Ohne ihn wären Dirk Nowitzki und Dennis Schröder womöglich nie oder erst spät gedraftet worden, dennoch kennen ihn nur Insider. Marin Sedlacek ist die Eminenz der Scouting-Szene und ebnet den Supertalenten den Weg in die NBA. Dabei scheut die serbische Scouting-Legende kein hartes Urteil - auch nicht über Bayern-Profi Micic, den er selbst seinem Klub Philadelphia empfohlen hatte. Sedlacek über die Deutschen mit Ambitionen, die Draft-Logiken innerhalb der NBA und den wundersamen Aufstieg von Tony Parker.
spoxSPOX: Herr Sedlacek, in der Öffentlichkeit sind Sie fast gänzlich unbekannt, doch wer in der Szene nachfragt, hört erstaunliches. Sie wären der "europäische Draft-Guru" und der vielleicht größte Experte des internationalen Nachwuchs-Basketballs. Was halten Sie davon?
Marin Sedlacek: Ob ich der größte oder beste Was-auch-immer bin, weiß ich nicht. Allerdings wäre es peinlich, wenn ich mich nicht auskennen würde. Ich war zunächst 25 Jahre in den verschiedensten Altersklassen, von der Jugend bis zu den Profis, als Coach tätig. Und seit 2003 beobachte ich zusätzlich für NBA-Teams den internationalen Markt. Von daher: Das Kompliment freut mich - wobei es nicht so schwer ist, sich auszukennen, wenn man so lange dabei ist. Ich hatte immer einen Vorteil: Ich durfte als Coach in den letzten Jahrzehnten mit vielen Stars arbeiten, als sie noch jünger waren. Das ist immens wichtig für die Wahrnehmung. Warum hat es das eine Talent geschafft und warum nicht das andere? Was bedeutet Potenzial? Welche Fähigkeiten lassen sich erlernen und welche nicht? Diese Erfahrungswerte helfen mir extrem bei der Evaluierung von Basketballern und geben mir vielleicht einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Scouts.
Die zehn kuriosesten Geschichten der Draft-Historie
SPOX: Eine Ihrer wichtigsten Aufgaben ist es, die internationalen Spieler für das jährlich stattfindende "Nike Hoop Summit" vorzuschlagen und diese beim Duell der besten Talente aus dem Rest der Welt gegen die USA als Assistant zu coachen. Das Hoop Summit ist die wichtigste Veranstaltung für Europäer, sich den NBA-Teams für den Draft anzubieten, so wie es 1998 Dirk Nowitzki geglückt ist. Stimmt es aber, dass Nowitzki beinahe nicht hätte teilnehmen können?
Sedlacek: Ich bin im März 1998 nach Würzburg gereist, um mir Dirk anzuschauen und mit seinem Mentor Holger Geschwindner zu sprechen, dass ich ihn gerne beim Hoop Summit sehen würde. Holger antwortete, dass es eigentlich nicht ginge, weil Würzburg um den Aufstieg in die Bundesliga kämpft und Dirk nicht weg könnte. Es gab nur einen Kompromiss: Dirk reist nach, so dass er nicht am Montag oder Dienstag beim Training der Welt-Auswahl einsteigt, sondern erst am Mittwoch. Das große Problem war, dass sich der damalige Head Coach Sandro Gamba trotzdem weigerte, Nowitzki dabei zu haben. Aus Trainer-Sicht hatte er Recht: Man verfügt nur über eine Woche, um eine Ansammlung von zehn bis zwölf Basketballern aus aller Welt, die noch nie zusammengespielt haben, zu einem Team zu formen, so dass sie es gegen die besten Talente der USA aufnehmen können. Und dann kommt Dirk einfach mal später und verpasst die Hälfte der Einheiten. Daher mussten wir einiges an Überzeugungsarbeit investieren und uns Entschuldigungen einfallen lassen, um Gamba dahinzubringen, Dirk zu akzeptieren.
