Schwächelnde Pay-per-View-Zahlen und die Kämpfe der jüngeren Vergangenheit haben dem Image Manny Pacquiaos gleich mehrere Risse zugefügt. Der in der Politik aktive Boxer, der sich zudem um soziale Hilfsprojekte auf den Philippinen kümmert, habe seinen Fokus verloren, es fehle die unglaubliche Dynamik vergangener Tage, so die Aussagen der gewachsenen Anzahl an Kritikern.
Doch damit nicht genug. Auch von der Aggressivität, die gepaart mit seiner Schlagkraft und Geschwindigkeit für einen Sieg nach dem anderen gesorgt hatte, sei nicht mehr viel übrig. Ist der einst als perfekte Kampfmaschine titulierte Pacquiao tatsächlich auf dem absteigenden Ast oder trügt das in den vergangenen Monaten skizzierte Bild?
Zeit bringt Veränderungen
Lässt man die letzten Fights des Weltergewichts-Weltmeisters der WBO Revue passieren, so fällt in der Tat auf, dass sich der 36-Jährige im Ring verändert hat. Jeder Kämpfer durchläuft mit der Zeit Veränderungen in Stil und Auftreten. Entscheidend ist deshalb allein die Frage, ob die positiven oder negativen Aspekte überwiegen. Im Falle Pacquiaos ist eine klare Zuordnung allerdings in der Tat schwierig.
Richtig ist, dass der ehemals gefürchtete Filipino, der im Ring unnachgiebig arbeitet, nunmehr seit fünfeinhalb Jahren auf einen vorzeitigen Sieg wartet. Den letzten verbuchte er im November 2009 bei der beeindruckenden Machtdemonstration gegen Miguel Cotto. Ein Umstand, der nicht von der Hand zu weisen ist und der für sich genommen bereits ordentlich Wasser auf die Mühlen vieler Kritiker spült.
"Er hatte einfach nicht mehr diesen Killerinstinkt. Das war es, was mir am meisten auffiel", attestierte sein ehemaliger Kontrahent Timothy Bradley, der zweimal mit dem Mann von den Philippinen im Ring stand, nach dem Sieg Pacquiaos gegen Brandon Rios im November 2013: "Ich denke, dass er einfach nicht mehr über den Hunger, den er früher hatte, verfügt. Dieser wird nicht wieder zurückkehren."
Geradezu zaghaft habe er gewirkt, so Bradley weiter. Die Sichtweise des US-Amerikaners, der kurze Zeit später im Rückkampf mit Pacquiao untergehen sollte, ist zwar nachvollziehbar, allerdings auch äußerst eindimensional.
Lehrgeld im Hinterkopf
Schließlich war es eben jener unbändige Offensivdrang, der Pacquiao vor etwas als mehr zwei Jahren die brutale Knockout-Niederlage gegen Juan Manuel Marquez einbrachte. Durch das unerbittliche Nachsetzen sowie eine oftmals zu große Selbstsicherheit war ein nach vorne marschierender Pacquiao über seine gesamte Karriere leichter zu treffen als etwa ein Defensivspezialist wie Mayweather, der über seine Reflexe und sein Geschick einen Weg in den Kampf sucht.
So attraktiv seine Art zu Boxen für Zuschauer auch sein mag und so erfolgreich sie in der Vergangenheit war, so riskant ist sie. Der Kampf gegen Marquez dient als perfektes Beispiel. Eine Rechte des Mexikaners hatte den Favoriten im Dezember 2012 bereits in Runde drei zu Boden geschickt. Der Filipino erholte sich jedoch und war im Anschluss drauf und dran das Duell zu seinen Gunsten zu drehen. Ein Knockdown seines Gegners in Runde fünf schien die endgültige Wende zu markieren, die alte Sicherheit war wieder zu spüren.
