Eine Lehrstunde und viel Gewürge

Von Thomas Gaber
portugal, tuerkei
© Getty

München - Schon bei der Ankunft der portugiesischen EM-Delegation vor wenigen Tagen in Neuchatel flippten 10.000 Landsleute aus.   

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Cristiano Ronaldo wurde überhäuft mit Heiratsanträgen und Baby-Wünschen. Was Neuchatel in diesen Tagen erlebt, fand 2006 auch in Königstein statt. Damals versetzte die brasilianische Nationalmannschaft die Menschen im Taunus in kolletkive Ekstase, die Trainingseinheiten glichen Straßenfesten.

Doch während sich die Selecao mit ihrer Laissez-faire-Einstellung ins WM-Viertelfinale quälte, lieferten die Portugiesen in ihrem ersten EM-Spiel gegen die Türkei (2:0) eine beeindruckende Vorstellung ab. Eine bestens aufeinander abgestimmte Viererkette, ein spielerisch einwandfreies Mittelfeld und ein stets unberechenbarer Angriff setzten das erste Highlight des Turniers.

Portugal vs. Türkei in der SPOX-Analyse

"Meine Mannschaft war sehr gut und hat einen schönen, kraftvollen Fußball gespielt. Auf dieser Leistung kann man aufbauen", sagte der sonst so zurückhaltende Trainer Luiz Felipe Scolari.

Lehrstunde für die Türkei

Fernab jeglicher Hektik ließen die Portugiesen den Ball laufen, das Umschalten von Abwehr auf Angriff kam der Perfektion sehr nah. Dabei lieferte Ronaldo kein überragendes, sondern ein für seine Verhältnisse eher durchschnittliches Spiel ab. Das genügte aber noch für einen Pfostenschuss, ein brillantes Solo und zwei, drei brauchbare Flanken.

Zudem war Ronaldo an der Entstehung beider Tore durch Pepe (61.) und Mereiles (90.+3) beteiligt. "Das war eine Lehrstunde für uns. Portugal war uns klar überlegen", sagte Kazim Kazim, bester Spieler der Türkei.

Portugal zählt spätestens seit Samstagabend zum engen Kreis der Topfavoriten auf den EM-Titel. Was man von den restlichen drei Teams der Gruppe A nicht behaupten kann. Die Türkei spielte zwar eine Stunde lang sehr geordnet mit einer guten Raumaufteilung, war im Spiel nach vorne aber erschreckend harmlos.

Tuncay lieferte sein wohl schlechtestes Spiel im Nationaltrikot ab, Nihat war als einzige Spitze isoliert und im Mittelfeld fehlte ein Ballverteiler wie der von Trainer Fatih Terim aussortierte Yildiray Bastürk.

Die Schweiz stagniert

Auch die Tschechen konnten trotz des Sieges im Auftaktspiel gegen die Schweiz nicht überzeugen. Recht planlos vorgetragene Angriffe, lediglich Sionko auf rechts sorgte für Belebung. Aber wer gewinnt, hat eigentlich alles richtig gemacht.

Das hat die Schweiz nach Meinung ihres Trainers Köbi Kuhn auch, abgesehen von der eklatant schwachen Chancenverwertung. Vonlanthens Lattenschuss aus fünf Metern steht jedoch sinnbildlich für die Stagnation der jungen Generation der Eidgenossen.

Die Schweiz hat sich seit der WM 2006 keinen Schritt nach vorne bewegt und mit Alex Frei (Teilabriss des Innenbandes im linken Knie) fällt der Mann aus, der als einziger Tore produzieren kann. Marco Streller im Sturmzentrum ist ein schlechter Witz.

Das Drama um Alex Frei in Bildern

Schon gegen die Türkei am Mittwoch geht es für den Co-Gastgeber um den Turnier-Verbleib. Kuhn sollte seine Taktik überdenken, das System mit zwei Stürmern ist ohne Frei unbrauchbar. Die besten Spieler hat die Schweiz ohnehin im 4-5-1 gemacht. 

Für die Stimmung in der Schweiz war die Pleite gegen Tschechien und Freis Verletzung Gift. Wenn es überhaupt so was wie EM-Euphorie gab, ist sie seit Samstag weg. Schlechtes Wetter, halbleere Fanmeilen - der komplette Gegenentwurf zur WM 2006 in Deutschland.

Ein Segen, dass es wenigstens in Neuchatel Durchgeknallte gibt.

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