Die 96. Tour de France ist Geschichte. Es gab jede Menge Überraschungen, aber auch zahlreiche Enttäuschungen. Vom Showmaster des Radsports bis zum norwegischen Fuchs in Grün, von müden Milchziegen bis zum gämsenartigen Gesamtsieger: Die positiven und negativen Schlagzeilen der Tour de France 2009.
Die positiven Schlagzeilen der Tour:
Armstrong siegt nicht, aber er gewinnt
Dritter Platz. Naja. Für einen siebenmaligen Toursieger so lala. Armstrongs sportliche Bilanz der Tour ist durchwachsen. Mehr nicht. Aber der Showmaster des Radsports war nicht ausschließlich wegen seines achten Triumphes zurückgekommen. In fast allen anderen Belangen ist der Texaner der große Gewinner der Tour.
"Das Comeback hat sich auf jeden Fall gelohnt", sagte Armstrong, der mit einer gigantischen PR-Show ganz Frankreich in seinen Bann zog. Wo er früher ausgepfiffen und mit "Epo-Lance" beschimpft worden war, gab es diesmal tosende Jubelstürme.
Er nutzte die ihm gebotene Bühne, um für seine Krebsstiftung zu trommeln und seine politischen Ambitionen zu verfolgen. Rund 300 Twitter-Einträge stellte Armstrong in drei Wochen Tour de France ins Netz. Und machte dabei klar: "2010 komme ich wieder. Noch stärker." Ein gewisser A.C. wird dann sein Gegner sein.
Gebrüder Schleck: Sieg gegen die Bernards, chancenlos gegen A.C.
Das ungleiche Bruderduell gegen die Sankt Bernards haben die Schlecks gewonnen. Im gemeinsamen Kampf gegen A.C. waren sie hingegen chancenlos. Egal ob am Romme, in Verbier oder am Mont Ventoux: Immer wieder hatten Andy und Fränk in Co-Produktion versucht, den Spanier zu isolieren. Immer wieder grüßte A.C. lässig vom Hinterrad der Luxemburger.
Ein Schleck wäre aber kein Schleck, wenn er sich von der Chancenlosigkeit gegen einen A.C. beeindrucken ließe. Kaum in Paris angekommen, lancierte Andy eine Kampfansage an seinen Hinterrad-Lutscher der letzten 21 Tage: "Ich weiß, dass ich Contador schlagen kann, und ich werde nächstes Jahr zurückkommen, um das zu tun."
Entdeckung des Polizeimeisters - Metamorphose eines Bahnsprinters
Die L'Equipe feiert ihn als die Entdeckung der Tour, viele sehen in ihm den neuen Jan Ullrich. Doch diesen Vergleich scheut Tony Martin. "Ich will meine eigene Geschichte schreiben", sagt der Polizeimeister, der zwölf Tage im Weißen Trikot fuhr und am Mont Ventoux die Sensation nur durch Unwissenheit verpasste.
Auch Bradley Wiggins ist eine Entdeckung der Tour. Jedoch eine zweifelhafte. Während Martin in den Alpen einbrach, strampelte der Garmin-Brite an den steilen Rampen locker-flockig mit A.C., Lance, Andy, Fränk und den anderen Bergziegen mit. Und das als Bahnrad-Spezialist, dessen Lieblingsdistanz auf dem Holzoval die 4000 Meter sind.
"Wie kommt diese Metamorphose vom Bahnsprinter zum Bergfloh zustande?", fragen sich Szenekenner. "Vielleicht hat er sein Training umgestellt", tippt Linus Gerdemann. Aber Wiggins' Erklärung ist noch viel profaner: "Radikale Gewichtsreduzierung von sechs Kilogramm." Aha. So einfach ist das.
Ein norwegischer Fuchs in Grün
Herrlich, lustig, soapig! Die tägliche Hushovd-Cavendish-Komödie. Ein stämmiger Norweger ärgert den Superstar des Sprints - mit Erfolg. Gleich sechs Etappensiege fuhr der ManXpress ein, Hushovd genügte einer, um sich Grün zu schnappen. Warum? Weil er ein Fuchs ist. Cleverli Hushovd erarbeitete sich den entscheidenden Vorteil ausgerechnet in den Bergen.
Sowohl in den Pyrenäen als auch auf der Königsetappe der Alpen wagte er einen Ausreißversuch und gewann die Zwischensprints ohne Gegenwehr. Seine zweite geniale Idee: Nachdem ihn Cavendish im Sprint von Besancon fein tuschiert hatte, legte Donnergott Thor Protest ein. Mit Erfolg. Cavendish wurde ans Ende des Feldes versetzt, verlor wichtige Punkte und war stocksauer: "Er hat das Trikot gewonnen, aber es wird für immer einen Fleck haben."
Chance eu! Voigt hatte Glück im Unglück
Es war ein Bild des Grauens: Bei Tempo 80 knallte der Berliner auf der 16. Etappe mit dem Kopf auf die Straße. Sein Carbonrahmen schlug Funken auf dem Asphalt. Meterweit rutschte das Specialized-Bike die Straße hinunter - mit einem regungslosen Jens Voigt im Schlepptau.
Mittlerweile heißt es Aufatmen! Der Helm bewahrte den 37-Jährigen vor Schlimmerem. So erlitt Voigt "nur" einen Jochbeinbruch und eine Gehirnerschütterung. "Chance eu" sagen dazu wohl die Franzosen - Glück gehabt. Trotz des Horrorsturzes hat Voigt aber vom Radeln noch lange nicht genug: "So kann ich ja schlecht aufhören. Ich will auf jeden Fall im nächsten Jahr die Tour fahren." Dann aber bitte ohne Horrorsturz, Jens!
