NBA

"Magic Johnson ist der falsche Traum"

Marin Sedlacek (l.) hat großen Anteil an den Karrieren von Nowitzki, Schröder und Parker
© getty

Ohne ihn wären Dirk Nowitzki und Dennis Schröder womöglich nie oder erst spät gedraftet worden, dennoch kennen ihn nur Insider. Marin Sedlacek ist die Eminenz der Scouting-Szene und ebnet den Supertalenten den Weg in die NBA. Dabei scheut die serbische Scouting-Legende kein hartes Urteil - auch nicht über Bayern-Profi Micic, den er selbst seinem Klub Philadelphia empfohlen hatte. Sedlacek über die Deutschen mit Ambitionen, die Draft-Logiken innerhalb der NBA und den wundersamen Aufstieg von Tony Parker.

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SPOX: Herr Sedlacek, in der Öffentlichkeit sind Sie fast gänzlich unbekannt, doch wer in der Szene nachfragt, hört erstaunliches. Sie wären der "europäische Draft-Guru" und der vielleicht größte Experte des internationalen Nachwuchs-Basketballs. Was halten Sie davon?

Marin Sedlacek: Ob ich der größte oder beste Was-auch-immer bin, weiß ich nicht. Allerdings wäre es peinlich, wenn ich mich nicht auskennen würde. Ich war zunächst 25 Jahre in den verschiedensten Altersklassen, von der Jugend bis zu den Profis, als Coach tätig. Und seit 2003 beobachte ich zusätzlich für NBA-Teams den internationalen Markt. Von daher: Das Kompliment freut mich - wobei es nicht so schwer ist, sich auszukennen, wenn man so lange dabei ist. Ich hatte immer einen Vorteil: Ich durfte als Coach in den letzten Jahrzehnten mit vielen Stars arbeiten, als sie noch jünger waren. Das ist immens wichtig für die Wahrnehmung. Warum hat es das eine Talent geschafft und warum nicht das andere? Was bedeutet Potenzial? Welche Fähigkeiten lassen sich erlernen und welche nicht? Diese Erfahrungswerte helfen mir extrem bei der Evaluierung von Basketballern und geben mir vielleicht einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Scouts.

Die zehn kuriosesten Geschichten der Draft-Historie

SPOX: Eine Ihrer wichtigsten Aufgaben ist es, die internationalen Spieler für das jährlich stattfindende "Nike Hoop Summit" vorzuschlagen und diese beim Duell der besten Talente aus dem Rest der Welt gegen die USA als Assistant zu coachen. Das Hoop Summit ist die wichtigste Veranstaltung für Europäer, sich den NBA-Teams für den Draft anzubieten, so wie es 1998 Dirk Nowitzki geglückt ist. Stimmt es aber, dass Nowitzki beinahe nicht hätte teilnehmen können?

Sedlacek: Ich bin im März 1998 nach Würzburg gereist, um mir Dirk anzuschauen und mit seinem Mentor Holger Geschwindner zu sprechen, dass ich ihn gerne beim Hoop Summit sehen würde. Holger antwortete, dass es eigentlich nicht ginge, weil Würzburg um den Aufstieg in die Bundesliga kämpft und Dirk nicht weg könnte. Es gab nur einen Kompromiss: Dirk reist nach, so dass er nicht am Montag oder Dienstag beim Training der Welt-Auswahl einsteigt, sondern erst am Mittwoch. Das große Problem war, dass sich der damalige Head Coach Sandro Gamba trotzdem weigerte, Nowitzki dabei zu haben. Aus Trainer-Sicht hatte er Recht: Man verfügt nur über eine Woche, um eine Ansammlung von zehn bis zwölf Basketballern aus aller Welt, die noch nie zusammengespielt haben, zu einem Team zu formen, so dass sie es gegen die besten Talente der USA aufnehmen können. Und dann kommt Dirk einfach mal später und verpasst die Hälfte der Einheiten. Daher mussten wir einiges an Überzeugungsarbeit investieren und uns Entschuldigungen einfallen lassen, um Gamba dahinzubringen, Dirk zu akzeptieren.

