Es ist mittlerweile 27 Jahre her, dass Pat Riley die Welt mit einer seiner Lieblingstheorien konfrontierte. Als der langjährige Erfolgstrainer der Lakers 1988 sein Buch "Showtime" veröffentlichte, etablierte er sein Konzept "the Disease of More" - die Krankheit des Erfolgs, sinngemäß.
"Erfolg ist häufig der erste Schritt in Richtung Katastrophe", schrieb Riley mit Bezug auf die Lakers: Nachdem das Team um Magic Johnson und Kareem Abdul-Jabbar 1980 Meister geworden war, wurden demnach etliche Spieler selbstsüchtig und vergaßen, was sie im Kollektiv so erfolgreich gemacht hatte.
Praktisch jeder wollte mehr Spielanteile, mehr Geld, mehr Respekt haben, ohne dabei noch auf die kleinen Dinge zu achten, die zum Erfolg dazugehören. Was folgte, war zu wenig Einsatz in der Defense, zu wenig Teamplay, zu wenig Harmonie - und letztlich das Erstrundenaus gegen ein deutlich weniger talentiertes Team aus Houston in den Playoffs.
"Wir müssen uns zusammenreißen"
Diese Playoff-Serie ist indes nicht die einzige Verbindung zwischen den damaligen Lakers und den heutigen Rockets. Denn obwohl die Rockets keinen Titel gewonnen und damit eigentlich kein Recht dazu haben, treten sie derzeit auf wie ein Team mit Meister-Kater. Als wäre nach dem Erreichen der Western Conference Finals und der "Player's MVP"-Ehrung für James Harden alles andere ein Selbstläufer.
Und dabei ist die 4-7-Bilanz nach 11 Spielen längst nicht so vielsagend wie die Zitate von einigen Protagonisten. "Wir spielen einfach nicht hart genug. Wir müssen in der Defensive mehr zusammenhalten. Ein Team besteht nicht aus Individuen, sondern aus dem Kollektiv. Wir müssen uns zusammenreißen", sagte Trevor Ariza beispielsweise - vor der 95:111-Heimpleite gegen die Celtics am Montag, wohlgemerkt.
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Der am Mittwoch entlassene Coach Kevin McHale hatte nach der peinlichen Pleite zuvor gegen die Mavericks, die ohne drei Starter in Houston gewannen, noch folgende Hoffnung geäußert: "Viel schrecklicher kann man nicht spielen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir eine noch schlechtere Leistung hinlegen können."
Stattdessen musste er sich am Montag nach der vierten Pleite in Serie erneut an einer Erklärung für den nächsten katastrophalen Auftritt seines Teams versuchen. Und auch diese erinnerte ein wenig an den Kollegen Riley und seine Theorie.
Aus Stärken werden Schwächen
"Wir spielen zeitweise nicht mit voller Kraft. Wir lassen nicht alles raus, spielen nicht mit dem richtigen Einsatz. Wenn ein Spiel nicht nach unserem Geschmack läuft, lassen wir den Kopf hängen und geraten in Panik", sagte McHale, dessen Team trotz einer 13-Punkte-Führung im zweiten Viertel noch mit beinahe 30 Punkten Abstand verloren hatte.
Die Gründe für den erneuten Einbruch sind vielschichtig. Zum einen ist Ty Lawson noch nicht angekommen und spielt wie ein Schatten seiner selbst. Die Offense läuft überhaupt nicht, nur fünf Teams schmeißen den Ball häufiger weg als Houston (Turnoverrate: 16,3). Das Offensiv-Rating ist mit 98,5 ebenfalls weit unter Ligadurchschnitt.
Die beiden größten Probleme allerdings sind gleichzeitig die beiden größten Stärken der Vorsaison. Die Defense ist auch mit Dwight Howard katastrophal, nur die Pelicans weisen bis dato ein schlechteres Defensiv-Rating auf als Houston (106,5). Gegen Boston erlaubten die Rockets stolze 58 Punkte in der Zone, und dennoch ist die Inside-Defense nicht die größte Problemzone.
