"Bayern kann nicht auf mich warten"

Haruka Gruber
30. September 201513:04
Vasilije Micic soll das Spiel des FC Bayern lenkengetty
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Er erinnert an Basketball-Genie Milos Teodosic und wurde von der NBA gedraftet. Doch in der BBL muss er sich erst beweisen. Supertalent Vasilije Micic erlebte eine durchwachsene Premierensaison und soll dennoch einen Job erledigen, der womöglich der schwierigste der gesamten BBL ist: Als 21-Jähriger das Spiel des FC Bayern dirigieren. Micic über körperliche Defizite, Kritik von seinem NBA-erfahrenen Mentor und sein Erstaunen über die Inflation an US-Guards in Deutschland.

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SPOX: Nach Heiko Schaffartziks Weggang hätte man erwarten können, dass Bayern einen echten Point Guard nachverpflichtet. Stattdessen kam mit Alex Renfroe der nächste Combo-Guard sowie mit K.C. Rivers ein weiterer Flügelspieler. Sprich: Sie sind der einzige echte Point Guard im Kader - mit entsprechender Verantwortung. Sind Sie mit 21 Jahren bereit dafür?

Vasilije Micic: Ich hätte es verstanden, wenn ein Point Guard dazugekommen wäre. Wir verfolgen sehr ambitionierte Ziele und müssen so gut aufgestellt sein wie möglich. Umso schöner ist es, dass sich der Klub nach Heikos Weggang entschieden hat, für mich Minuten freizumachen. Ich schätze es, dass sie wirklich an mich glauben - und nun liegt es an mir, das Vertrauen zurückzuzahlen. Ich sehe es als große Chance, mich dem deutschen Basketball praktisch neu vorzustellen. Die letzte Saison war okay, wenn man bedenkt, dass ich das erste Mal außerhalb Serbiens war und ich mich anpassen musste. Aber insgesamt verlief das Jahr mittelmäßig, irgendwie so lala. In dieser Saison zählt es für mich.

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SPOX: Schaffartzik war einer der wichtigsten Crunchtime-Player. Stehen Sie nun bereit für die wichtigen Würfe?

Micic: Es geht nicht darum, immer den letzten Wurf zu nehmen, wobei in meinen Augen der Point Guard nicht nur das Spiel kontrollieren, sondern in den entscheidenden Situationen auch Verantwortung übernehmen sollte. Ich weiß, dass es dazugehört, und ich bin bereit dafür. Natürlich benötigt man eine gewisse Erfahrung, um in solchen Situationen zu bestehen, andererseits habe ich trotz meines Alters schon viel mitgemacht. In der serbischen Liga habe ich für Mega Vizura häufig den letzten Schuss genommen. Obwohl sich bei den Bayern alles auf einem höheren Level bewegt: Ich weiß für mich selbst, dass ich das kann.

SPOX: Sie trafen vergangene Saison nur 23,8 Prozent der Dreier.

Micic: Deswegen gehörte der Wurf zu den Details, an denen wir im Sommer gearbeitet haben. Die Flugkurve soll etwas flacher laufen, damit es ideal ist. Mein Wurfwinkel war immer etwas zu hoch.

SPOX: Woran arbeiteten Sie sonst? Womöglich im körperlichen Bereich, nachdem Sie in der Vorsaison häufiger wegen Verletzungen ausfielen?

Micic: Ja, der größte Fokus in der Offseason lag auf dem Körper. Vor allem, weil ich gemerkt habe, dass ich physisch einigen Gegenspielern unterlegen bin. Die BBL wird von kleinen, dafür athletischen und kräftigen US-Guards dominiert, deswegen wollte ich mich in dem Bereich besonders verbessern: Schnelligkeit, Athletik, generell die gesamte Fitness.

SPOX: Gab es sonst etwas, was Sie nach dem Wechsel zu den Bayern überraschte?