SPOX: Ohne das Hoop-Summit-Spiel wäre Nowitzki von den Dallas Mavericks womöglich gar nicht oder niemals so hoch gedraftet worden. Seine 33 Punkte und 14 Rebounds waren lange Jahre unerreicht und machten Nowitzki erst richtig bekannt bei den Scouts.
Sedlacek: Das beweist, wie sehr der Zufall eine Rolle spielt. Seine Nominierung hatte auf der Kippe gestanden und dass er überhaupt so viel Einsatzzeit erhielt, war eine glückliche Fügung für ihn. Es kam einiges zusammen, denn normalerweise sollen die meisten Spieler ähnlich viele Minuten erhalten. Nur im 98er Spiel lief es so, dass bei der Welt-Auswahl auf den großen Positionen erst Dan Gadzuric verletzt raus musste, dann Luis Scola ausgefoult wurde. Daher blieb Dirk 30 Minuten auf dem Court, was außergewöhnlich viel war. Andererseits muss man die Spielzeit erstmal so gut nutzen wie Dirk. (lacht)
Guard-Prospects: Schau' mal vorbei, Leo Messi!
SPOX: 1998 hatten sehr viele Big Men am Hoop Summit teilgenommen, die später gedraftet wurden: Nowitzki, Gadzuric, Scola, zudem Antonis Fotsis und Darius Songaila auf Seiten der Welt-Auswahl sowie Al Harrington, Rashard Lewis und Stromile Swift auf Seiten der USA. War das ein besonderes Jahr?
Sedlacek: Nein, wenn ich ein besonders Jahr herausstellen müsste, dann ist es 2013. Wenn wir Karl-Anthony Towns dazuzählen, wurden sieben der elf Spieler aus der Welt-Auswahl gedraftet: Andrew Wiggins, Dante Exum, Joel Embiid, Jean-Charles Livio, Dennis Schröder, Sergey Karasev und dieses Jahr Towns. Vor allem freute es mich, dass Schröder und Karasev gezogen wurden, weil Deutschland und Russland so selten beim Draft vertreten sind. Doch nicht nur wegen des Talents war der Jahrgang einzigartig, sondern auch wegen der Teamchemie. Man darf nie vergessen: Bei den USA kennen sich die Spieler, sei es aus der Jugendnationalmannschaft oder den High-School-Auswahlteams. Die internationalen Spieler hingegen wurden zusammengesammelt und sollen innerhalb einer Woche als Einheit zusammenwachsen. Das ist bei diesen Spielern so gut geglückt wie selten. Daher kam der Sieg gegen die USA nicht so überraschend.
SPOX: Ähnliche Geschichte wie bei Nowitzki: Ohne seine 18 Punkte und 6 Assists hätte Schröder womöglich keine Beachtung in der ersten Draft-Runde gefunden. Sie waren einer der größten Befürworter von ihm, damit er für den Hoop Summit nominiert wird.
Sedlacek: Ich sagte meinem Arbeitgeber, den Philadelphia 76ers, schon sehr früh, dass mich Dennis sehr an Rajon Rondo erinnert. Das war lange bevor die Medien das aufgriffen. Ich fand ihn sehr spannend und um ihn mir live anzuschauen, reiste ich Ende 2012 nach München, wo Braunschweig ein Spiel hatte. Braunschweig gewann gegen die Bayern und Dennis machte 13 Punkte. Spätestens da wusste ich, dass es Dennis schaffen könnte. Danach war ich häufiger in Braunschweig, um ihn zu beobachten und ihn zum Hoop Summit einzuladen. Das Problem war, dass seinem damaligen Coach in Braunschweig die Idee nicht so gut gefiel und er Dennis nicht die Erlaubnis geben wollte, vor dem Ende der Saison in die USA zu fliegen. Deswegen mussten Dennis' Berater Ademola Okulaja und ich ganz schön viel Kraft investieren, um die Erlaubnis zu bekommen.
SPOX: Wie verlief beim Hoop Summit die Woche mit Schröder?
Sedlacek: Nach den ersten Trainingseinheiten kamen die Coaches des US-Teams zu mir und sagten: "Schröder is not ready." Im Spiel war Dennis allerdings so gut, wie ich ihn erwartet hatte.
