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Gruden, Head-Coaching-Suche, Enttäuschungen, Seahawks - eure Fragen
Julian Greb: Was glaubst du kann man von Jon Gruden erwarten, wenn er tatsächlich wieder coachen will?
Ich tue mich mit Gruden extrem schwer. Die Summen, die rund um seine Rückkehr genannt werden (Jahresgehalt von etwa zehn Millionen Dollar, möglicherweise Anteile am Team) scheinen mir astronomisch für jemanden, der seit 2008 kein NFL-Team mehr trainiert hat.
Meine ehrliche Meinung: Raiders-Besitzer Mark Davis will Gruden unbedingt, weil er auf seine Strahlkraft und seine Teamführung setzt. Sportlich aber wird es für mich ganz entscheidend sein, wer seine Coordinator sind. Zumindest habe ich meine Zweifel, dass Gruden aus zehnjährigem Ruhestand zurück kommt und sich ohne Probleme an das Spiel, wie es heute ist, anpasst.
Die gute Nachricht für Oakland ist, dass die ersten Gerüchte hier vielversprechend sind. Bengals-Defensive-Coordinator Paul Guenther und Jets-Offensive-Coordinator John Morton wären herausragende Coordinator für Gruden. Guenther würde in dem Szenario die Defense mehr oder weniger übernehmen, Morton und Gruden könnten gemeinsam West-Coast-Elemente mit den Air-Raid- und Run-and-Shoot-Elementen, die wir bei den Jets dieses Jahr gesehen haben, verbinden. Für die Entwicklung von Derek Carr möglicherweise die perfekte Mischung.
dakofla: Welche der offenen Head-Coaching-Positionen ist deiner Einschätzung nach die attraktivste?
Am Ende des Tages geht es in der NFL um den Quarterback, und dabei kommt man an den Lions und Colts nicht vorbei. Eine Franchise mit einem Quarterback wie Andrew Luck ist nicht so häufig im Coaching-Karussell dabei, während die Defense viele junge Spieler hat, die sich formen lassen. Indy muss man für mich ganz oben sehen - vorausgesetzt, Luck ist wirklich gesund. In Detroit hat Matt Stafford gerade eine sehr gute Saison gespielt, die Lions haben insgesamt im Team noch mehr Qualität als die Colts.
Man braucht in der NFL einen Quarterback, dafür muss man nur die Saison der San Francisco 49ers als Musterbeispiel verwenden. Deshalb sind diese beiden Teams für mich ganz oben. Davon abgesehen wird es dann mehr Geschmackssache. In Chicago hat man eine sehr gute Front, ein sehr gutes Running-Back-Duo - und möglicherweise einen Quarterback. Wer nach Chicago geht, für den ist es Priorität eins, zwei und drei, Trubisky zu entwickeln. Und das eher schnell, nachdem die Liga gesehen hat, was McVay mit Goff angestellt hat.
Arizona ist ein Team, dessen Attraktivität man sehr unterschiedlich sehen kann: Offensiv gibt es für mich genau zwei Bausteine für die mittelfristige Zukunft: David Johnson und D.J. Humphries, möglicherweise kurzfristig noch Fitzgerald und Palmer - falls sie weiter machen. Alles andere ist verhandelbar. Das gibt einem neuen Coach die Möglichkeit, eine Offense komplett nach den eigenen Ideen zu gestalten. Aber man muss natürlich zuallererst einen Quarterback finden, das ist der Knackpunkt.
Definitiv positive Faktoren sind die Qualität in der Defense und der Team-Besitzer. Letzteres ist beim Coach-Karussell nicht zu unterschätzen und Arizona ist hier mit Bidwill in einer glänzenden Position, was für einige Bewerber den Unterschied etwa gegen die Colts ausmachen könnte. Die Giants sehe ich relativ ähnlich wie Arizona, mit mehr vorhandenen Bausteinen in der Offense und dafür auch etwas mehr Fragezeichen in der Defense.
Die Raiders sind in meiner Kalkulation ein explosives Thema: Der bevorstehende Umzug nach Las Vegas, die deutlichen Rückschritte in der Offense inklusive bei Carr, viele offene Fragen in der Defense. Gruden als Antwort und Ablenkung dafür scheint ja aber ohnehin weit fortgeschritten.
