Athletic Bilbao: Vorsicht vor dem Anti-Robocop

Haruka Gruber
29. März 201220:10
Bilbaos Stars. Oben: Aurtenetxe (3.v.l.), Javi (4.v.l.), Iraizoz (r.). Unten: Iraola (2.v.l.), Ander (4.v.l.)Imago
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Fernando Llorente und "Mini-Messi" Iker Muniain sind die Stars. Doch Athletic Bilbao hat mehr zu bieten: Ein Kopfball-Monster mit 30 Millionen Euro Marktwert - und einen Michbubi. Der FC Schalke 04 sollte vor dem Hinspiel des Europa-League-Viertelfinals (20.50 Uhr im LIVE-TICKER) trotz der Formschwäche der Basken in der Liga mit 4 Spielen ohne Sieg gewarnt sein.

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Tor: Gorka Iraizoz (Castrol EDGE Ranking: 329)

An niemandem lassen sich die Restriktionen und Möglichkeiten von Bilbao so gut aufzeigen wie bei Iraizoz. Aufgrund der selbst auferlegten Beschränkung, nur baskische Spieler zu verpflichten, bereitet es Athletic vor allem Mühe, aus dem überschaubaren Angebot einen adäquaten Torwart zu finden. Entsprechend alternativlos war Iraizoz, den Bilbao 2007 für vergleichsweise imposante 4,8 Millionen Euro von Espanyol verpflichtete. Dass der Klub eine solche Ablöse zu zahlen imstande war, verdeutlicht jedoch die finanzielle Potenz von Athletic.

Iraizoz war wegen seiner baskischen Herkunft so teuer, denn vom Talent her gehört er lediglich zum gehobenen Durchschnitt in der Primera Division. "Er ist nicht weltklasse, aber sehr ordentlich. Er hält, was er halten muss", sagt Spanien-Experte Ricardo Moar gegenüber SPOX. Die Castrol EDGE Leistungsanalyse bestätigt: Der 31-Jährige rangiert mit 104 Paraden zwar ligaweit auf Rang zwei hinter Saragossas Roberto (108) und beging noch keinen Fehler, der zu einem Gegentor führte. Doch bei der Fangquote (73,8 Prozent) liegt er nur im oberen Drittel auf Platz sechs. Auch hier Erster: Roberto (77,4 Prozent).

Dass es Iraizoz überhaupt zur Nummer eins eines Primera-Division-Teams schafft, war lange Zeit nicht abzusehen. Mit 20 Jahren wurde er in Bilbao aussortiert, woraufhin eine vierjährige Irrfahrt durch die unteren Ligen begann. Erst 2006/2007 wendete sich das Schicksal: Bei Espanyol durfte er als Stellvertreter von Stammkeeper Carlos Kameni zumindest im UEFA-Cup auflaufen und erreichte sensationell das Finale, weswegen Bilbao aufmerksam wurde und ihn zurückholte.

Innenverteidiger: Fernando Amorebieta (Castrol EDGE Ranking: 283)

Ein Spieler zwischen drei Kulturen: Amorebieta kam in Venezuela auf die Welt, zog als Kleinkind mit den baskischen Eltern in deren Heimat zurück, lief in der Jugend für Spanien auf (U-19-Europameister 2004), wurde 2008 in die spanische A-Nationalmannschaft berufen, stand in der baskischen Regionalauswahl und ist nun Teil der Nationalmannschaft Venezuelas.

Sein Spiel ist so wie das Baskenland: "Herb, ungekünstelt, irgendwie regnerisch", wie Moar beschreibt. "Wenn der Boden weich ist und die Techniker verzweifeln, lebt Amorebieta richtig auf. Er ist nicht der technisch begabteste Innenverteidiger in Spanien, aber er spielt immer mit vollem Einsatz und schmeißt sich in jeden Ball."

Rechtsverteidiger: Andoni Iraola (Castrol EDGE Ranking: 515)

Einer der meist unterschätzten Spieler der Primera Division - was zweierlei Gründe haben könnte: Einerseits hängt Iraloa noch die Schwächephase vor ein, zwei Jahren nach. Andererseits spielt er sein Leben lang in Bilbao, was per se ein Nachteil bedeutet im Madrid- und Barcelona-zentrierten Spanien.

Dabei gehört er in Bilbao zu den Unverzichtbaren. Die meisten Angriffe aus der Abwehr heraus werden über seine rechte Seite begonnen, weswegen er die mit Abstand meisten Ballkontakte aller Abwehrspieler verzeichnet (75 im Schnitt). Seine 3 Assists in der Liga sind nur Durchschnitt, dafür sticht seine Passquote im gegnerischen Drittel von 70 Prozent heraus. Insgesamt leitete er mit 24 Pässen eine Großchance ein - bei Nationalmannschafts-Rivale Arbeloa von Real Madrid sind es nur 7.