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Auch der Wille, es zu Ende zu bringen war da - und wurde ihm letztlich zum Verhängnis. Durch seinen Angriffszwang, der zu diesem Zeitpunkt völlig unnötig war, lief er in Runde sechs mehr oder weniger sehenden Auges ins Verderben und fand sich von einer Sekunde auf die andere ausgeknockt sowie mit dem Gesicht nach unten auf dem Ringboden wieder. "Wenn er aggressiv ist, schlägt er oft ohne auf Konter zu achten", sagte Marquez im Anschluss: "Das ist ein großes Problem."
Dass Pacquiao zu diesem späten Zeitpunkt seiner Karriere noch solch ein hohes Lehrgeld bezahlen musste, ist bezeichnend, könnte sich im Gegenzug jedoch als äußerst hilfreich erweisen. Denn trotz der fünften Niederlage seiner Karriere sind seine Qualitäten unbestritten.
Eine einmalige Entwicklung
In der gesamten Geschichte des Boxens gab es wohl keinen Linkshänder, der seinen Stil auf ein ähnliches Level bringen konnte. Kaum jemand vermag es Möglichkeiten auf eine vergleichbare Art und Weise zu schaffen, aus so vielen ungewöhnlichen Winkeln zu schlagen und gleichzeitig sämtliche Tricks eines Normalauslegers zu beherrschen. "Ich bin anders als die anderen 47", so Pacquiao: "Deshalb wird Mayweather verlieren."
Auch mit inzwischen 36 Jahren auf dem Buckel verfügt er über Fähigkeiten, für die andere Boxer ihre Seele geben würden. Der Ausgangspunkt seines entscheidenden Entwicklungsschrittes war dabei ebenfalls eine Niederlage. Denn die Pleite gegen Erik Morales vor knapp einer Dekade muss als Anfang des Aufstiegs in die Weltelite gesehen werden.
Freddie Roach, mit dem er bis heute zusammenarbeitet, hatte die Schwachstellen deutlich aufgezeigt bekommen. Die Folge: Sein Schützling sollte mehr Balance in seinem Stil erhalten, für seine Gegner unberechenbar werden und sich vor allem vom konventionellen Rechtsausleger, der er auf technischer Ebene trotz seiner sonstigen Qualitäten zum damaligen Zeitpunkt war, abheben. Um dies zu erreichen, stand die Arbeit an der Rechten im Fokus des siebenmaligen Trainer des Jahres.
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Vom Alibi-Schlag zur Waffe
"Roach wies Pacquiao an, Jabs, Uppercuts und Haken in Drei-Vier-Kombinationen zu nutzen - und zwar alle mit der rechten Hand", beschrieb Greg Bishop einst die Maßnahmen des 55-jährigen Coaches in der New York Times: "Es hat drei Jahre gedauert, allerdings stand danach gegen David Diaz ein anderer Kämpfer im Ring." Unter anderem Ricky Hatton und Oscar De La Hoya, könne davon ein Lied singen, so Bishop weiter.
Während die schwache Hand des Pacman bis zum Morales-Kampf lediglich alibihaft eingesetzt wurde, gehört sie inzwischen zu einer der größten Waffen. Sie ist weit mehr als nur eine Überraschung für Normalausleger, die der Linken aus dem Weg gehen wollen.
Nahezu beidhändig zu sein, erhöht das Potential eines Boxers immens. Entscheidend ist dafür die Grundlage der Maximierung der eigenen Schlagkraft. Die Power in den Fäusten geht nicht allein von einem Akteur aus. Will ein Kämpfer seinen Gegner möglichst hart treffen, muss der offensive Akteur dafür sorgen, dass sich der Gegner im Idealfall in Richtung des Schlages bewegt.
Erfolgt die Bewegung in die entgegengesetzte Richtung, so hat der Treffer deutlich weniger Wirkung. Die letztlich wirkende Kraft eines Schlages resultiert deshalb aus einem Zusammenspiel beider Kämpfer. "Jemand auszuknocken muss nicht zwangsläufig etwas mit Kraft zu tun haben", erläutert auch Bob Arum: "Es hat vor allem etwas mit Timing, Positionierung und Bewegung zu tun." Der Vergleich mit einem Boxsack, der sich in einer Pendelbewegung befindet, offenbart dies eindrucksvoll.
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