Die negativen Schlagzeilen lesen Sie auf Seite 2
Die negativen Schlagzeilen der Tour:
A.C.: Gämse, Gepard, oder doch ein Fisch?
Sicher, den Absatz zu A.C. - unter diesem Kürzel firmierte Alberto Contador bei Eufemiano Fuentes - könnte man auch ebenso gut unter den "positiven" Schlagzeilen rubrizieren. Doch für Späße solcher Art ist das Thema zu ernst. Die Nummer 31 in der Kartei des spanischen Doping-Arztes und Blutpanschers hat die Tour also zum zweiten Mal gewonnen. Glückwunsch!
So hat die Große Schleife zum vierten Mal in Folge einen Gesamtsieger aus Spanien. Ein Land, das sich den Ruf der Doping-Drehscheibe in Europa erarbeitet hat. Doch so mancher fragt sich, welches Tier denn nun in A.C. steckt, der an den Anstiegen so leichtfüßig wie eine Gämse im Berg radelt, beim Zeitfahren so schnell wie ein Gepard unterwegs ist und sich bei Fragen zu Doping stumm stellt wie ein Fisch.
Während der Tour zweifelte nicht nur der dreimalige Sieger Greg LeMond an A.C's Leistungen. Der Amerikaner zog dabei ein anerkanntes Leistungsdiagnostik-Modell heran, wonach A.C. für die Leistung bei seinem Etappensieg in Verbier einen VO2max-Wert (misst die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes) von 99,5 Milliliter pro Minute pro Kilogramm haben müsste. Ein zweifelhafter Rekord, der vor A.C. von Bjarne Riis und Marco Pantani gehalten wurde. Und deren Geschichte ist ja hinlänglich bekannt...
Heino hui - Hilde pfui
Neben Polizeimeister Martin sorgte "Heino" Haussler mit seinem Etappensieg für das positive Highlight aus deutscher Sicht. So gar nicht positiv setzte sich "Hilde" Klöden in Szene. Sportliche Chancen ließ Klödi genauso ungenutzt wie die Möglichkeit, mit seiner Vergangenheit aufzuräumen.
Die ungeklärten Fragen hinsichtlich der Dopingvorwürfe aus Freiburg beantwortete "Hilde" mit Schweigen. Stattdessen trat er häufig negativ in Erscheinung, als er etwa mit herausgestreckter Zunge an einem deutschen Kamerateam vorbeifuhr und so seinen Medienboykott gegenüber der deutschen Presse unterstrich.
Müde Milchmänner fahren Erwartungen hinterher
Team Milram: einzige deutsche Mannschaft bei der Tour und Vorzeige-Rennstall im Anti-Dopingkampf. So weit so gut. Okay, 13 Top-Ten-Platzierungen fuhren die Milchmänner heraus. Das war es aber auch schon an vorzeigbaren Milram-Schlagzeilen. Kapitän Gerdemann fuhr seinen eigenen Ansprüchen hinterher. "Ich war nicht bei 100 Prozent. Das habe ich zu spüren bekommen. Vielleicht habe ich überzogen", rätselte der 26-Jährige, der mit über 38 Minuten Rückstand Paris erreichte.
Gerald Ciolek erging es nicht besser. Er war zwar im Sprint stets dabei, mehr aber auch nicht. Gegen Sprint-König Cavendish oder den grünen Fuchs Hushovd war kein Kraut gewachsen. "Ich habe bei dieser Tour gemerkt, dass mir nicht viel zu einem Etappensieg fehlt", beteuerte Ciolek. Aber knapp daneben ist halt auch vorbei.
Verzweifelte Herausforderer im Team der Aussichtslosen
Vorjahres-Sieger, Vorjahres-Zweiter und Giro-Gewinner: Carlos Sastre, Cadel Evans und Denis Mentschow gehörten vor der Tour zu den aussichtsreichsten Anwärtern auf den Gesamtsieg - natürlich neben A.C.
Stellvertretend für ein seitenlanges Bashing der sogenannten Mitfavoriten listen wir hier die jämmerlichsten, verzweifeltsten, weinerlichsten und hilferufendsten Zitate der Mitglieder des Teams der Aussichtlosen auf:
"Wenn es zu keiner Zusammenarbeit kommt, können wir die Blumen für das Podest schon jetzt verteilen." (Cadel Evans nach der 10. Etappe)
"Wenn vier Fahrer von einem Team das Gesamtklassement derart dominieren, tötet das den Wettbewerb." (Carlos Sastre nach der 10. Etappe)
"Vielleicht hat es daran gelegen, dass ich seit dem Giro kein Rennen mehr gefahren bin. Ich fühlte mich heute einfach nicht gut und habe nie meinen Rhythmus gefunden." (Denis Mentschow nach der 1. Etappe)
Todesfall und Schüsse bei der Tour
Oscar Freire und Julien Dean müssen sich vorgekommen sein wie Sylvester Stallone beim Dreh von Rambo I. Die beiden Radprofis wurden auf der 13. Etappe von Schüssen aus einer Luftpistole getroffen und leicht verletzt. Freire fetzte es ein Loch in den Oberschenkel, Dean traf ein Geschoss am Zeigefinger der linken Hand. Beide konnten die Tour fortsetzen.
Eine echte Tragödie spielte sich am darauffolgenden Tag ab. Auf der 14. Etappe wurde eine 61-jährige Zuschauerin beim Wechseln der Straßenseite frontal von einem Polizeimotorrad, das mit rund 90 km/h unterwegs war, erfasst und erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen.
Die Gesamtwertung der 96. Tour de France