"Im Vergleich zu Arbeloa ist Iraola nicht ganz so zweikampfstark, dafür ist er technisch besser. Iraolas größte Stärke ist der Offensivdrang", sagt Moar über den 29-Jährigen, der bereits in der 9. Saison hintereinander zur Stammelf Bilbaos gehört.

Linksverteidiger: Jon Aurtenetxe (Castrol EDGE Ranking: 1003)

In der NBA gibt es die statistische Kategorie "Steals", im Fußball heißt das Äquivalent etwas sperrig "abgefangene Pässe". Eine Kategorie, in der Aurtenetxe zu den Besten in Spanien zählt. Mit 77 abgefangenen Pässen liegt er vor seinem Teamkollegen Iraola (69) oder prominenteren Außenverteidigern wie Marcelo (58), Dani Alves (55) und Arbeloa (43).

Dass ihm in dieser Saison dennoch keine Vorlage gelang und nur 17 Prozent der Flanken beim Mitspieler ankommen (Iraola: 31 Prozent), sind zugleich Beleg seiner Defizite. Moar über den 20-Jährigen, der vergangenes Jahr mit Spanien U-19-Europameister wurde: "Er muss noch aufgebaut werden. Fußballerisch und kämpferisch ist er noch nicht auf dem höchsten Niveau, aber er ist ja noch jung."

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Defensives Mittelfeld: Javi Martinez (Castrol EDGE Ranking: 213)

Der vielleicht beste Spanier in der Primera Division, der nicht beim FC Barcelona oder bei Real Madrid spielt. "Er ist die perfekte Mischung aus Kraft und Technik", sagt Moar. Bemerkenswert bei Martinez ist vor allem die Vielseitigkeit. Als gelernter Sechser wird er fast die gesamte Saison über in der Innenverteidigung eingesetzt - und das mit Erfolg, wie die Castrol EDGE Leistungsanalyse beweist: Der 23-Jährige geht in extrem viele Zweikämpfe (216) und duelliert sich fast doppelt so oft wie Nebenmann Amorebieta (118), wobei vor allem seine Quote an gewonnenen Kopfballduellen auffällt (72 Prozent).

Interessant: Als Defensivspieler wird er häufiger gefoult (46), als er selbst foult (40) - was jedoch nicht verhindern konnte, dass er in dieser Saison bereits zweimal des Platzes verwiesen wurde. "Daran sieht man, dass er als Innenverteidiger nicht so erfahren ist. Er muss lernen, dass er in der Abwehr nicht so aggressiv zu Werke gehen kann wie im Mittelfeld", sagt Moar, der Martinez auf vorgezogener Position für wesentlich wertvoller erachtet: "Ich weiß, dass sich Real-Trainer Mourinho in ihn als Sechser verliebt hat, nicht als Fünfer."

Ein Grund: Martinez erzielte in den letzten 7 Liga-Spielen zwar 3 Tore (alle mit dem Kopf), doch aus dem defensiven Mittelfeld könnte er noch häufiger zum Abschluss kommen. Selbst aus dem Abwehrzentrum heraus leitete er mit seinen Pässen 8 Großchancen ein - nur der wesentlich offensiver agierende Real-Rechtsverteidiger Sergio Ramos (12) kommt von den Topverteidigern auf einen besseren Wert.

Leistungen, die ihn zu einem der begehrtesten Spieler Europas machen. Real und Barca sowie Inter Mailand und fast die gesamte Premier-League-Elite (ManUnited, ManCity, Liverpool) sollen bereit sein, eine Ablöse von rund 30 Millionen Euro zu zahlen. Martinez' Kommentar: "Ich kann nicht glauben, dass jemand so viel Geld für mich ausgeben will. Ich bin es doch gar nicht wert."

Offensives Mittelfeld: Ander Herrera (Castrol EDGE Ranking: 369)

Die Kritiker bemängeln seine fehlende Antrittsschnelligkeit, seine nicht vorhandenen Muskeln oder seine Unbeständigkeit - für Moar hingegen gehört Ander zu jenen Fußballern, die das Besondere verkörpern. Mehr noch: Ander wäre einer der Kandidaten, um die Ära von Xavi fortzuführen. "Wir Spanier haben einen neuen Fußballer erfunden: Sie sehen aus wie Milchbubis und sind eigentlich zu schwach für Zweikämpfe, dennoch erobern sie sich jeden Ball. Sie gleichen die körperlichen Nachteile damit aus, dass sie im Kopf schneller sind als andere", sagt Moar. "Ander ist der nächste Beweis dafür, dass man kein Robocop sein muss."

