Mit Siegen gegen Polen und Russland ist das DHB-Team traumhaft in die WM gestartet. Jetzt geht es gegen Vize-Weltmeister Dänemark (19 Uhr im LIVE-TICKER). Vor dem richtungsweisenden Spiel outet sich DHB-Präsident Bernhard Bauer im Interview mit SPOX als Bewunderer von Dagur Sigurdsson. Ein Gespräch über den wahren Boss, das deutsche Schwarz-Weiß-Denken in Sachen Katar und die Personalie Stefan Kretzschmar.
SPOX: Herr Bauer, ich falle direkt mit der Tür ins Haus. Ist Dagur Sigurdsson ein Glücksfall für den deutschen Handball?
Bernhard Bauer: Wir haben Dagur sehr bewusst ausgewählt, auch auf der Grundlage eines sehr konkreten Anforderungsprofils. Wir wussten genau, wen wir holen. Die Erwartungen, die wir in ihn gesetzt haben, wurden bisher erfüllt. Er hat der Mannschaft neues Selbstvertrauen gegeben, feilte an Abwehr-Varianten, die mittlerweile greifen und verpasste dem Angriff den Feinschliff. Man sieht: Im Angriff sind wir viel schwerer auszurechnen als noch in der Vergangenheit. Also kann man bisher sagen: Ja, er ist ein Glücksfall.
SPOX: Wie sah dieses Anforderungsprofil aus?
Bauer: Wir wollten einen Trainer, der für Entwicklung, Anspruch, Spielphilosophie und Jugendarbeit steht.
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SPOX: Wie erleben Sie Sigurdsson in seiner Arbeit und in der Kommunikation? Er ist ja keiner, der zu viele Worte verliert.
Bauer (lacht): Es gibt einen schönen Satz. Kraft macht keinen Lärm, sie ist einfach da und wirkt. Bei Dagur ist das so. Er überlegt lange, hat dann aber einen genauen Plan. Wer wie Dagur weiß, was er will, der muss nicht viel reden. Der gibt die Richtung vor und die Mannschaft folgt.
SPOX: Teammanager Oliver Roggisch, Vizepräsident Bob Hanning, Bundestrainer Dagur Sigurdsson und Sie als Präsident. Wie muss man sich das Zusammenspiel dieses Teams vorstellen?
Bauer: Dagur ist der Kopf, das muss im Sport so sein. Er ist der Bundestrainer, er muss sagen, wohin die Reise geht. Oliver Roggisch ist gemeinsam mit den Co-Trainern die rechte Hand. Und Bob Hanning ist für uns im Präsidium der Verantwortliche im Leistungsbereich, der Vorschläge macht, die wir dann gemeinsam diskutieren und so zu einer Entscheidung kommen.
SPOX: Wo wir schon bei Entscheidungen sind. Stimmt es, dass Stefan Kretzschmar Frauen-Bundestrainer werden sollte? Kretzsche selbst erzählte davon.
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Bauer: Dazu gebe ich keinen Kommentar ab. Nur so viel: Als wir den Vertrag mit Heine Jensen aufgelöst haben, sagte ich bereits, dass es auf Basis eines Anforderungsprofils ein kleines Auswahlgremium gibt. Dieses kümmert sich um die Suche nach einem neuen Bundestrainer und hat die Aufgabe, erst einmal Kontakte aufzunehmen und Kandidaten aufzufordern, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Die werden Bob Hanning und ich anschließend gemeinsam durchgehen.
SPOX: Würden Sie es Kretzschmar grundsätzlich zutrauen, so einen Job zu machen?
Bauer: Ich sage ganz allgemein, dass Stefan Kretzschmar immer eine interessante Person für den Handball ist. Auch uns als DHB liegt daran, die Personalie Kretzschmar in Zukunft zu diskutieren. Wer einen solchen Ausnahmespieler in seinem Verband hat, muss prüfen, ob man ihn einbinden kann und in welcher Art und Weise. Das geht aber nicht von jetzt auf gleich.
SPOX: Kommen wir zurück zur Männer-Nationalmannschaft. Wie fällt Ihr Fazit zum WM-Start aus deutscher Sicht aus?
Bauer: Zunächst einmal muss man sehen, wo wir herkommen. Wir schafften sportlich die Qualifikation gegen Polen nicht. Umso mehr war es ein Traumstart, das erste Spiel nun ausgerechnet gegen Polen auf so eine Art und Weise zu gewinnen. Wir zeigten im Angriff Varianten, die wahrscheinlich manchen Zuschauer überrascht haben, waren in der Abwehr gut und siegten überzeugend. Schöner geht es zum Auftakt nicht.
SPOX: Es wurde direkt nachgelegt.
