Die zweite Welle als Waffe

Haruka Gruber
18. Februar 201422:54
Dirk Bauermann analysiert für SPOX die Taktik der Dallas Mavericksspox
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Langsam, alt und mies in der Defense - und doch ist Dallas eines der heißesten Teams der NBA. Wie kann das sein? Der ehemalige Bundestrainer Dirk Bauermann analysiert die Mavericks und erklärt, warum Ellis der beste Nowitzki-Sidekick seit Steve Nash ist, wie Jose Calderon die Offense lenkt - und was die Achillesferse in den Playoffs sein wird.

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Teil I: Nowitzki & Ellis - The Two Men Group

Dass ihm das All-Star-Game seit jeher nicht besonders behagt, hatte Dirk Nowitzki vor der diesjährigen Austragung noch einmal bekräftigt. "Selbst als ich noch jung war, entsprach es nicht wirklich meine Vorstellung eines Basketball-Spiels. Jetzt, da ich alt bin, entspricht es erst recht nicht meinen Vorstellungen", sagte Nowitzki, der das Wochenende lieber zur Entspannung genutzt hätte.

Dabei war die erneute Nominierung für das All-Star-Game schlicht ein Zeichen der Anerkennung. Sollte er seine 21,7 Punkte halten, wäre er der sechste Spieler der NBA-Geschichte nach Kareem Abdul-Jabbar, Karl Malone, Elgin Baylor, Alex English und Michael Jordan, der mit einem Alter von 35 Jahren oder älter in einer Saison mindestens 21 Zähler im Schnitt erzielt.

Noch beeindruckender: Er steht nach der MVP-Season 2006/07 zum zweiten Mal in seiner Karriere vor einem historischen 50/40/90-Jahr. Sprich: eine Saison mit einem Schnitt von 50 Prozent getroffenen Würfen, 40 Prozent getroffenen Dreiern und 90 Prozent getroffenen Freiwürfen. Aktuell liegt er bei 49,2 Prozent, 41,2 Prozent sowie 91,0 Prozent. Mitglieder des exklusiven 50/40/90-Klubs sind neben ihm nur Steve Nash, Larry Bird, Mark Price, Reggie Miller und Kevin Durant.

Derlei Leistungen nach zwei bestenfalls mittelmäßigen Jahren wurde Nowitzki kaum mehr zugetraut und lassen sich auf zwei Faktoren zurückführen: Auf seine wieder erlangte Fitness und auf seinen neuen Partner Monta Ellis. "Das Auffälligste an den Mavs in dieser Saison ist, dass Dirk nach einer sehr langen Zeit nicht mehr im alleinigen Fokus der offensiven Strategien steht", sagt Dirk Bauerman.

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"Dallas besitzt sicherlich nicht die am stärksten besetzte Mannschaft. Daher lassen sich die Erfolge nur damit erklären, dass das Zusammenspiel der beiden Führungsspieler gut klappt und es kein Element von Neid und Wettbewerb um die größere Anzahl von Würfen gibt."

Mit 6 Siegen aus den letzten 7 Spielen gehören die Mavs zu den formstärksten Teams der NBA und sind Sechster im Westen. Ligaweit weisen sie die achtbeste Bilanz auf. All das wäre ohne Ellis nicht denkbar. Bauermann: "Monta zählt nicht zu den ganz Großen des Basketballs, aber dennoch ist er wertvoll, weil er viel Druck von Dirk nimmt und zwei oder drei Gegenspieler auf sich zieht."

Erstaunlich ist vor allem, wie ausgewogen die Verantwortung geteilt wird. Nowitzki (15,9 Versuche pro Spiel) und Ellis (15,4) nehmen fast identisch viele Würfe und stimmen sich bei vielen Angriffsspielzügen gegenseitig ab. Etwa beim "77" (siehe Diashow), wenn Ellis als Point Guard den Play einleitet und am Ende Nowitzki davon profitiert. "Das 77 spielen die Mavs vor allem aus der Transition heraus. Ein hoher Pick'N'Roll hat im Basketball den Begriff '7' und weil zwei hintereinander ablaufen, erst mit Dirk, dann mit Sam Dalembert, heißt es '77'", sagt Bauermann.

Wenn Ellis freie Räume erkennt für den schnellen Gegenstoß, versucht er sich oft alleine - angesichts des fortgeschrittenen Alters der meisten Mitspieler häufig die einzige Möglichkeit der Mavs, um aus klassischen Fast-Break-Situationen zu punkten. So ist es auch zu erklären, dass Ellis (136,4) hinter Nicolas Batum (139,6) und Klay Thompson (137,3) die meisten Kilometer überhaupt läuft.