Micic: Privat gab es keinerlei Probleme. Ich bin ein aufgeschlossener Typ und habe mich schnell in München eingelebt. Allerdings hätte ich nicht gedacht, wie sehr man sich im sportlichen Bereich eingewöhnen muss. Zum einen ist es etwas ganz anderes, aus der Entfernung die Bayern als Marke zu kennen, oder ob man wirklich für den Klub spielt und man mit den riesigen Erwartungen konfrontiert wird. Zum anderen benötigt man eine Zeit, um den Anspruch und die Philosophie eines Top-Trainers wie Svetislav Pesic zu verstehen. Diese Anpassung war vielleicht am schwierigsten. Der Coach fordert Ernsthaftigkeit. Ich war schon immer professionell, doch erst mit der Zeit erkannte ich, was er mit dieser Ernsthaftigkeit meint. Wenn man ein junger Spieler ist, werden Fehler eher toleriert. Aber es muss dem jungen Spieler klar sein, dass die Fehler dennoch Fehler sind und der Mannschaft schaden. Deswegen kann ein ambitionierter Klub wie der FC Bayern nicht auf Talente warten, bis sie keine Fehler mehr machen. Das verstehe ich mittlerweile viel besser. Die Bayern haben nicht den Luxus, auf mich zu warten. Ich muss liefern.

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SPOX: Und? Werden Sie liefern?

Micic: Ich wurde von Serbien leider nicht für die EM nominiert. Als bekanntgegeben wurde, dass ich nicht im endgültigen Kader stehe, sah ich gleichzeitig das Positive: Dass ich die Offseason nutzen kann, um mich perfekt auf die Saison bei den Bayern vorzubereiten. Das war das erste Mal seit sieben Jahren, dass ich im Sommer nicht für Serbiens A- oder Jugendnationalmannschaft nominiert wurde, sondern 15 Tage frei hatte. 15 Tage! Ich konnte mir am ersten freien Tag gar nicht vorstellen, was man mit so viel Freizeit anstellt. (lacht) Das alles tat mir sehr gut, um einmal abzuschalten, bevor es mit der Vorbereitung losging. Jetzt geht es darum, so schnell es geht wieder richtig fit zu werden. SPOX

SPOX: Die serbische Trainerschule gilt als besonders hart. Wie ist denn der alte Pesic?

Micic: Er ist speziell. Und sehr fordernd.

SPOX: Also entspricht er dem Klischee?

Micic: Serbische Trainer sind bekannt dafür, tough zu sein. Pesic ist wie Zeljko Obradovic eine Steigerung davon. Doch das ist für mich kein Problem. Er machte in seiner langen Karriere so viele Spieler besser und hatte immer Erfolg.

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Seite 2: Micic über die NBA, Teodosic und den Sonderfall BBL

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SPOX: Pesic bemängelt an vielen Nachwuchsspielern, dass Sie nur an die NBA denken würden. Wie ist es bei Ihnen? Bei Ihnen wäre es nicht verwunderlich, dass Sie sich mit der NBA beschäftigen, immerhin wurden Sie 2014 an 52. Stelle von den Philadelphia 76ers gedraftet.

Micic: Natürlich weiß ich, dass ich gedraftet wurde und offenbar ein gewisses Maß an Potenzial besitze, sonst wäre ich wohl nicht berücksichtigt worden. Zurzeit beschäftigt mich die NBA trotzdem gar nicht. Ich unterschrieb 2014 einen garantierten Zweijahres-Vertrag in München und genoss es in diesem Sommer, absolute Klarheit zu haben. Das war eine wichtige Lehre der Vergangenheit. Früher war ich durcheinander, weil mich so viele Dinge abgelenkt haben. Was könnte man machen? Welche Optionen gibt es? Wie soll ich mich entscheiden? Diese Fragen waren nicht gut für mich und ich konnte mich nicht auf eine Sache konzentrieren. Seit ich in München spiele, bin ich hundertprozentig auf die Bayern fokussiert.

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SPOX: Gibt es Kontakt zu den 76ers?

Micic: Nicht wirklich. Wenn, dann läuft viel über SMS. Ich weiß, dass sich für die 76ers nach meinem Wechsel zu den Bayern mehr Gelegenheit boten, mich direkt zu beobachten, weil einer ihrer International Scouts, Danny Mills, in Berlin lebt. Bisher fanden wir allerdings nicht die Zeit, uns länger auszutauschen.

SPOX: Philadelphia beschäftigt mit Marin Sedlacek einen weiteren International Scout, der als "Draft-Guru" gilt. Sie selbst kennen ihn gut, immerhin sind ihre Familien eng befreundet. Ist er deswegen so kritisch mit Ihnen? Im SPOX-Interview hielt er sich nicht zurück.