Der NBA-Draft: Die sozialste Seite Amerikas
SPOX: Schröder ist eine der großen Ausnahmen: Üblicherweise werden aus Europa eher Big Men als die kleinen Spieler gedraftet. Gibt es eine strukturelle Begründung dafür?
Sedlacek: Ja, wobei das kein spezifisches Draft-Phänomen ist, sondern ein generelles Problem widerspiegelt: Ganz Europa hat Probleme, gute Point Guards zu entwickeln. Oder anders formuliert: Viele Talente, die in Europa auf der Point-Guard-Position spielen, sind gar keine Point Guards.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Sedlacek: Es geht um Leadership. Nehmen wir die großen Spieler: Sie schaffen es häufiger in die NBA, weil sie wegen der Position, die sie spielen, keine Anführer sein müssen. Wenn sie die richtige Größe und Physis mitbringen, erfüllen sie bereits eine wichtige Voraussetzung für die NBA. Bei den Point Guards ist es deutlich schwieriger. Ein Trainer muss schon in der Jugend jemanden finden, der ein Anführer ist. Und wenn der Anführer Spielmacher-Qualitäten mitbringt, könnte es einer sein. Aber auch nur dann. Das Grundproblem: Selbst bei den Point Guards wird nicht primär auf das Leadership geachtet, sondern als erstes auf die Größe. Viele Trainer und Scouts beachten nur Point Guards, die mindestens 1,90 bis 1,93 Meter groß sind. Ich glaube, das hängt mit dem Hype seit Ende der 80er Jahre zusammen. In den letzten 25 Jahren will jeder den nächsten Magic Johnson entdecken. Dabei war Magic einzigartig. Statt auf die Größe sollte man wieder mehr auf die wahre Qualität eines Point Guards achten.
SPOX: Gegenthese: In den 2000er Jahren erlebte der europäische Basketball die goldene Ära der großen Point Guards mit Theodoros Papaloukas, Dimitrios Diamantidis, Marko Jaric, Zoran Planicic und vielen mehr.
Sedlacek: Wenn wir ehrlich sind: Sie alle haben es in der NBA nicht geschafft beziehungsweise sie haben es nicht einmal versucht. Und sie waren erst recht weit davon entfernt, ein Championship-Team zu prägen. Daher sollte man nicht den nächsten Magic suchen, das ist der falsche Traum. Man sollte einen realistischen Traum verfolgen und den nächsten Tony Parker finden.
SPOX:Tony Parker?
Sedlacek: Viele erinnern sich nicht mehr daran: Bei Tony schrie nicht alles nach NBA. Er war nicht besonders groß oder athletisch. Er besaß dafür Leadership und Charakter - und ein gesundes Maß an Selbsteinschätzung. Sein großes Ziel beim Hoop Summit 2000 war es, sich für ein College interessant zu machen. Er dachte daran, in die USA zu ziehen, vielleicht in die Nähe von Chicago, wo sein Vater herkommt und viele Verwandte wohnen. Doch dann erzielt er beim Hoop Summit 20 Punkte und wird drei Monate später mit Frankreich U-18-Europameister und zum MVP ernannt. Und obwohl kaum jemand in ihm NBA-Potenzial sah, wurde er 2001 von Gregg Popovich gedraftet.
SPOX: Damals schüttelten die meisten Experten den Kopf ob der Entscheidung der Spurs, mit dem 28. Pick einen schmächtigen Franzosen zu draften, der selbst in seiner Heimat kaum bekannt war. Wie erlebten Sie die Skepsis der NBA gegenüber europäischen Spielern, als Sie 2003 bei den Memphis Grizzlies anfingen?
Sedlacek: Memphis war wie San Antonio der Zeit voraus. Vor allem dank Jerry West, der bewusst einen internationalen Flavour in die Franchise einbringen wollte. Schon 2001 wurde Pau Gasol gedraftet, sein Bruder Marc kam per Trade und spielte 2008 seine Rookie-Saison bei den Grizzlies. Wobei Memphis ein Beispiel dafür ist, wie die Philosophie von Einzelnen abhängt. Als Jerry West ging, entstand eine neue Situation und die Mentalität der Franchise ging wieder weg von Europa.