SPOX: Ohne das Hoop-Summit-Spiel wäre Nowitzki von den Dallas Mavericks womöglich gar nicht oder niemals so hoch gedraftet worden. Seine 33 Punkte und 14 Rebounds waren lange Jahre unerreicht und machten Nowitzki erst richtig bekannt bei den Scouts.

Sedlacek: Das beweist, wie sehr der Zufall eine Rolle spielt. Seine Nominierung hatte auf der Kippe gestanden und dass er überhaupt so viel Einsatzzeit erhielt, war eine glückliche Fügung für ihn. Es kam einiges zusammen, denn normalerweise sollen die meisten Spieler ähnlich viele Minuten erhalten. Nur im 98er Spiel lief es so, dass bei der Welt-Auswahl auf den großen Positionen erst Dan Gadzuric verletzt raus musste, dann Luis Scola ausgefoult wurde. Daher blieb Dirk 30 Minuten auf dem Court, was außergewöhnlich viel war. Andererseits muss man die Spielzeit erstmal so gut nutzen wie Dirk. (lacht)

Guard-Prospects: Schau' mal vorbei, Leo Messi!

SPOX: 1998 hatten sehr viele Big Men am Hoop Summit teilgenommen, die später gedraftet wurden: Nowitzki, Gadzuric, Scola, zudem Antonis Fotsis und Darius Songaila auf Seiten der Welt-Auswahl sowie Al Harrington, Rashard Lewis und Stromile Swift auf Seiten der USA. War das ein besonderes Jahr?

Sedlacek: Nein, wenn ich ein besonders Jahr herausstellen müsste, dann ist es 2013. Wenn wir Karl-Anthony Towns dazuzählen, wurden sieben der elf Spieler aus der Welt-Auswahl gedraftet: Andrew Wiggins, Dante Exum, Joel Embiid, Jean-Charles Livio, Dennis Schröder, Sergey Karasev und dieses Jahr Towns. Vor allem freute es mich, dass Schröder und Karasev gezogen wurden, weil Deutschland und Russland so selten beim Draft vertreten sind. Doch nicht nur wegen des Talents war der Jahrgang einzigartig, sondern auch wegen der Teamchemie. Man darf nie vergessen: Bei den USA kennen sich die Spieler, sei es aus der Jugendnationalmannschaft oder den High-School-Auswahlteams. Die internationalen Spieler hingegen wurden zusammengesammelt und sollen innerhalb einer Woche als Einheit zusammenwachsen. Das ist bei diesen Spielern so gut geglückt wie selten. Daher kam der Sieg gegen die USA nicht so überraschend.

SPOX: Ähnliche Geschichte wie bei Nowitzki: Ohne seine 18 Punkte und 6 Assists hätte Schröder womöglich keine Beachtung in der ersten Draft-Runde gefunden. Sie waren einer der größten Befürworter von ihm, damit er für den Hoop Summit nominiert wird.

Sedlacek: Ich sagte meinem Arbeitgeber, den Philadelphia 76ers, schon sehr früh, dass mich Dennis sehr an Rajon Rondo erinnert. Das war lange bevor die Medien das aufgriffen. Ich fand ihn sehr spannend und um ihn mir live anzuschauen, reiste ich Ende 2012 nach München, wo Braunschweig ein Spiel hatte. Braunschweig gewann gegen die Bayern und Dennis machte 13 Punkte. Spätestens da wusste ich, dass es Dennis schaffen könnte. Danach war ich häufiger in Braunschweig, um ihn zu beobachten und ihn zum Hoop Summit einzuladen. Das Problem war, dass seinem damaligen Coach in Braunschweig die Idee nicht so gut gefiel und er Dennis nicht die Erlaubnis geben wollte, vor dem Ende der Saison in die USA zu fliegen. Deswegen mussten Dennis' Berater Ademola Okulaja und ich ganz schön viel Kraft investieren, um die Erlaubnis zu bekommen.

SPOX: Wie verlief beim Hoop Summit die Woche mit Schröder?

Sedlacek: Nach den ersten Trainingseinheiten kamen die Coaches des US-Teams zu mir und sagten: "Schröder is not ready." Im Spiel war Dennis allerdings so gut, wie ich ihn erwartet hatte.

Der NBA-Draft: Die sozialste Seite Amerikas

SPOX: Schröder ist eine der großen Ausnahmen: Üblicherweise werden aus Europa eher Big Men als die kleinen Spieler gedraftet. Gibt es eine strukturelle Begründung dafür?