Insgesamt nimmt Ellis für einen klein gewachsenen Combo-Guard erstaunliche 44,7 Prozent seiner Würfe direkt am Korb und trifft dort starke 54,6 Prozent. Und: Pro Spiel erzielt er laut NBA.com 7,4 Punkte nach einem Drive - Nummer eins in der NBA. "Wenn der Gegner zum Wurf hochgeht, sprintet Ellis sofort los, um beim einem Fehlversuch leichte Körbe geschenkt zu bekommen. Dieses 'Cherrypicking' schmerzt den Mavs beim Defensiv-Rebound sehr, andererseits würden sie anders gar nicht zu Fast-Break-Punkten kommen", sagt Bauermann.

Denn: Von Ellis abgesehen verfügt in der Starting Five der Mavs niemand über die athletischen Fähigkeiten, um einen Gegner zu überrennen. Stattdessen soll Ellis mit seiner Schnelligkeit derart die gegnerische Verteidigung aufwühlen, dass Jose Calderon und vor allem Nowitzki zu freien Würfen kommen. Hilfreich dabei sind Ellis' unterschätzte Fähigkeiten als Passgeber (5,7 Assists).

Nowitzki beschränkt sich so fast nur noch auf Versuche aus der der Mittel- und Dreierdistanz. Lediglich 9,7 Prozent aller Würfe erfolgen direkt am Korb, was den Trend seit der Meisterschaft 2011 fortsetzt. Damals waren noch 20,1 Prozent aller Würfe direkt am Korb.

"Das ist die typische Entwicklung bei Spielern dieser Kategorie. Sie besitzen die Fähigkeit, sich auf die geringer werdende Athletik anzupassen. Michael Jordan hatte früher fast ausschließlich den Korb attackiert, bevor er zum Sprungwerfer wurde. Tim Duncan ist viel seltener in klassischen Post-Up-Situationen, sondern kommt immer mehr aus dem Pick'N'Roll und wirft der Mitteldistanz", sagt Bauermann und verweist auf die vielen Isolation-Plays, die für Nowitzki angesagt werden (siehe Diashow).

Allerdings bringt das Agieren am Perimeter einen erheblichen Nachteil mit sich. Der am gegnerischen Brett noch nie besonders auffällige Nowitzki hält sich noch seltener am Korb auf und holt daher nur 0,5 Offesiv-Rebounds pro Spiel - ein Karriere-Minuswert. Insgesamt greift er sich so wenige Rebounds ab wie seit der Rookie-Saison nicht mehr (6,1).

"Dirk war nie ein dominanter, aber sehr verlässlicher Rebounder. Dass es offensiv nicht mehr so klappt, weil er sich weiter weg vom Korb aufhält, ist logisch. Dass er defensiv ebenfalls weniger Rebounds holt, deutet wohl daraufhin, dass er einen halben Schritt langsamer geworden ist."

Teil I: Nowitzki & Ellis - The Two Men Group
Teil II: Calderons Rezept: Die zweite Welle
Teil III: Die Gründe für die miese Defense
Teil IV: Methusalem-Alarm auf den Flügeln

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Teil II: Calderons Rezept: Die zweite Welle

Ellis läuft wie ein Wiesel hin und her und scort per Drive, Nowitzki wiederum trifft hochprozentig wie selten - aber bei allem Bemühen der beiden ist im Mavs-Angriff eine gewisse Eindimensionalität zu erkennen, weil sich von beiden abgesehen niemand seinen eigenen Wurf kreieren kann.

Umso erstaunlicher, dass Dallas trotzdem über eine potente Offense verfügt. 47,2 Prozent verwandelte Würfe und 37,6 Prozent verwandelte Dreier sowie 23,3 Assists bedeuten jeweils Platz 6, außerdem unterlaufen nur drei Teams seltener ein Turnover als Dallas.

"Das Schlüsselwort heißt Uneigennützigkeit. Und niemand verkörpert es so wie Jose Calderon", sagt Bauermann. "Die Krankheit der modernen Point Guards ist es, den Ball zu lange zu halten und jeden Angriff komplett selbst vorzutragen. Dabei ist der Pass immer schneller als das Dribbling. Das weiß Jose und deswegen ist er ein Meister darin, die Kollegen im Angriff einzubeziehen, während in vielen anderen Mannschaften die Mitspieler einfach stehen bleiben, weil sie wissen, dass der Point Guard eh alles selbst macht."