Stefan Klüttermann: Wen siehst du als realistischen Kandidaten für den Offensive-Coordinator-Posten bei den Browns und wen als realistischen Veteran-Quarterback für die nächste Saison?
Aus Cleveland hört man, dass tatsächlich Hue Jackson - und nicht John Dorsey - den neuen Offensive Coordinator auswählen wird. So weit, so gut. Die Gerüchte, die aber durchsickern, wonach Team-Besitzer Jimmy Haslam ohne Absprache mit Dorsey verfügt hat, dass Jackson bleibt, ist schon wieder das Holzsammeln für den nächsten internen Brandherd. Was, wenn Dorsey in zehn Monaten genug von Jackson hat? Was, wenn sie sich schon im Draft uneinig sind. Der Browns-Fisch stinkt so dermaßen vom Kopf her.
Ganz nüchtern betrachtet: Großartig wäre es, wenn Cleveland einen wie John DeFilippo (Quarterbacks-Coach der Eagles) bekommen könnte. Die oberste Priorität in Cleveland muss es sein, den Rookie-Quarterback, der im Draft kommen wird, systematisch aufzubauen und nach seinem Umgang mit Kizer habe ich da bei Jackson große Zweifel. Allerdings wird DeFilippo möglicherweise Head-Coaching-Offerten bekommen, die Bears und die Cardinals zeigen in der Richtung bereits Interesse.
Generell wird man sich bei den Position-Coaches umschauen müssen - oder bei den Teams, die sich einen neuen Trainerstab zusammenbauen. Ein Name, den ich für Cleveland interessant fände: Harold Goodwin, der jahrelang unter Bruce Arians gelernt hat und infolge des Arians-Rücktritts mutmaßlich zu haben sein wird. Ein dritter Mann, mit dem sich Cleveland befassen könnte: Colts-QB-Coach Brian Schottenheimer.
Oliver Fa: Welche Mannschaft ist für dich die größte Enttäuschung der Saison? Ausgenommen die Teams, die ihren Quarterback verloren haben.
In beliebiger Reihenfolge und aus unterschiedlichsten Gründen: Giants, Browns, Buccaneers und Raiders. Bei New York war ein Rückschritt in der Defense absehbar, dass der so groß werden würde, hätte ich nicht gedacht. Vor allem aber die offensive Ideenlosigkeit gepaart mit zahlreichen internen Streitereien, dem Debakel um Eli Manning - ich habe die Giants noch nie in einem solchen Chaos erlebt. Der Umbruch mit neuem Head Coach und neuem starken Geschäftsführer war unausweichlich.
Bei Cleveland habe ich wirklich auf einen nächsten Schritt gehofft, stattdessen gab es vielerorts Stagnation, schlechte Coaching-Entscheidungen und schlechtes Play-Calling sowie die erneute Abkehr von einer langfristig angelegten Strategie. Man kann für die Browns nur hoffen, dass die positiven Trends im Run Game weitergehen, sich die Defensive Front weiter positiv entwickelt - und dass Cleveland seinen Quarterback findet und den dann auch richtig aufbaut.
Die Bucs waren für viele - auch ich hatte sie vor der Saison als Wildcard-Team getippt - eine Art Super-Bowl-Geheimtipp. Geblieben ist ein Team, das keinen Pass-Rush hatte, kein Run Game aufbauen konnte und im Passing Game statt den erhofften nächsten Schritt eher eine Regression erfahren hat. Vor allem die Entwicklung beziehungsweise die Stagnation von Jameis Winston kann Buccaneers-Fans nicht gefallen.
Bei den Raiders hatte ich defensiv nicht viel erwartet, und wurde bis zum Coordinator-Tausch doch enttäuscht. Fast wie auf Knopfdruck sieht der Pass-Rush besser aus. Dass die Offense in jederlei Hinsicht (Play-Calling, Carr, die Receiver) eine so desolate Spielzeit haben würde, hatte ich aber nicht kommen sehen.
Natürlich könnten Teams wie etwa die Broncos hier auch rein fallen - aber wenn die Teams, die ihren Quarterback verloren haben, nicht zählen, sollte man Denver, das abgesehen von drei guten Wochen von Trevor Siemian nie einen echten Quarterback hatte, ebenfalls anders bewerten.
Rasmus: Was wird jetzt mit den Seahawks passieren? Insbesondere mit den Überresten der Legion of Boom und Jimmy Graham?
