints im Raum, ein Spiel, das unterstrich, wie unterschiedlich das Team mit DeAndre Hopkins aussehen kann. Es ist auch ein Thema, und deswegen halte ich es in dieser Phase der Saison für zusätzlich relevant, das im Raum steht, während ein Team wie die Carolina Panthers seinen Rebuild einleitet.

Ich denke, hier ist es wichtig, sich zunächst einmal einen Rahmen zu stecken. Und Teil dieses Rahmens ist es, dass der komplette Rebuild nie durchgeführt wurde. 2019 war am ehesten noch eine Zäsur, als man Kingsbury verpflichtete und wenige Monate später Kyler Murray draftete.

Doch das war kein Team, das einen gezielten Umbruch eingeleitet hatte. Arizona ging in die 2019er Saison mit der Idee, unter Steve Wilks physischen Football zu spielen, während Josh Rosen als neuer Franchise-Quarterback herangeführt wurde. Nichts davon klappte, und auch wenn Wilks - und letztlich auch Rosen - nach nur einem Jahr weg war: Weder vor der 2018er Saison, noch vor der 2019er Saison entschied man sich bewusst dafür, den Kader umzukrempeln.

Vielmehr war Arizonas Kader in den Jahren nach der Hochphase unter Bruce Arians schrittweise schlechter geworden. Leistungsträger wie Jared Veldheer, Carson Palmer, Mike Iupati, John Brown und Michael Floyd waren alt geworden und/oder von der Bildfläche verschwunden. Larry Fitzgerald, Patrick Peterson und David Johnson würden bald folgen.

Wer dagegen selbst durch das Wilks-/Rosen-Debakel im Sattel blieb, war GM Steve Keim. Und das schreibe ich nicht nur, um Keim die sprichwörtliche Zielscheibe aufzumalen, sondern weil es wichtig ist, um die daraus folgenden Dynamiken zu verstehen.

Steve Keim und die Bruce-Arians-Ära

Keim ist seit 2013 der General Manager in Arizona, seine erste wichtige Entscheidung war die Verpflichtung von Bruce Arians als neuem Head Coach. Das Team trug anschließend eine klare Handschrift: Mit Palmer, Veldheer, Brown, Iupati, J.J. Nelson sowie den bereits vorhandenen Fitzgerald und Floyd wurde eine explosive Offense aufgebaut, die in Kombination mit einer physischen Offensive Line ein simples und dennoch gefährliches Run Game mit einer spektakulären Passing-Offensive aufziehen sollte.

2015 erreichte dieses Konstrukt seinen Höhepunkt. Das war das Jahr, in dem sich die Line fand, in dem die tiefe Receiver-Gruppe auf ihrem kollektiv besten Level spielte und in dem Chris Johnson und Rookie David Johnson sich das Backfield teilten. Es war ein Team mit einer Identität - und mit einem klaren Ablaufdatum.

Das liegt in der Natur der Sache, wenn man insbesondere auf der Quarterback-Position um einen langjährigen Routinier wie Palmer aufbaut. Und als jene Ära ihrem Ende entgegenging, als Palmer und Arians aufhörten, als es an Keim gelegen hätte, die Franchise in eine neue Richtung zu führen, ging jegliche Richtung verloren.

Um die Überbleibsel der Arians-Ära konnte man kein neues Team aufbauen. Doch als GM, der nach fünf Jahren gemeinsam mit Arians jetzt so richtig im Fokus stand, war Keim offensichtlich nicht gewillt - oder sah es nicht -, einen echten Neustart einzuleiten. Stattdessen lief alles langsam aber sicher aus, und als Steve Wilks nach nur einem Jahr entlassen wurde, hatte Arizona auch ohne dass man es geplant hätte den mit Abstand schwächsten Kader in der NFL.

Kingsbury und Murray werden zum All-in-Move

Keim hatte am Ende der Arians-Ära bereits mit schlechten Entscheidungen gewackelt, dann mit Wilks und Rosen komplett daneben gegriffen - die Richtung, die er 2019 einschlagen würde, musste er als seine potenziell finale Weichenstellung betrachtet haben. Also ging er All-in, mit einem jüngst gefeuerten College-Coach in Kingsbury und einem neuen Quarterback in Murray.

Viele der großen Moves, die er seitdem durchgeführt hat - die Trades für DeAndre Hopkins, Rodney Hudson, Zach Ertz und Marquise Brown sowie die Verpflichtung von J.J. Watt stehen hier weit oben auf der Liste - zeichnen das Bild eines Teams, das sich näher an einem Win-Now-Fenster gesehen hat, als es tatsächlich war.

Der Weg vom schlechtesten Kader in der NFL 2018 zum Titelkandidaten 2021 oder 2022 hätte mehrere nahezu perfekte Offseasons umfassen müssen. Einige prominente - und teilweise natürlich auch gute, den Hopkins-Trade hätte jedes einzelne Team zu diesen Konditionen machen müssen - Trades mögen als Boost fungieren, aber ein wenig ist es so, als würde man den schönsten Weihnachtsbaumschmuck kaufen, bevor man überhaupt Baum und Baumständer hat.

Arizona: Neustart mit großen Fragezeichen

Warum dieser Weg eingeschlagen wurde? Ich denke, hier kann man zwei Interpretationen anwenden: Keim und die Cardinals haben ihren Kader und insbesondere dessen Substanz und Tiefe falsch eingeschätzt und sich selbst weiter gewähnt, als man tatsächlich war. Oder aber Keim sah die Chance, um einen jungen, hochtalentierten Quarterback herum schnell etwas aufzubauen, solange dieser Quarterback günstig ist.

