Maurice Kneisel: Kevin, du hast dich bei SPOX ja schon häufiger als absoluter Heel-Fan geoutet. Seit vielen Jahren werden die bösen Jungs in der WWE fast ausschließlich wie Feiglinge porträtiert, die den großen, starken Babyfaces eigentlich nur durch miese Tricks Paroli bieten können. Ausnahmen fallen einem nur wenige ein, in erster Linie wohl Mark Henry im Vorjahr. Wie ist deine Meinung dazu?
Kevin Bublitz: Mark war so dermaßen geil dominant damals. Aber leider hat die WWE ihn dann gestoppt. Er durfte sogar die Serie gegen Randy Orton gewinnen - und das war nicht gerade selbstverständlich gegen einen Orton, der zu der Zeit ähnlich unbesiegbar schien, wie es jetzt bei Sheamus der Fall ist!
Kneisel: Absolut! Bis zum Niedergang des Pushs war Henrys Darstellung einfach nur großartig. Und das sage ich als jemand, der ihm zuvor eigentlich nie etwas abgewinnen konnte.
Bublitz: Henry ist einfach der typische Heel. Diese Brummer kann man nur selten seriös als die lieben Typen von nebenan verkaufen, die werden als Face immer total lächerlich dargestellt. Das gilt auch für Big Show - bei Show ist es übrigens sehr dubios, dass er jetzt seit einem Dreivierteljahr im Title Picture ist und die Matches nie gewinnt... lachhaft.
Kneisel: Richtig. Bei Big Show schien die Entwicklung nach seinem Turn zunächst ähnlich zu verlaufen: absolute Dominanz, selbst John Cena nahm er in den Wochenshows auseinander. Aber seit der Niederlage bei No Escape lässt sein Momentum merklich nach. Show hätte Cena besiegen müssen - so einfach ist das. Cena platt machen, Punk verkloppen - das wäre dominant gewesen und er hätte Heat ohne Ende gezogen. Stattdessen macht man wieder etwas Halbgares. Mittlerweile kann man ihn kaum mehr ernst nehmen, genau wie Kane - ein Turn nach dem anderen und immer, wenn sie mal einigermaßen glaubwürdig dargestellt werden, sägt man sie im nächsten Moment wieder gnadenlos ab
Bublitz: Ja leider, dabei sind die Beiden in allen Belangen gut. Finde ich zumindest. Ich sehe es allerdings nicht so, dass Show an Momentum verloren hat. Aber eigentlich hätte er beim SummerSlam den Titel holen und man ihn anschließend auch einige Monate lang die WWE dominieren lassen müssen. Vielleicht stellt man ihm dann noch zwei, drei Prügelknaben an seine Seite. Ich denke da zum Beispiel an Drew McIntyre. Für ihn wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, wieder glaubhaft dargestellt und dabei langsam gepusht zu werden. Wie man mit Kane umgeht, ist mir sowieso ein Graus.
Kneisel: Ein Sieg für Big Show beim Slam erschien aber von Anfang an abwegig. Was Kane angeht, erinnere ich nur an seine Fehde gegen den Undertaker vor zwei Jahren. Die Storyline und Kanes Darstellung waren dermaßen stark, er durfte allen Ernstes den Taker zerstören! Wann gab es das bitte schon mal?!
Bublitz: Richtig, und dann verliert er plötzlich ein Match nach dem anderen gegen Rey Mysterio!
Kneisel: Erst wird er gegen Rey lächerlich gemacht, dann verliert er den Gürtel praktisch im Vorbeigehen und ist plötzlich wieder komplett raus aus dem Titelrennen. Es folgen sein Turn Nummer 6000 und die Belanglosigkeit. Das Problem dabei ist nicht, ob ein Superstar Face oder Heel ist, sondern wie die WWE sie verkauft. Faces sollten auch mal wieder Ecken und Kanten haben dürfen, Heels sollten zumindest teilweise auch mal mutig und dominant dargestellt werden, statt nur feige. Dazu wieder Stables und vor allem TWEENER!!! Punk ist ein klassischer Tweener, verdammt!