Sedlacek: Ja, wobei das kein spezifisches Draft-Phänomen ist, sondern ein generelles Problem widerspiegelt: Ganz Europa hat Probleme, gute Point Guards zu entwickeln. Oder anders formuliert: Viele Talente, die in Europa auf der Point-Guard-Position spielen, sind gar keine Point Guards.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Sedlacek: Es geht um Leadership. Nehmen wir die großen Spieler: Sie schaffen es häufiger in die NBA, weil sie wegen der Position, die sie spielen, keine Anführer sein müssen. Wenn sie die richtige Größe und Physis mitbringen, erfüllen sie bereits eine wichtige Voraussetzung für die NBA. Bei den Point Guards ist es deutlich schwieriger. Ein Trainer muss schon in der Jugend jemanden finden, der ein Anführer ist. Und wenn der Anführer Spielmacher-Qualitäten mitbringt, könnte es einer sein. Aber auch nur dann. Das Grundproblem: Selbst bei den Point Guards wird nicht primär auf das Leadership geachtet, sondern als erstes auf die Größe. Viele Trainer und Scouts beachten nur Point Guards, die mindestens 1,90 bis 1,93 Meter groß sind. Ich glaube, das hängt mit dem Hype seit Ende der 80er Jahre zusammen. In den letzten 25 Jahren will jeder den nächsten Magic Johnson entdecken. Dabei war Magic einzigartig. Statt auf die Größe sollte man wieder mehr auf die wahre Qualität eines Point Guards achten.

SPOX: Gegenthese: In den 2000er Jahren erlebte der europäische Basketball die goldene Ära der großen Point Guards mit Theodoros Papaloukas, Dimitrios Diamantidis, Marko Jaric, Zoran Planicic und vielen mehr.

Sedlacek: Wenn wir ehrlich sind: Sie alle haben es in der NBA nicht geschafft beziehungsweise sie haben es nicht einmal versucht. Und sie waren erst recht weit davon entfernt, ein Championship-Team zu prägen. Daher sollte man nicht den nächsten Magic suchen, das ist der falsche Traum. Man sollte einen realistischen Traum verfolgen und den nächsten Tony Parker finden.

SPOX: Tony Parker?

Sedlacek: Viele erinnern sich nicht mehr daran: Bei Tony schrie nicht alles nach NBA. Er war nicht besonders groß oder athletisch. Er besaß dafür Leadership und Charakter - und ein gesundes Maß an Selbsteinschätzung. Sein großes Ziel beim Hoop Summit 2000 war es, sich für ein College interessant zu machen. Er dachte daran, in die USA zu ziehen, vielleicht in die Nähe von Chicago, wo sein Vater herkommt und viele Verwandte wohnen. Doch dann erzielt er beim Hoop Summit 20 Punkte und wird drei Monate später mit Frankreich U-18-Europameister und zum MVP ernannt. Und obwohl kaum jemand in ihm NBA-Potenzial sah, wurde er 2001 von Gregg Popovich gedraftet.

SPOX: Damals schüttelten die meisten Experten den Kopf ob der Entscheidung der Spurs, mit dem 28. Pick einen schmächtigen Franzosen zu draften, der selbst in seiner Heimat kaum bekannt war. Wie erlebten Sie die Skepsis der NBA gegenüber europäischen Spielern, als Sie 2003 bei den Memphis Grizzlies anfingen?

Sedlacek: Memphis war wie San Antonio der Zeit voraus. Vor allem dank Jerry West, der bewusst einen internationalen Flavour in die Franchise einbringen wollte. Schon 2001 wurde Pau Gasol gedraftet, sein Bruder Marc kam per Trade und spielte 2008 seine Rookie-Saison bei den Grizzlies. Wobei Memphis ein Beispiel dafür ist, wie die Philosophie von Einzelnen abhängt. Als Jerry West ging, entstand eine neue Situation und die Mentalität der Franchise ging wieder weg von Europa.

Seite 1: Sedlacek über die Entwicklung von Nowitzki, Schröder und Parker

Seite 2: Sedlacek über die Europaskepsis der NBA und Chancen deutscher Talente

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