Micic: Ich weiß. (lacht) Er ist eben ein sehr ehrlicher Typ. Ich kenne ihn seit 2001 oder 2002, als ich erstmals an einem von ihm geleiteten Camp teilnahm. Seitdem sind unsere Familien befreundet.

SPOX: Unter anderem vertritt Sedlacek im SPOX-Interview die Meinung, dass Sie eigentlich ein Shooting Guard und kein Point Guard wären. Was sagen Sie dazu?

Micic: Ich war, bin und werde immer ein Point Guard sein. Was viele nicht wissen: Ich gehörte lange Zeit zu den kleineren Spielern, bis ich in der Pubertät in einem Jahr um 15 Zentimeter gewachsen bin. Daher hätte ich theoretisch die Größe eines Shooting Guards, trotzdem bevorzuge ich es weiterhin, ein reiner Spielmacher zu sein. Ich weiß, dass ich mich in vielen Bereichen verbessern muss - wie gesagt vor allem körperlich -, aber mit etwas mehr Selbstvertrauen und Erfahrung bin ich mir sicher, dass ich mich auf der Eins durchsetze.

SPOX: Sie sprachen bereits an, dass die BBL von US-Point-Guards bestimmt wird. Ist es nur ein Nachteil für Sie? Birgt es nicht Vorteile?

Micic: Die BBL ist wirklich ein Sonderfall: Es gibt nicht nur viele US-Point-Guards, sie sind auch noch sehr dominant in ihren Teams, häufig sogar die erste Option. Sie spielen sehr aggressiv, ziehen zum Korb, passen hingegen nicht so viel. Das hat mich überrascht. In Serbien gibt es nur sehr wenige von diesen Spielertypen, in der Regel spielt man dort gegen Point Guards, die als erstes an die Mitspieler denken. Das ist hier anders und ich musste durch einen Lernprozess. In dieser Saison will ich daher mehr meine Vorteile in den Vordergrund rücken: Defensiv habe ich vielleicht Nachteile, die ich abstellen will, und offensiv kann ich meine Größe ausnutzen.

SPOX: Bayerns Geschäftsführer Marko Pesic sagt im SPOX-Interview, dass Sie die Ära der großgewachsenen Point Guards wieder erwecken könnten.

Micic: Ich respektiere die US-Point-Guards sehr, sie sind sehr gute Spieler und überragende Scorer. Nur: Sie sind keine echten Spielmacher. Dabei ist es das, was ich von einem Point Guard erwarte. Ich mochte es früher schon, einem Theo Papaloukas oder einem Dimitrios Diamantidis, meinem persönlichen Idol, zuzuschauen. Von der heutigen Generation gehört vielleicht noch Milos Teodosic in die Reihe.

SPOX: Teodosic erklärte im SPOX-Interview, dass er Ähnlichkeiten zwischen sich und Ihnen sieht. Also führen Sie diese Ära fort?

Micic: Diese Aussage bedeutet mir eine Menge. Ich habe ihn erst im Sommer 2014 erstmals getroffen, als wir zusammen bei der Nationalmannschaft waren und uns auf die WM vorbereitet haben. Ich verletzte mich leider und wurde nicht nominiert, doch davor verbrachten wir viel Zeit zusammen. Milos ist ein einzigartiger, herausragender Point Guard. Er erkennt im Spiel und im Training Dinge, die niemand, wirklich niemand sonst sieht. Ich bin immer wieder sprachlos, wie gut er ist. Viele Trainer können nicht mit ihm umgehen und viele Experten zweifeln an ihm, weil er noch nie die Euroleague gewonnen hat. Dabei sollte einer über jeden Zweifel erhaben sein, wenn er wie Milos seit fünf, sechs Jahren auf dem höchsten Level spielt, alle individuellen Awards gewinnt und dazu erst 28 Jahre jung ist.

SPOX: Wie ist Teodosic privat?

Micic: Ich kann menschlich enorm viel von ihm lernen. Einige haben eine sehr negative Meinung über ihn, obwohl sie ihn als Mensch gar nicht kennen. Diesen Sommer traf ich ihn in Belgrad zufällig auf der Straße. Wir setzten uns spontan hin und quatschten einfach drei, vier Stunden. Über Basketball, über das Leben an sich. Ich schätze es sehr, dass er viel von mir hält und mir Ratschläge gibt.

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