Das sah auch McHale so: "Wir werden ständig am Perimeter vernascht. Wir sind nicht in der Lage, vor den Gegenspielern zu bleiben und setzen unsere Big Men dadurch unnötig unter Druck." Und damit wären wir beim Elefanten im Raum angekommen. Denn der Hauptgrund für dieses Problem trägt den wohl berühmtesten Bart im Staat Texas.
Harden: Olé!
Harden schwächelt offensiv, wobei seine Statistiken dank eines Hotstreaks bei den einzigen vier Siegen der Rockets noch sehr geschönt wurden: Er legt zwar 27,3 Punkte und 5,8 Assists pro Spiel auf, trifft dabei aber auch bloß 37,2 Prozent aus dem Feld und eiskalte 26,2 von der Dreierlinie. 4,8 Ballverluste kommen pro Spiel noch dazu.
Das wäre aber alles noch ansatzweise tolerierbar, wenn Harden defensiv nicht wieder die alte Torero-Einstellung an den Tag legen würde. Olé! Nachdem er in der letzten Saison einen riesigen Schritt nach vorne gemacht hatte, finden sich nun nach bloß elf Spielen schon wieder etliche Youtube-Clips mit Hardens defensiven Aussetzern der jungen Saison.
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Ein Beispiel: Ein Video mit dem Titel "James Harden Falls Asleep on Defense. Repeatedly" mit seinen "Highlights" aus dem Spiel gegen Dallas. Immer wieder verpennt Harden Rotationen oder macht erst gar keinen Versuch, auszuhelfen, immer wieder verliert er seinen direkten Gegenspieler bei Cuts aus den Augen oder leistet einfach nur Geleitschutz. Es ist längst nicht der einzige Clip dieser Art.
MVP? Nicht so schnell
Schlimmer noch: Der nach Einschätzung der Spieler wichtigste Akteur der vergangenen Saison legt dabei eine Körpersprache an den Tag, als hätte ihm gerade jemand das Rasierwasser geklaut. Kopf und Schultern zeigen Richtung Boden, von einem Aufbäumen oder dem klassischen "mit gutem Beispiel vorangehen" eines Leaders ist nichts zu sehen.
Auch verbal wirkt Harden derzeit nicht wie jemand, der sich mit aller Macht gegen die Krise wehren will. "Wir haben noch 72 Spiele vor uns, oder?", entgegnete er nach der Mavs-Pleite genervt auf die Frage eines Reporters, ob die Zeit für Panik bereits gekommen sei. Auch nach dem Spiel gegen die Celtics sagte er: "Das Gute ist, dass die Saison gerade erst anfängt."
Das mag einerseits richtig sein, ist andererseits aber auch ein derber Kontrast zu beispielsweise LeBron James, der seinem Team kürzlich trotz eines 8-2-Saisonstars öffentlich eine Standpauke hielt. Und ist es wirklich zu früh, um mal Alarm zu schlagen? Im Toyota Center waren bei den bereits fünf Heimniederlagen bereits regelmäßig Buhrufe zu hören.
McHale ist das Opfer
Es wurde bereits spekuliert, ob McHale um seine Jobsicherheit fürchten müsse, am Mittwoch wurden dann Nägel mit Köpfen gemacht - dabei ließ der Coach wirklich nichts unversucht. Er probierte etliche Lineups aus und musste beispielsweise damit auskommen, dass Patrick Beverley und Donatas Motiejunas verletzt sind und Howard nur jedes zweite Spiel bestritt.
Bisweilen wirkte der Coach in der Tat ratlos, das war aber kein Wunder: Man kann als Coach nicht viel erreichen, wenn das Team nicht den vollen Einsatz zeigt und sich häufig so frustrieren lässt, dass die Niederlagen nicht einmal knapp sind. Die sieben Niederlagen wurden mit durchschnittlich 15 Punkten Abstand abgegeben, das zeugt nicht gerade von Kampfgeist.
Das ist in erster Linie ein Problem der Spieler, und hier muss vor allem von Harden und Howard mehr kommen. Das Team ist talentiert, die Saison noch lange nicht vorbei - trotzdem ist Houston nicht gut genug, um Spiele im Vorbeigehen ohne den vollen Einsatz zu gewinnen oder sich zu präsentieren, als leide man unter einem Championship-Kater. Diesem fiel nun der Coach zum Opfer.