Vielleicht spielten auch beide Punkte ein Stück weit zusammen, getrieben durch einen bereits erwähnten, dritten Aspekt: Die Aussicht, dass ein weiteres Scheitern unweigerlich auch zu seinem eigenen Aus geführt hätte, kann eine zusätzliche Motivation hinter der einen oder anderen Entscheidung gewesen sein.

Das Resultat ist in jedem Fall, insbesondere offensiv, ein alternder Kader. Spieler wie Hudson, Justin Pugh, Kelvin Beachum und auf Sicht auch DeAndre Hopkins und James Conner werden nicht mehr lange das Gerüst dieses Teams formen. Gleiches gilt für Watt defensiv. Und so kommen die Cardinals sehr bald in noch unangenehmere Fahrwasser: Dann gilt es, einmal mehr zahlreiche Baustellen zu stopfen, während gleichzeitig aber offensiv wie defensiv die wenigen jungen Leistungsträger sehr teuer werden.

Mit einem GM, der bisher nicht gezeigt hat, dass er einen nachhaltigen Kader zusammenbauen kann. Und mit einem Head Coach, dessen schematische Ideen schon jetzt an merkliche Grenzen stoßen.

Andere Teams können von den Cardinals lernen

Vielleicht fragt sich der eine oder andere, inwieweit diese ausführliche Zusammenfassung der Geschehnisse in Arizona jetzt noch relevant ist; ich denke, dass durchaus regelmäßig Teams in ähnliche Situationen kommen, und dass die Art und Weise, wie der Neustart nach Wilks und Rosen in Arizona gemanagt wurde, Lektionen für die Zukunft mitgibt.

  • Dass es sinnvoll sein kann, den Mut aufzubringen, einen Quarterback nach nur einem Jahr aufzugeben, wenn man davon überzeugt ist, eine signifikant bessere Alternative im Draft identifiziert zu haben.
  • Dass ein schneller Rebuild äußerst kritisch zu betrachten ist, da ein Team nicht mit einer Handvoll Trades vom schlechtesten Team der Liga zum Titelanwärter wird. Ressourcenmanagement ist hier auch kritisch, inklusive der Vorgehensweise im Draft.
  • Dass eine klare Identität nachhaltig (!) entwickelt und der Kader dementsprechend aufgebaut werden muss. Das kann auch die Tatsache beinhalten, dass man trotz Rebuild Eckpfeiler hält, wenn deren Alter und Positional Value in die Prognose für die Kader-Entwicklung passt. Brian Burns bei den Panthers ist aktuell eine interessante Diskussion dafür.
  • Dass Self-Scouting weiterhin eine der wichtigsten Eigenschaften bleibt. All-In in ein Titelfenster zu gehen, während der Quarterback günstig ist, ist schön und gut - aber zum einen sollte man sich sehr sicher sein, dass man mit dem Quarterback richtig liegt - die Trubisky-Bears wären hier ein jüngstes Beispiel - und dass der Kader wenige Verbesserungen von einem Contender-Kader entfernt ist.

Es gibt in der NFL gerade verschiedene Beispiele für Teams, die hier auf die eine oder andere Art zutreffen. Die Eagles etwa haben ihren Kader schrittweise verbessert, und dann mit dem Trade für A.J. Brown die Krone aufgesetzt. Philadelphia könnte vielleicht in der Position sein, durch den Saints-Pick unerwartet hoch zu picken - und falls man dann einen besseren Quarterback als Jalen Hurts identifiziert, könnte Punkt 1 hier zutreffen.

Die Bears sind ironischerweise noch mit den Scherben des erhofften Trubisky-Titelfensters beschäftigt, und Chicago ist vielleicht die spannendste Parallele. Die Bears haben einen der schwächsten Kader in der NFL, mit der Hoffnung, dass Justin Fields die Quarterback-Antwort sein kann. Selbst falls Fields noch Sprünge macht, wäre Chicago anhand des Cardinals-Beispiels gut beraten, auch nach dieser Saison nachhaltig den Kader aufzubauen, statt zu hoffen, dass man kurzfristig nochmal ein Fenster öffnet.

Die Giants könnten als Schlussfolgerung mitnehmen, dass ein weiteres Übergangsjahr mit Daniel Jones nicht die schlechteste Idee ist, um weiter Ressourcen in den Kader zu stecken. Houston wird sich eine ähnliche Frage mit Davis Mills stellen müssen. Detroit hat den Kader im Zuge des Umbruchs bereits nachhaltig verbessert und sollte sich darauf vorbereiten, in der kommenden Offseason den Quarterback-Tausch zu vollziehen.

Und dann sind da noch die Carolina Panthers. Und die Panthers sind dem Cardinals-Beispiels vielleicht noch am nächsten: Auch Carolina wird am Ende dieser Saison mit wenigen echten Impact-Spielern dastehen, und hat noch dazu kaum Ressourcen, wenn man auf verfügbare Picks und Cap Space blickt. Und vielleicht bleibt auch hier der GM in Person von Scott Fitterer im Amt und würde den Neustart durchführen - ein Neustart, der dann auch hier Gefahr laufen würde, dass zu schnell zu große Sprünge angepeilt werden.

Unter allen GMs in der NFL wäre Fitterer aktuell wohl am besten beraten, sich anzuschauen, was über die letzten Jahre in Arizona passiert ist.