Bublitz: Wie Recht du hast! Als Tweener war zum Beispiel auch Triple H verdammt gut und Punk ist der perfekte "Nachfolger"! Genauso ist Jericho ein Tweener und The Rock irgendwo ja auch. Cody sollte irgendwann auch dahin kommen, Faces müssten auch mal mit Tricks gewinnen, Eddie durfte das ja irgendwann... und Heels brauchen doch nicht immer wegzurennen! Den Charakter muss es natürlich auch geben, aber bei vielen wirkt es dann eben lächerlich. Das Problem ist, dass die Writer aus den USA kommen und dort immer noch das oberflächliche und undifferenzierte Bild von Gut und Böse herrscht.
Kneisel: Ich stimme dir absolut zu. Bei Alberto del Rio zum Beispiel passt das Chicken-Heel-Gimmick sehr gut - ironischerweise bewegt man ihn aktuell davon weg. Bei Mark Henry, Big Show, Kane, Punk, Daniel Bryan, Randy Orton oder Sheamus will ich diese Rolle aber einfach nicht sehen, da sie Null zu ihnen passt.
Bublitz: Bryan geht als Chicken Heel vielleicht noch, er ist ja schon eine durchtriebene Ratte. Aber bei den Großen passt es definitiv nicht. Christian wäre übrigens der perfekte Tweener... aber den lehnen sie leider immer viel zu sehr an Edge an. Er wäre jetzt auch als Main Eventer over, wenn man ihm letztes Jahr den Titel länger gegeben hätte.
Kneisel: Richtig, Christian wirkt als Face etwas farblos. Bei Orton und CM ist der Tweener-Status aus meiner Sicht einfach Pflicht! Bei den anderen kann man diskutieren, aber die beiden sind perfekte Tweener, die in der Rolle auch das Maximum rausholen könnten. Was denken die Leute denn, wieso Austin und Rocky so groß geworden sind?! Weil sie eben ihre Ecken und Kanten hatten und jeden niedergemacht haben, egal ob Heel oder Face.
Bublitz: Eben! STUNNER! STUNNER! Mann, wie ich diese Typen vermisse.
Kneisel: Es muss ja nicht bei jedem so extrem ausgeprägt sein wie bei Austin, aber doch zumindest ein wenig davon, bitte.
Bublitz: Austin habe ich immer geliebt, der war genau mein Typ Wrestler, oder sagen wir Entertainer. Ein Draufgänger, Säufer und Schläger, aber immer mit verdammt geilen Sprüchen und seiner ganz eigenen Art.
Kneisel: Man muss auch einfach sehen, wie groß Austins Anteil am Erfolg der WWE in der Attitude Era war. Dass man sich dann entscheidet, eben das, was einem damals in den Monday Night Wars den Arsch gerettet hat - eben die vielschichtigen interessanten Charaktere - mehr oder minder auszurotten, geht über mein Verständnis.
Bublitz: Da sagst du was. "Ausrotten" ist vielleicht ein wenig übertrieben, ich weiß aber, was du damit sagen willst. Vielleicht habe ich verzerrte Erinnerungen, aber ich habe den Eindruck, dass die Nicht-Main-Eventer beinahe komplett auf der Strecke bleiben. Die Midcard ist höchstens phasenweise existent. Dafür müsste man die neue dritte RAW-Stunde doch eigentlich nutzen. Die Superstars-Wrestler könnte man so auf der großen Bühne pushen und mal wieder eine ordentliche Midcard aufbauen. Den Diven könnte man so auch mal ein gutes Match und so etwas wie Storylines gönnen.
Kneisel: Das ist auch meine Hoffnung. Man hat jetzt eine Stunde mehr Zeit. Entweder pusht man ein paar der Leute, die sonst nur bei Superstars oder NXT auf einen Auftritt hoffen dürfen, oder man verlängert die Matches. Beides wäre klar besser, als einfach mehr Segmente reinzuwürgen. So wirklich dran glauben will ich aber noch nicht.