Seite 1: Sedlacek über die Entwicklung von Nowitzki, Schröder und Parker
Seite 2: Sedlacek über die Europaskepsis der NBA und Chancen deutscher Talente
Seite 3: Sedlacek über Probleme beim deutschen Nachwuchs
spoxSPOX: 2010 wechselten Sie als International Scout zu den Philadelphia 76ers. Wie lief es dort?
Sedlacek: In Memphis habe ich es nie so schwierig gefunden, wie es in den ersten drei Jahren in Philadelphia der Fall war. Es ging darum, Vorurteile abzubauen und argumentativ die Leute abzuholen, warum internationale Spieler eine Franchise bereichern können. Mein größter Erfolg ist es, die Organisation davon überzeugt zu haben, 2014 an 12. Stelle Dario Saric zu draften.
SPOX: Saric, 21 Jahre alt und ein spielstarker Power Forward, ging nicht sofort in die NBA, sondern unterschrieb bei Anadolu Efes einen Vertrag und spielte eine teils überragende, teils unscheinbare Saison. Nächstes Jahr wird der Kroate sehr wahrscheinlich beim türkischen Topklub bleiben. Wie bewerten Sie seine NBA-Aussichten?
Sedlacek: Ich mag ihn. Ich mag seine Persönlichkeit, sein Talent, seine konzentrierte Vorbereitung auf ein Spiel, seinen Way of Life, seine freundlich Art und seinen Hunger, sich Tag für Tag verbessern zu wollen. Ich hoffe, dass er irgendwann Teil der 76ers-Organisation sein wird. In der abgelaufenen Saison gelang ihm bei Anadolu Efes der nächste Schritt und er deutete an, dass er der MVP der Euroleague sein kann. Er wurde nicht zufällig im November zum MVP gewählt. Doch das war nur ein Monat und er muss bestätigen, dass er diese Leistungen konstant über ein Jahr bringen kann.
SPOX: Die 76ers wären schon jetzt europäisch geprägter, wenn Nikola Vucevic 2012 nicht zu den Orlando Magic getradet worden wäre, weil der damalige Coach Doug Collins keinen Wert auf ihn legte. Mittlerweile gehört der Montenegriner zu den besten zehn Centern der NBA. Ist diese Entwicklung besonders bitter, bedenkt man, dass Philadelphia 2013 mit Nerlens Noel und 2014 mit Joel Embiid für zwei Big Men hohe Draft-Picks nutzte und sich beide jeweils schwer verletzten?
Sedlacek: Mein Herz hat geblutet, als der Trade feststand. Damals hatten die 76ers andere Prioritäten und mit dem damals deutlich kleineren Einfluss konnte ich nichts ausrichten. Es gibt nun mal NBA-Coaches, die eher Veteranen aus den USA als einem jungen Europäer vertrauen, obwohl Nikola ja in den USA auf die High School und ans College ging. Wir haben ihn gedraftet, ihn entwickelt und ihm Minuten gegeben. Aber dann kam es, wie es manchmal so kommt in der NBA. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem Coach und einem Spieler, die Beziehung geht kaputt, der Coach will den Spieler nicht mehr, es kommt zu Trade. Trotzdem tut es mir immer noch leid, wie es ablief.
SPOX: Die 76ers sind seitdem deutlich internationaler ausgerichtet. Neben dem türkischen Reboundspezialisten Furkan Aldemir, der letzte Saison in der Rotation stand, und dem Recht an Saric haben die 76ers 2014 den heutigen Bayern-Spieler Vasilije Micic an Platz 52 gedraftet. Wie sehen Sie seine Perspektiven?