Bauer: Genau. Dabei war Russland viel beweglicher, viel abwehrstärker als zuletzt und mit Varianten im Angriff ausgestattet, die man von den Russen in der Form gar nicht kannte. Dazu kam, dass wir in der ersten Halbzeit viele Möglichkeiten liegen ließen, nicht so konzentriert wie gegen Polen waren. Dann drehten wir dieses Spiel, das wir bei einem Vier-Tore-Rückstand zur Halbzeit eigentlich verloren hatten. Die Art und Weise zeigte, wie sehr sich die Mannschaft entwickelt hat und wie charakterstark sie ist.
SPOX: Wohin kann das bei dieser WM noch führen?
Bauer (lacht): Jetzt kommen wir zu etwas typisch deutschem. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Wir haben zwei Siege, zunächst einmal sollten wir uns einfach freuen. Nun steht uns mit Dänemark ein ganz schwerer Gegner bevor, einer der Favoriten auf den Titel. Da gilt es noch einmal zu beweisen, wo wir stehen. Insofern wird dieses Spiel erneut richtungsweisend sein. Können wir auf diesem Niveau mithalten? Können wir auch gegen so einen Gegner bestehen? Wenn wir das schaffen, dann... (macht eine lange Pause).
SPOX: Dann...
Bauer: Reden wir über das nächste Spiel (lacht).
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SPOX: Ab wann wäre das Turnier aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Bauer: Da bleibt die Zielsetzung von vor der WM bestehen: Wir müssen das Achtelfinale erreichen. Dann kommt es nicht in erster Linie auf die Platzierung an, sondern darauf, wie die Mannschaft auftritt. Wenn sie zeigt, dass sie einen oder mehrere Schritte nach vorne gemacht hat, ist alles offen. Aber zu sagen, es wäre nur bei Platz x ein Erfolg, wäre verfrüht. Wir sind schließlich noch am Anfang unserer Entwicklung. Und Entwicklung heißt, wir müssen auch etwas draufsetzen können.
SPOX: Handball findet in Deutschland nur ein breites öffentliches Interesse, wenn das DHB-Team erfolgreich ist. Die bisherigen Auftritte lösten zumindest einen kleinen Aha-Effekt aus. Wie wichtig ist das?
Bauer: Ich habe bereits vor dem WM-Start gesagt, dass wir in der Bringschuld sind. Grundsätzlich ist klar, dass es vom Fußball abgesehen für jede Sportart enorm wichtig ist, erfolgreich zu sein. Das gilt auch für eine Traditionssportart, wie es Handball in Deutschland ist. Wir sind nach dem Fußball regelmäßig die Nummer eins. Wir müssen jetzt die Bevölkerung mitnehmen. Die müssen sagen: Hoppla, schau die Handballer, da geht was. Die Chance dazu bietet sich uns in Katar.
SPOX: Stichwort Katar. Wie ist bisher Ihr Eindruck von diesem Turnier?
Bauer: In Sachen Organisation gibt es keine Kritikpunkte. Die Bedingungen, die für die Spieler wichtig sind, sind fast einzigartig. Dabei denke ich an das Hotel, die Arenen, die Trainingsmöglichkeiten. Es wird in diesem Bereich in Zukunft für jedes Land schwierig sein, dieses Niveau zu halten.
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SPOX: Jeden zweiten Tag ein Spiel, zahlreiche Termine außen herum. Hat der DHB das Thema Menschenrechte in dieser Situation trotzdem im Kopf?
Bauer: Das haben wir. Darüber sprachen wir auch mit der deutschen Botschafterin hier in Katar.
SPOX: In welche Richtung ging das Gespräch.
Bauer: Ich war ja mittlerweile schon ein paar Mal in Katar. Und es ist schon so, dass wir in solchen Dingen oft zu schnell zu einem Schwarz-Weiß-Denken neigen. Natürlich ist die Situation in Katar eine ganz andere als bei uns. Frauenrechte, Arbeitnehmerrechte und so weiter. Das sprechen wir auch an. Aber uns wurde auch gesagt, man ist auf dem Weg, in vielen Bereichen eine Entwicklung einzuleiten. Dass längst nicht der Standard erreicht ist, den wir in Deutschland über viele Jahre in der Diskussion erreicht haben, ist verständlich.
SPOX: Was meinen Sie genau?
Bauer: Man muss berücksichtigen, wo Katar herkommt, wie sich das Land in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Bei uns ging es auch erst Ende des 19. Jahrhunderts mit Bismarcks Sozialgesetzen los. Immer wieder ist es in den Jahren danach gelungen, etwas draufzulegen. Wir sollten nicht immer von außen mit dem Finger auf andere zeigen, sondern mit ihnen diskutieren und Wege aufzeigen, wie es geht.
SPOX: Warum müssen dafür gleich Weltmeisterschaften an Katar vergeben werden?
Bauer: Ich glaube, gerade solche Veranstaltungen, bei denen man miteinander spricht, bei denen Spieler aus unterschiedlichen Gesellschaftsformen miteinander sprechen, helfen, so ein Land für die Zukunft zu öffnen.
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