Die Seahawks stehen am Scheideweg, keine Frage. Defensiv könnte tatsächlich das Ende der Ära bevorstehen - Michael Bennett hat nach Week 17 offen von seinem Abschied gesprochen, niemand weiß, ob beziehungsweise wie Chancellor, Avril und Sherman von ihren Verletzungen zurückkommen. Bei Earl Thomas gehe ich trotz allem von einem Verbleib aus, wodurch die Aufgabe sein wird, um Thomas, Bobby Wagner, K.J. Wright sowie Jarran Reed, Frank Clark und möglicherweise Sheldon Richardson herum eine neue dominante Defense aufzubauen. Nicht die schlechtesten Start-Bedingungen.
Ganz zentral wird es aber sein, endlich wieder eine offensive Identität zu entwickeln. Weg davon, dass Russell Wilson die Offense alleine trägt, es muss den Seahawks gelingen, Wilsons Improvisationsfähigkeiten in eine bessere Struktur zu packen. Denn aktuell steht die Offense häufig verloren da, wenn Wilson keinen Sahnetag hat.
Seattle braucht hier eine Basis, etwas, auf das man zurückgreifen kann, wenn Wilson mal einen schlechten Tag hat. Ein konstantes Run Game wäre hier ein sehr guter Anfang, daher denke ich, dass Jimmy Graham eher nicht gehalten wird..
Richard Turkowitsch und Andale: Deine Einschätzung zu Patrick Mahomes? Ist es gerechtfertigt, wie das Chiefs-Kingdom gerade durchdreht?
Sehr viel Positives für die Chiefs in Mahomes' Debüt, und viel davon, was sein College-Tape gezeigt hat. Was dabei immer wieder ins Auge springt ist sein spektakulärer Arm: Mahomes bringt hier so viel Power mit, dass er Bälle aus unmöglichsten Winkeln und ohne Hilfe seiner Beine präzise das Feld runter feuern kann. Eine Qualität, die man in der Form eigentlich nur von Aaron Rodgers kennt.
Das führt auch zu einigen großartigen Momenten gegen Pressure, wobei es ihm auch einige Male große Probleme bereitete, wenn Denvers Defense Druck brachte. In puncto Reads profitierte er sehr von der Chiefs-Offense, die mit ihren Run-Pass-Options und den Route-Kombinationen dem Quarterback vergleichsweise klare Reads gibt. Gleichzeitig aber glänzte er mehrfach mit tollem Ball-Placement.
Hier wird Mahomes noch viel lernen und sich an das NFL-Tempo gewöhnen müssen, aber dafür ist Zeit. Auch Fehler wie bei der Interception - entweder ein Kommunikationsfehler oder ein böser Overthrow - muss er abstellen, dafür gilt es dann, an der Beinarbeit und den technischen Dingen zu arbeiten. Optimismus ist also gerechtfertigt, Geduld trotzdem angebracht.
Paul: Ich befürchte du wirst uns aus aktuellem Anlass den Spielzug "Spider 2 Y Banana" nochmal genauer erklären müssen.
Sehr gerne! Wer es nicht kennt: "Spider 2 Y Banana" ist eines der Lieblings-Plays von Jon Gruden, das er über die Jahre immer wieder während einer ESPN-Übertragung angebracht hat und ganz aufgeregt war, wenn eine Offense den Spielzug tatsächlich nutzte. Da er mutmaßlich in etwa einer Woche als neuer Head Coach der Raiders vorgestellt wird - hier ist das Play:
Grudens West-Coast-Prägung kommt hier voll durch: "Spider 2" bezeichnet das Protection-Scheme, "Y Banana" die Route des Tight Ends, welche diesem Spielzug den Namen gibt - "Y" beschreibt in den meisten Offenses den Tight End, "Banana" kommt daher, weil die Route aufgezeichnet der Form einer Banane ähnelt.
Es ist ein Levels-Konzept, also wird eine Seite der Defense gezielt auf mehreren Ebenen überladen. Der Quarterback liest zunächst die Flat-Route des Fullbacks, dann die Route des Tight Ends und schließlich die Crossing-Route des Receivers, während der Running Back nach einem Play-Action-Fake blockt. Sollte Gruden tatsächlich die Raiders übernehmen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, wann wir "Spider 2 Y Banana" bewundern dürfen.