Sedlacek: Ich kenne ihn, seit er zehn Jahre alt ist. Seine Eltern und ich sind eng befreundet. Dennoch muss ich leider sagen, dass er sehr weit von der NBA entfernt ist. Und das aus drei Gründen. Erstens: Er muss an seinem Körper arbeiten und über eine längere Zeit fit bleiben. Das Problem ist, dass er im Alter zwischen 16 und 18 Jahren in die Höhe gewachsen ist und sich die Muskeln und Bänder nicht in dem Maße mitentwickelt haben. Dieses Defizit konnte nie behoben werden, weil er so viele Spiele und so viele Trainingseinheiten unter hoher Intensität zu absolvieren hatte. So kamen die Verletzungen: erst das Knie, dann die Schulter und der Ellenbogen. Erst wenn er über eine signifikante Zeitspanne ohne größere und kleinere Verletzungen spielt, können wir richtig evaluieren, ob er bereit für die NBA ist. Denn in den USA ist die Belastung für den Körper noch größer. Es gibt mehr Spiele, die Reisen sind länger und die Gegenspieler physisch eine schwierigere Aufgabe. Man darf nicht vergessen: Auf den großen Positionen sind die körperlichen Unterschiede zwischen Spielern aus Europa und den USA nicht so groß, auf den kleinen Positionen sind sie hingegen gewaltig.
SPOX: Und die weiteren Gründe?
Sedlacek: Zweitens: Micic muss seine Defense dramatisch verbessern. Und drittens als logische Folge: Er muss entscheiden, auf welcher Position er spielt. Will er ein Point Guard oder ein Shooting Guard sein?
SPOX: Ist Micic kein klassischer Point Guard? Selbst Milos Teodosic sieht einiges von sich in ihm, wie er im SPOX-Interview sagt.
exklusiv Milos Teodosic im Interview: "Würden gegen NBA-Teams mithalten"
Sedlacek: Viele sehen in ihm einen Point Guard. Aus meiner Sicht ist er ein Shooting Point Guard. Das heißt: Er kann der Backup des Starting-Point-Guards sein, tendenziell sollte er jedoch mehr auf der Shooting-Guard-Position spielen. Mit seiner jetzigen Geschwindigkeit kann er in der NBA keinen Point Guard vor sich halten.
SPOX: In den letzten fünf Jahren gab es einige deutsche Spieler, die sich am Draft anmeldeten oder sich zumindest intensiv mit dem Gedanken beschäftigt haben, sich auf die Liste setzen zu lassen. Was halten Sie von Micic-Mitspieler Robin Benzing?
Sedlacek: Er besitzt die Größe eines Inside-Spielers, aber er denkt wie ein Outside-Spieler.
SPOX: Was an sich gut klingt, oder? So werden Point Forwards beschrieben.
Sedlacek: Nein, wenn es so ausgeprägt ist, funktioniert das nicht. Selbst bei Svetislav Pesic nicht, dem erfahrensten Coach in Deutschland.
SPOX: Was ist mit Bambergs Elias Harris, der vor vier, fünf Jahren neben Benzing und Tibor Pleiß zu den größten NBA-Hoffnungen des DBB zählte?
Sedlacek: Aus meiner Sicht wird er für die NBA nicht interessant.
SPOX: Bei Pleiß wundern sich viele, warum er immer noch nicht von einem NBA-Team verpflichtet wurde. Ist er nicht bereit?
Sedlacek: Ganz offensichtlich nicht. Er hat noch nicht bewiesen, dass er wirklich NBA-ready ist - wobei es nicht seine alleinige Schuld ist. Beim richtigen Klub hätte er es vielleicht schon längst vorgemacht. In Vitoria war zu sehen, wozu er imstande ist, wenn er viele Minuten bekommt. Barcelona hingegen betont sehr das Spiel von außen und die Guards und Flügelspieler dominieren. Daher müssen die großen Spieler vor allem rauspassen können. Das ist allerdings nicht Tibors Spiel. Wenn Barcelona kommendes Jahr anders zusammengestellt ist und der Ball häufiger ans Brett gebracht wird, könnte Tibor demonstrieren, was in ihm steckt.
