Wie wirkt sich die Niederlage auf Klitschkos Platz in der Geschichte aus?
Die Zahlen seiner Karriere sprechen für sich. Neun Jahre und 222 Tage hatte Klitschko bis zum Duell mit Fury an der Spitze des Schwergewichts verbracht und dabei seine Titel 18 Mal in Folge verteidigt. Seit seiner letzten Niederlage im April des Jahres 2004 waren gar mehr als elfeinhalb Jahre vergangen. Insgesamt trug er elf Jahre und 367 Tage - drei Schaltjahre inklusive - den Titel als Herrscher des Schwergewichts.
Blickt man zudem rein auf die Zeit, die er zuletzt als Champion auf dem Buckel hatte, gab es nur einen Boxer, der vor ihm stand: Louis. Die Legende aus den Vereinigten Staaten stand mit einer Regentschaft von elf Jahren und acht Monaten sowie 25 Titelverteidigungen in Folge zwar noch unangefochten an der Spitze. Unerreichbar für Klitschko schien allerdings selbst der "Brown Bomber" und dessen Rekord nicht mehr zu sein.
Natürlich kann angesichts großer Kämpfe der Vergangenheit und Namen wie beispielsweise Muhammad Ali, Joe Frazier, George Foreman, Mike Tyson, Evander Holyfield oder auch Rocky Marciano die Zeit einer Regentschaft nicht als alleiniger Gradmesser für die Bedeutung einer Karriere dienen. Dennoch verdient sie als großartige Leistung Anerkennung.
Thrilla in Manila - Ali vs. Frazier: Es war Krieg
Bei Klitschko offenbarte sie allerdings im Gegenzug ebenso die wohl größte Problematik seiner Karriere. Epische Schlachten gegen ebenbürtige Gegner - wie beispielsweise die Alis gegen Frazier oder Foreman - hat er folglich nicht vorzuweisen. Dafür war das Muster zuletzt immer gleich. Ein Herausforderer nach dem anderen trat im Vorfeld mit einer großen Klappe auf und kündigte an, den Champion zu entthronen. Alle scheiterten - teils kläglich.
"Er hat das große Pech, in einer Ära zu boxen, in der ernsthafte Gegner einfach nicht vorhanden sind", brachte es Lewis im Interview mit der Welt auf den Punkt: "Es fehlen die großen Namen, die ganz großen Kämpfe." Dass aus der daraus resultierenden Dominanz schnell Langeweile resultieren kann, dürfte wohl dem einen oder anderen Fußballfan, der sich dieser Tage die Bundesligaspiele des FC Bayern München zu Gemüte führt, durchaus auffallen. Sogenanntes "Cherry Picking" betrieb Klitschko zudem keines.
Einzig ein Duell mit seinem Bruder, welches wohl für Rekorde en masse gesorgt hätte und das von den Boxfans auf der ganzen Welt nahezu herbeigesehnt wurde, gab es nicht. Die Gründe dafür sind allerdings ebenso tiefgreifend, wie verständlich. Eine Entscheidung, die nachvollziehbar ist und deshalb nicht in Frage gestellt werden sollte.
Selbst das Auftreten des Mannes, der laut eigener Aussagen selbst mal "ein Rebell" gewesen sei, lässt eigentlich keinen Spielraum für Kritik. Es war und ist stets skandalfrei, intelligent und höflich. Eine Seltenheit im Boxen. Er weiß um seine Rolle als Vorbild. Kritiker bezeichnen Klitschko deshalb gerne als kalt sowie berechnend - und zuweilen als langweiligen Sicherheitsboxer. Das Image als Roboter haftete ihm seit Jahren an. Es wird ihm jedoch nicht gerecht. Hinter dem Boxer steht ein Mensch.
Ein Mensch, der sein ganzes Leben dem Boxen widmet, der große Freude an seiner Arbeit hat und dem die Erfolge im Ring Recht geben. Dessen Professionalität, die im Sport andernorts gern so oft gefordert wird, und die der Grundstein seines boxerischen Vermächtnisses darstellt, jedoch viele dazu bewegt, ihn zu diskreditieren.
Klitschko vs. Fury: Die SPOX-Analyse zum Kampf
Was viele beim Drang, unterhalten zu werden, jedoch vergessen: Klitschko ist kein Clown im Zirkus, der für Belustigung sorgen soll. Er ist Profisportler. Er riskiert seine Gesundheit, sein Stil schützt ihn und sorgt für Rekorde. Ob er die Zuschauer zufriedenstellt, ist sekundär.
Fasst man Klitschkos Karriere zusammen und bezieht seine Entwicklung nach der Niederlage gegen Brewster mit ein, dann wäre es fahrlässig, ihm aufgrund des Rückschlags gegen Fury das gesamte Lebenswerk abzusprechen. Der Ukrainer stürzte in seiner Karriere mehrfach, stand aber immer wieder auf. Deshalb bietet ihm die Niederlage vom Samstag gleichzeitig auch eine weitere Chance. Nutzt er sie, wäre ihm diese Leistung erneut hoch anzurechnen. Wer ihn also bereits abschreibt, der macht vielleicht einen schweren Fehler.
In der Geschichte war vor Klitschko schon so mancher Favorit tief gefallen, nicht jeder kam zurück. Dennoch steht fest: Fans erinnern sich eher an große Kämpfe als an nackte Zahlen.
Seite 1: Was bedeutet die Niederlage für Klitschko?
Seite 2: Welche Schuld trifft das Team des ehemaligen Weltmeisters
Seite 3: Was bedeutet Furys Triumph für das Schwergewicht
Seite 4: Wie wirkt sich die Niederlage auf Klitschkos Platz in der Geschichte aus?