Calderon war schon immer ein Ausbund an Effizienz mit herausragendem Assist/Turnover-Verhältnis. Diese Saison kommen auf einen Ballverlust 3,88 Vorlagen, was Platz zwei hinter Chris Paul bedeutet. Zudem finden 44,5 Prozent seiner Dreier das Ziel (Platz 6 in der NBA). Was ihn für die Mavs noch wichtiger macht, ist sein Gefühl für das richtige Tempo. (siehe Diashow)

Das defensiv sonst schwache Dallas rangiert mit 8,8 Steals unter den Top 5, doch in der Kategorie "Punkte nach Fast Breaks" findet man sich mit 12,1 Zählern pro Spiel nur auf Platz 20 wieder. Was vordergründig als Schwäche interpretiert werden könnte, ist tatsächlich eine Stärke, wie Bauermann erklärt.

"Wer soll bei Dallas außer Ellis nach einem Steal nach vorne sprinten und schnell abschließen? Marion läuft mit, aber nur selten geht er hart an die Grenze. Deswegen versuchen die Mavs aus der Not eine Tugend zu machen und vor allem im Secondary Wave zu punkten."

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Zur Erklärung: "Wenn eine Mannschaft in den ersten vier bis sechs Sekunden eines Angriffs eine Überzahlsituation herstellt, spricht man von einem Fast Break oder Primary Wave. Wenn in der Phase kein Abschluss gelingt und sich aus dem Schnellangriff eine neue Situation ergibt, ohne dass der Spielfluss unterbrochen wurde, spricht man vom Secondary Wave, der zweiten Welle", definiert Bauermann. (siehe Diashow)

Und jene zweite Welle ist Dallas' gefährlichste Waffe: "Die Mavs sind nicht schnell oder athletisch, daher müssen sie andere Wege finden. Und der Secondary Wave ist eine gute Alternative, den Gegner zu überraschen, wenn sich dieser in der Verteidigung noch nicht gesammelt hat. Um solche Möglichkeiten zu erkennen, braucht man einen exzellenten Floor General wie Calderon."

Bei allem Lob betont Bauermann, dass von Calderon keine Wundertaten erwartet werden dürfen. "Mir gefällt es, wie er emotional seine Mannschaft führt. Er führt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch seiner Begeisterung. Er ist emotional sehr präsent und steckt die anderen mit seinem Feuer an. Dennoch darf man nicht vergessen, dass er in Europa zu den Größten überhaupt gehört, in der NBA jedoch nicht mit den Allerbesten mithalten kann. Es fehlt einfach die Explosivität und die Athletik."

Teil I: Nowitzki & Ellis - The Two Men Group
Teil II: Calderons Rezept: Die zweite Welle
Teil III: Die Gründe für die miese Defense
Teil IV: Methusalem-Alarm auf den Flügeln

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Teil III: Die Gründe für die miese Defense

Fehlende Explosivität und Athletik - die Beschreibung von Calderon lässt sich auf das gesamte Verteidigungsverhalten der Mavs anwenden. Vom clever agierenden Shawn Marion und dem ballklauenden Ellis abgesehen gibt es keine verlässliche Defensivkraft.

Dalembert bringt immerhin den Körper und die Größe mit, aber Bauermann schränkt ein: "Es kommt nicht von ungefähr, dass die Gegner besonders schnell spielen und den Korb angreifen, wenn Dalembert und Dirk gemeinsam auf dem Court stehen."

Die Probleme lesen sich so: 20. bei den gegnerischen Punkten, 23. bei der gegnerischen Wurfquote, 24. bei den Blocks, 26. bei den gegnerischen Punkten nach Fast Break und gar nur 28. bei den Rebounds.

Was immer wieder auffällt: Phasenweise gelingt es Dallas, zumindest auf ordentlichem Niveau zu verteidigen, dann kommen wieder unerklärliche Aussetzer wie jüngst in Charlotte, als man es den Bobcats erlaubte, 114 Punkte einzuschenken und mit 42 Assists einen NBA-Bestwert seit 2008 aufzustellen. (siehe Diashow)

"Im Vergleich zu den Jahren zuvor ist die Verteidigung deutlich schlechter geworden. Die offensive Ausrichtung vieler Spieler spiegelt sich im Verteidigungsverhalten wider. Die besten Programme zeichnen sich durch eine kollektive Identität in der Defense aus. Chicago mit Jordan und Pippen hatten sie, Dallas hatte sie 2011, heutzutage haben sie Miami und San Antonio", sagt Bauermann.