SPOX: Nach Nowitzki und Schröder war Tim Ohlbrecht am nahesten an einer NBA-Karriere dran. Hat er eine Chance aufs Comeback?
Sedlacek: Ich sorge damit nicht für Zustimmung in Deutschland, trotzdem bin ich weiterhin der Meinung, dass er die falsche Position spielt. Er ist kein Center, er hätte der perfekte Small Forward sein können.
SPOX: Small Forward? Ohlbrecht? Wenn überhaupt, ist er ein Power Forward, oder nicht?
Sedlacek: Nein, nein, Small Forward. Ich habe damals mit seinen Coaches in Deutschland gesprochen und versucht, Ihnen das zu erklären. Wir konnten uns nicht einigen. Sein Release, also der Punkt, wenn er beim Sprungwurf hochsteigt und loslässt, war sehr niedrig, so dass er selten zum freien Schuss kam, wenn ein kleinerer Gegenspieler die Arme hochnahm. Wenn er an der Wurftechnik mit einem höheren Releasepunkt gearbeitet hätte, wären heute die Chancen auf die NBA deutlich größer. Denn von der Größe, Schnelligkeit und Athletik bringt er alles mit, selbst für NBA-Verhältnisse. Er ist ein Mismatch vorne und hinten kann er dank seiner körperlichen Voraussetzungen den Gegenspieler verteidigen. Aber wie gesagt: Das ist meine subjektive Meinung.
SPOX: Im Kampf um die EM-Nominierung wird es womöglich zum direkten Duell zwischen Ohlbrecht und Bambergs Daniel Theis kommen. Er verfolgt ebenfalls den NBA-Traum.
Sedlacek: Er ist genau das Gegenteil zu Ohlbrecht. Er besitzt einen guten Touch und wird in Zukunft noch häufiger von außen punkten. Was ihm fehlt, ist das Inside-Game. Sprich: Um den nächsten Schritt zu gehen, muss er im Lowpost mit dem Rücken zum Korb Lösungen entwickeln, um vielseitiger zu sein. Wenn ihm das gelingt, hat er eine sehr gute Chance auf die NBA.
SPOX: Nah dran scheint Maxi Kleber zu sein. Er nimmt an der Summer League teil und steigt etwas verspätetet in die EM-Vorbereitung des DBB-Teams ein. Verständlich?
Sedlacek: Natürlich kennen wir Maxi. Er ist ein sehr interessanter Name und er zeigt bei einem kleinen spanischen Klub Charakter und Konstanz. Sein Potenzial ist offensichtlich und wenn er sich bei der Summer League gut präsentiert und zum richtigen Zeitpunkt beim richtigen Team eine Chance erhält, ist alles möglich.
Seite 1: Sedlacek über die Entwicklung von Nowitzki, Schröder und Parker
Seite 2: Sedlacek über die Europaskepsis der NBA und Chancen deutscher Talente
Seite 3: Sedlacek über Probleme beim deutschen Nachwuchs
spoxSPOX: Deutschland besitzt mittlerweile deutlich mehr Talente als noch vor zehn Jahren. Dennoch gelang es abgesehen von Schröder, Pleiß und mit Abstrichen Kleber nur wenigen, sich international nachhaltig zu profilieren. Wie bewerten Sie die deutsche Nachwuchsförderung?
Sedlacek: Einige BBL-Klubs arbeiten sehr seriös und mit viel Engagement in der Jugend. Das größte Problem bleibt weiterhin die Mentalität der Spieler.
SPOX: Svetislav Pesic argumentiert im SPOX-Interview ähnlich. Ist das nicht ein Klischee?
Sedlacek: Nein, ist es nicht. Die deutschen Jungs haben in der Freizeit so viele Angebote außerhalb des Basketballs, dass ihnen die Zielstrebigkeit fehlt. Wenn es auf dem Weg zum Profi tough wird und sie besonders stark sein müssten, geben sie schnell auf. Deswegen gibt es eine solch hohe Rate an Jugendnationalspielern, die es nicht bis zu den Senioren schaffen. Der Spruch stimmt: Wenn du nicht hungrig bist, hast du keine Probleme.
exklusiv Svetislav Pesic im Interview: "Es reicht, hör' damit auf"
SPOX: Ist das so einfach?