Ander ist vielmehr ein klassischer Spielgestalter. "Ihm ist der Pass wichtiger als das Tor", sagt Moar - was die Erklärung dafür ist, warum für Ander nur ein Treffer und insgesamt 17 Torschüsse notiert werden, dafür aber 7 Assists. Bei Athletic legt in dieser Saison kein anderer Spieler so viele Tore auf.

Eine Bilanz, die jedoch nicht einhergeht mit einem unumstrittenen Stammplatz für Ander. Angesichts der Konkurrenz (Gaizka Torquero, Inigo Perez, Markel Susaeta, David Lopez) findet sich der 22-Jährige je nach taktischer Ausrichtung vereinzelt auf der Bank wieder, was auch als erzieherische Maßnahme für den zweitteuersten Einkauf der Klubgeschichte (7,5 Millionen Euro an Saragossa) verstanden werden kann.

Tor und Abwehr: Talentierte Nobodys

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Sturm: Der Leuchttum mit Bart Simpson

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Sturm: Fernando Llorente (Castrol EDGE Ranking: 62)

Ein Muster an Beständigkeit: In den vergangenen vier Saisons steigerte er kontinuierlich seine Torausbeute (11, 13, 14, 18) und liegt in diesem Jahr bereits bei 14 Treffern. Parallel verbesserte er sich in allen anderen Aspekten, die einen Stürmer ausmachen. Früher noch ein technisch limitierter Schlacks, der nicht viel mehr konnte außer mit dem Kopf zu treffen oder abzustauben, weiß er mittlerweile auch als Kombinationsspieler zu gefallen - auch wenn die Statistiken dies nicht vermuten lassen.

Er gab in dieser Saison erst eine Vorlage, gewann durchwachsene 33 Prozent der Zweikämpfe und gestaltete nur 20 Prozent der Dribblings erfolgreich. "Trotzdem ist Bilbao ohne Llorente nur die Hälfte wert. Er ist technisch besser, als viele glauben", sagt Moar.

Hauptmerkmale bleiben jedoch seine Tore: Wettbewerbs-übergreifend traf er in 39 Spielen 23 Mal, seit Jahresbeginn sind es in 19 Spielen sogar 14 Mal. Bei allen Stürmern in der Primera Divison mit zehn Toren oder mehr ist er der dritteffektivste beim Abschluss (29,8 Prozent), hinter Reals Gonzalo Higuain (40,5 Prozent) und Barcas Lionel Messi (30,7 Prozent).

Die Konsequenz: Neben Barca sollen besonders die englischen Klubs (Tottenham, Liverpool, Chelsea) um ihn werben.

Sturm: Iker Muniain (Castrol EDGE Ranking: 414)

Wegen seines Aussehens hört er auf den Spitznamen "Bart Simpson", wegen seines Talents hängt an ihm aber auch der Beiname "Der spanische Lionel Messi". Muniain ist der jüngste Debütant Bilbaos, er ist der jüngste Torschütze Bilbaos und er ist der überhaupt jüngste Torschütze der Primera-Division-Geschichte. Für das letzte Testspiel gegen Venezuela wurde er und nicht Barcelonas Pedro in die spanische Nationalmannschaft berufen.

All das machen aus dem 19-Jährigen ein Wunderkind, der Moar in Begeisterung versetzt: "Er ist der Knaller. Er ist verrrückt und macht mit seinen Tricks jeden Gegenspieler verrückt. Niemand weiß ihn zu stoppen, wenn er von links nach innen zieht und in die Schnittstelle geht. Und er macht die wichtigen Tore." Wie in der Europa-League-Zwischenrunde gegen Lokotive Moskau, als ihm in Hin- und Rückspiel jeweils das entscheidende Tor gelang. Oder wie beim Achtelfinal-Hinspiel bei Manchester United.

In der Liga hingegen geht ihm diese Effektivität ab. Bis zum Gijon-Spiel blieb er 14 Partien in Serie ohne eine Torbeteiligung. Insgesamt zeigt er sich in der Europa League (6 Scorer-Punkte in 11 Spielen) und im Pokal (4 Scorer-Punkte in 8 Spielen) wesentlich gefährlicher als in der Primera Division (5 Scorer-Punkte in 28 Spielen). Auffällig seine schwache Chancenverwertung (8 Prozent).

"Von Messi ist Muniain noch 100 Jahre entfernt", sagt Moar. "Aber er ist genauso frech. Solche Spieler machen den Fußball zu einem Spektakel."

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Athletic Bilbao im Steckbrief