Eine Ursache dafür macht Bauermann in der fehlenden Kontinuität im Kader seit der Championship vor vier Jahren aus: "Verteidigung ist viel mehr als Ackern. Es hat mit Abstimmung, Rotationen, defensive schemes und gesamtmannschaftlichen Abläufen zu tun. Es benötigt Zeit, bis sowas verinnerlicht ist und von allen abgerufen werden."

Ein zweiter Grund sei viel banaler: das Alter. "Die Struktur im Team ist problematisch. Vor allem bei der Athletik befindet sich die Mannschaft im unteren Liga-Drittel und es fällt auf, wie viele Spieler häufig am Block hängenbleiben", sagt Bauermann und bezieht sich damit vor allem auf Calderon. (siehe Diashow)

"Eine häufig zu beobachtende Situation: Calderon wird vom Gegner in ein Pick'N'Roll-Situation gebracht, weil er dazu neigt, schon am ersten Block Probleme zu bekommen und den Gegenspieler aus den Augen zu verlieren."

Aber auch Nowitzki wird als Schwachstelle ausgemacht: "Wenn der Gegner Pick'N'Roll spielt und Dirk rauskommen muss, um zu helfen, geht das noch. Der zweiten Schritt, den eigenen Mann wiederzufinden, egal ob dieser sich abrollt oder außen bleibt, fällt einem allerdings besonders schwer, wenn man nicht mehr ganz so jung ist."

Daher erwartet Bauermann keinen besonders weiten Playoff-Run der Mavs: "Mittlerweile versucht Dallas häufiger mit 2-3-Zone zu verteidigen, um die individuell schwachen Verteidiger zu verstecken. Nur das wird nicht reichen. Zum Ende der Regular Season, wenn es um die Setzpositionen geht, und erst recht in den Playoffs, reißen sich alle Teams zusammen und heben offensiv und defensiv die Intensität. Ich bin gespannt, wie es bei Dallas sein wird."

Teil I: Nowitzki & Ellis - The Two Men Group
Teil II: Calderons Rezept: Die zweite Welle
Teil III: Die Gründe für die miese Defense
Teil IV: Methusalem-Alarm auf den Flügeln

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Teil IV: Rentner-Treff auf den Flügeln

Blickt man auf den Kader der Mavs und vergleicht diesen mit denen der Topteams, kommt es fast schon absurd vor: Ausgerechnet auf den Flügelpositionen, wo die Superstar-Dichte in der NBA am größten ist, erinnert Dallas mehr an ein Rentner-Treff.

Die Einzigen von gehobener Güte sind Small Forward Marion und Shooting Guard Vince Carter - wobei Ersterer bereits 35 und Letzterer 37 Jahre alt sind.

Einem LeBron James, Kevin Durant oder Carmelo Anthony kann Dallas ansonsten nur zwei Spieler entgegensetzen, die sich kaum bewährt haben: Jae Crowder und Wayne Ellington. Ansonsten gibt es keine klassischen Flügel im Team. "So richtig überwältigend ist das nicht", sagt Bauermann.

Zu schlecht solle man die Mavs aber dennoch nicht beurteilen. "Marion und Carter sind im positivsten Sinne solide. Marion kann als Small Forward und Power Forward auflaufen und ist ein komplementärer Spieler. Einer, der sich sehr gut ohne den Ball bewegt und einen herausragenden Blick dafür besitzt, überraschend zum Korb zu cutten", sagt Bauermann. (siehe Diashow)

"Er braucht nicht so viele Aktionen, um effektiv zu sein, das ist in der Konstellation mit zwei dominanten Scorern wichtig." Außerdem trifft er 37,5 Prozent von der Dreierlinie (bester Wert seit 11 Jahren), womit er Nowitzki und vor allem Ellis Platz verschafft in Korbnähe.

Ähnlich das Urteil über Carter: "Carter kann wie Ellis die Zone attackieren, auch wenn er nicht mehr die athletischen Möglichkeiten von früher hat. Er ist nach wie vor ein explosiver Scorer, gut im Post-Up, in der Isolation und im Eins-gegen-eins, obwohl er immer sehr stark über die rechte Hand kommt. Selbst im Pick'N'Roll ist er mittlerweile verlässlich und trifft den Dreier. Für einen Flügel ist er komplett", sagt Bauermann.

Doch für allzu große Träume sind die Mavs nicht gut genug besetzt. "Im Vergleich ist mir das ein bisschen zu dünn. Dallas ist einfach eine Mannschaft, die darum kämpft, in die Playoffs zu kommen - nicht mehr, nicht weniger."

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