Sedlacek: Es gibt natürlich weitere Gründe. Beispielsweise ist die BBL weiter zu sehr geprägt von den amerikanischen Spielern. Daran hat die 6+6-Regelung nicht wirklich etwas verändert. Nur sehr wenige Trainer vertrauen in der Crunchtime deutschen Spielern. So kann sich niemand entwickeln. Es gibt allerdings positive Beispiele. Ich verfolge Frankfurts Johannes Voigtmann seit der U-20-EM 2012 in Slowenien. Er hat zwei, drei Jahre benötigt, um sich bei den Profis zu etablieren und ist jetzt einer der Leistungsträger bei einem Playoff-Team. Das sollte den anderen Deutschen ein Beweis dafür sein, dass es bei ihnen einfach etwas länger dauert als bei Talenten aus dem Balkan. Voigtmann wird dieses Jahr schon 23 Jahre alt. Sie sollten sich davon einfach nicht entmutigen lassen.
SPOX: Warum produziert ein vergleichbares Land wie Frankreich so viele NBA-Profis mehr?
Sedlacek: Erstens: Die meisten französischen Spieler sind dunkelhäutig und damit häufig athletischer als die deutschen Spieler. Zweitens: Die Sportförderung in Frankreich ist zentralisiert, so dass Talente zusammen trainieren und über Jahre gezielt gefördert werden. Drittens: In Frankreich wurden vor einigen Jahren viele Spieler eine Position nach vorne gezogen. Heißt: Power Forwards wurden zu Centern umgeschult, Small Forwards zu Power Forwards, und so weiter. So hat sich die Mentalität des Basketballs mehr zum "Run and Gun" verändert, was an sich sehr gut zum NBA-Stil passt. Und viertens: In Frankreich gibt es deutlich mehr Jugendliche mit einer ähnlichen Sozialisation wie Schröder. Dennis wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, verlor früh seinen Vater, half bei der Mutter im Friseursalon aus. Auf solche Lebensgeschichten trifft man in Deutschland nicht ganz so oft. Deswegen wird es für den deutschen Basketball entscheidend sein, welchen Weg die sehr talentierte Generation mit dem 97er und 98er Jahrgang einschlägt. Diese Spieler kommen jetzt in das schwierige Alter zwischen 17 und 18.
EXKLUSIV Holger Geschwindner im Interview: "Kevin, du klaust unsere Übungen"
SPOX: Im SPOX-Interview kritisiert Holger Geschwindner, dass es in Deutschland einen Mangel an gut ausgebildeten Jugendcoaches gibt.
Sedlacek: Da muss ich Holger Recht geben. Man sollte zwischen Coaches und Lehrern differenzieren. Ein Basketball-Lehrer lehrt, wie man das Spiel spielt. Ein Basketball-Coach lehrt, wie man ein Spiel gewinnt. Wir brauchen für die jungen Spieler keine Coaches, sondern Lehrer, die die Talente zur Schwelle zum Profitum heranführen.
SPOX: Die serbische Schule gilt als knallhart, dennoch wird darauf geachtet, dass außergewöhnliche Spieler wie Teodosic ihre Außergewöhnlichkeit behalten. Wie kommt das?
Sedlacek: Die Rolle eines Basketball-Lehrers ist es, Talent und Charakter der Spieler zu erkennen und ein System bereitzustellen, in dem der Spieler sich bestmöglich entfaltet. Deswegen darf es nie darum gehen, die Persönlichkeit eines Spielers zu verändern. Wenn man Teodosic in eine Linie pressen würde, führt das automatisch zu Problemen. Es geht darum, das zu akzeptieren und ihn spielen zu lassen. Die serbische Schule ist knallhart, aber sie erkennt das an.
Seite 1: Sedlacek über die Entwicklung von Nowitzki, Schröder und Parker
Seite 2: Sedlacek über die Europaskepsis der NBA und Chancen deutscher Talente